Countdown Ganztagsförderungs-gesetz 2026: Folge 1

DRK-Interviewreihe mit Trägern ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder.
Heute im Fokus: Der DRK-Kreisverband Waldshut e.V. – Ein Beitrag von Michael Guldi, Leiter soziale Dienste im DRK Kreisverband Waldshut e.V. (DRK-LV Baden)

Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder - im DRK-Kreisverband Waldshut e.V.

Wir starten diese Blogserie mit einem Träger im Süden Badens – im unmittelbaren Grenzgebiet zur Schweiz: dem DRK-Kreisverband Waldshut e.V. Er ist in der Stadt Waldshut-Tiengen und 18 umliegenden Dörfern (Landkreis Waldshut) aktiv und unterhält seit 1980 einen Schülerhort. Im Lauf der letzten 14 Jahre kamen ein weiterer Kinderhort sowie zwei Waldkindergärten hinzu.

In den beiden betriebserlaubnispflichtigen Horten werden je 40 Schulkinder betreut; der Personalschlüssel liegt bei 1 Fachkraft: 10 Schulkinder.

Seit 2022 ist der Kreisverband zudem – quasi als Dienstleister im Auftrag des kommunalen Schulträgers - in der Schulkindbetreuung an einer Schule in Waldshut-Tiengen aktiv. Eine Betriebserlaubnis liegt bei diesem Betreuungsmodell nicht vor. Im Rahmen der Schulkindbetreuung werden 43 Kinder vor und nach der Schule sowie während der Ferienzeit sowie 213 Kinder über Mittag betreut. Konkrete Regelungen bezüglich des Personalschlüssels existieren nicht - aktuell kommt es häufig vor, dass an die 85 Schulkinder von einer Person betreut werden.

Finanzielle Rahmenbedingungen vor Ort

Die Finanzierung der ganztägigen Schulkind-Betreuungsangebote erfolgt im Wesentlichen über die Elternbeiträge. Deren Satz liegt im Fall der Hortbetreuung bei: 200 EUR / Monat +Mittagessengebühr. Im Fall der schulisch gebundenen Schulkindbetreuung liegt die Betreuungsgebühr bei 9 EUR /je Betreuungsstunde (sowohl im Frühdienst als auch in der Nachmittagsbetreuung; die Mittagspause ist kostenfrei.)

Zudem erhalten die Träger von Horten (an Schule angebundene sowie herkömmliche) in Baden-Württemberg seitens des Kultusministeriums - pro Schuljahr und pro bestehender Gruppe - einen finanziellen Zuschuss in Höhe von derzeit 17.622 €. Falls Kinder mit einem festgestellten sonderpädagogischen Bedarf betreut werden, kann der Zuschuss erhöht werden. Hinzu kommt ein Betriebskostenzuschuss der beteiligten Stadt und Gemeinden im Landkreis.

Qualitative Rahmenbedingungen vor Ort: „Qualitätsrahmen“ mit „blinden Flecken“

Am 8. Juli 2019 hat das Kultusministerium in Baden-Württemberg den Qualitätsrahmen Ganztagsschule Baden-Württemberg vorgestellt. Mit dem Ziel, eine qualitative Richtschnur für Ganztagsschulen vorzuhalten - inklusive der Benennung eindeutiger Rahmenbedingungen, belastbarer pädagogischer Ziele für die Schüler/-innen, Anregungen und Impulse. (->Quelle: ganztagsschule.kultus-bw.de/site/pbs-bw-km-root/get/documents_E-1109696657/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Projekte/Ganztagsschule/Publikationen/2019-06-28-Qualit%C3%A4tsrahmen-Ganztagsschule.pdf). Viele für Träger der Jugendhilfe relevante Fragen bleiben darin jedoch gänzlich unerwähnt: Wie etwa die nach der Qualifizierung der Betreuungskräfte oder der Notwendigkeit einer Betriebserlaubnis.

Baustelle Ganztag

Viele Fragen - wenige Antworten

Die „blinden Flecken“ im sog. „Qualitätsrahmen“ sind auch eine Metapher für den gesamten Ganztags-Ausbauprozess vor Ort. Denn – insbesondere im Kontext der Schulkindbetreuung am Standort Schule des kommunalen Schulträgers - sind u.a. folgende, für die Qualität der Schulkindbetreuung hochrelevanten Fragen bislang noch völlig ungeklärt:

  • Was sind die - zielgruppen-bedarfsgerecht (Schulkindfokus) zugeschnittenen - pädagogischen Ziele der Schulkindbetreuung? Wer hat hierfür die Steuerungskompetenz?
  • Wie wird die Kommunikation/Kooperation mit Schulträger und Schulleiter auf Augenhöhe sicher-bzw. hergestellt?
  • Wie ist der Betreuungsschlüssel in der Schulkindbetreuung im Früh- und Nachmittagsdienst aufgestellt?
  • Wie kann der ab 2026 wachsende Fachkräftebedarf gedeckt werden (wenn gleichzeitig Personalkostenzuschüsse eingedampft werden)?
  • Wie kann das benötigte, jedoch unzureichend qualifizierte Personal qualifiziert werden, insofern Ausbildungslehrgänge für zielgruppen-bedarfsgerecht (Schulkind-Fokus) ausgebildete Ganztagsfachkräfte noch gar nicht existent sind.
  • Wie kann die pädagogische Qualität der Schulkindbetreuung unter diesen defizitären Voraussetzungen (Betreuung durch pädagogisch unqualifiziertes Personal) gewährleistet werden?
  • Wie kann der Kinderschutz in der Schulkindbetreuung zuverlässig gewährleistet werden, wenn keine Betriebserlaubnisverpflichtung vorliegt.

Lösungsimpulse für eine qualitative, ganztägige Schulkindbetreuung

  • Fachlich-personelle Mindeststandards
  • Neue ganztagskonforme pädagogische Parameter: Ein „Schulkindbetreuungs-Konzept“
  • Eine kooperative Ganztags-Steuerung aller relevanten Akteure im Sozialraum
  • Einführung einer Fachkräftequote
  • Neue Ausbildungsinputs

Fachlich-personelle Mindeststandards

Im Hinblick auf den schulisch angebundenen Ganztagsausbau für Schulkinder liegt die größte Baustelle derzeit -aus Sicht des Kreisverbands- in dessen noch ungeklärten strukturellen Rahmenbedingungen. Mindeststandards, wie sie im Kindertagesbetreuungsbereich etabliert und gem. § 22 SGB VIII gesetzlich festgeschrieben sind, sind hier noch nicht (ausreichend) formuliert und werden infolgedessen anhaltend unterschritten. Das betrifft insbesondere fachlich-personell relevante Aspekte (wie die Gruppengröße, die Anzahl und Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte, die Berücksichtigung von Vor- und Nachbereitungszeiten), aber auch pädagogische Parameter.

Neue ganztagskonforme pädagogische Parameter: Ein „Schulkindbetreuungs-Konzept“

So ist es zwingend erforderlich, ein pädagogisch an die veränderten Gegebenheiten eines ganztägig ausgerichteten Schulsystems angepasstes „Schulkindbetreuungs-Konzept“ zu entwickeln, das gleichermaßen schul- und sozialpädagogische Handlungslogiken, die im pädagogischen Alltag oftmals konträr zueinander verlaufen, gut miteinander in Einklang bringt. Gerade auch um die Bildungsbedingungen und gesellschaftlichen Teilhabechancen von (sozial benachteiligten) Kindern und Jugendlichen effektiv zu verbessern und Ausgrenzungsmechanismen zu entschärfen.

Eine kooperative Ganztags-Steuerung aller relevanten Akteure im Sozialraum

Dabei geht es jedoch nicht nur um ein schulisch intensiviertes Engagement für ein besseres „Schulklima“ oder eine stärkere Implementierung einer „sozialpädagogischen Angebotsqualität“ im Ganztag. Es geht v.a. auch um ein kooperativ ausgestaltetes, gemeinsam optimiertes Steuerungsverfahren aller in diesem Handlungskontext beteiligten und gestaltenden Akteure. Zu ihnen zählen insbesondere die Schulträger, die staatlichen Schulämter, aber auch die Landesjugendämter als Aufsichtsbehörden. Ihnen obliegt die Aufgabe, das Verhältnis zwischen den im Ganztag multi-professionell kooperierenden, pädagogischen (Fach-)Kräften zu klären, ihre jeweiligen Zuständigkeiten, Aufgaben und Rollen zu definieren, arbeitsrechtliche Vorgaben und Weisungsbefugnisse zu regeln, Sorge für die Anwendung und Einhaltung des Daten- und Kinderschutzes zu tragen - bestenfalls unter Berücksichtigung der verschiedenen Ebenen (Träger, Leitungen, Fachkräfte).

Einführung einer Fachkräftequote

Die hier bereits mehrfach angeführten defizitären Rahmen- und Arbeitsbedingungen (suboptimale Arbeitszeiten, unklare Verantwortungsbereiche, fehlende Qualifizierungsanforderungen, fehlende Verfügungszeiten, fehlende Supervision etc.) im Handlungsgeld ganztägige Schulkindbetreuung verursachen zudem weiterreichende Probleme: Sie fördern die Abwanderung einschlägig ausgebildeter Fachkräfte (wie Erzieherinnen, Jugend- und Heimerzieherinnen, Sozialpädagoginnen, und Kindheitspädagoginnen) in andere Tätigkeitsfelder und öffnen mehrheitlich Quereinsteiger-/innen ohne explizite pädagogische Ausbildung den Zugang in das Arbeitsfeld.

Um fachliche Anforderungen an eine qualifizierte Schulkindbetreuung überhaupt gewährleisten zu können, spricht sich der Kreisverband deshalb für eine klare Quotenregulierung zwischen Fachkräften und Quereinsteige/-rinnen aus.

Neue Ausbildungsinputs

Ebenso aber auch für eine gezielte Anpassung der pädagogischen Ausbildungsinhalte zukünftiger Ganztagsfachkräfte im Hinblick auf die altersgerechten Bedarfe (u.a. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse, Anforderungen bzgl. Kommunikation und Gesprächsführung, dezidierte Kenntnisse bzgl. Gruppenprozesse und Gruppendynamik etc) explizit von Schulkindern im Alter von 6-10 Jahren, die in den einschlägig-klassischen Ausbildungscurricula für Erziehungsberufe derzeit noch gänzlich unberücksichtigt sind.

Über den Autor

Michael Guldi ist seit 2002 Leiter soziale Dienste im DRK Kreisverband Waldshut e.V. Seine beruflichen Wurzeln liegen in der Leitung (von 1994-2002) des ersten Schülerhorts im DRK-Kreisverband Waldshut e.V. Nebenberuflich ist er zudem als Lehrer an der Fachschule für Sozialpädagogik in Waldshut und Fachberater für Kitas im Landesverband Badisches Rotes Kreuz tätig.

Mehr Informationen: https://www.drk-kv-waldshut.de/das-drk/wer-wir-sind/ansprechpartner.html