Schulkind und Klassenkameradin in der Schule beim Puzzlen

Countdown - Ganztagsförderungsgesetz 2026: Folge 3

In der dritten Folge unserer Interviewreihe spricht Verena Kölsch, Sachgebietsleiterin Behindertenhilfe/Betreuung an Schulen Pakt für den Ganztag (PfdG) im DRK-Kreisverband Dillkreis e.V. in Dillenburg über die Herausforderungen und Chancen der ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder.

Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder

im DRK-Kreisverband Dillkreis e.V. in Dillenburg

Verena Kölsch ist Sachgebietsleiterin Behindertenhilfe/ Betreuung an Schulen Pakt für den Ganztag (PfdG) im DRK-Kreisverband Dillkreis e.V. in Dillenburg in Mittelhessen. Die ausgebildete Heilerziehungspflegerin und Sozialpädagogin ist seit 16 Jahren im DRK überwiegend im Sachgebiet Behindertenhilfe leitend tätig und war in dieser Funktion aktiv am Aufbau von Teilhabeassistenzdiensten im schulischen Kontext beteiligt. Dadurch befasst sie sich für ihren Kreisverband seit 2018 auch intensiv mit dem Thema „Ganztag“ im Rahmen des vom Land Hessen vorgegebenen „Pakts für Ganztag“. Entscheidend hat sie daran mitgewirkt, dass dieser als Träger von Mittags- und Nachmittagsbetreuungsangeboten seitdem im Sozialraum aktiv ist. Derzeit - in Kooperation mit dem Landkreis sowie vier ansässigen Partnergrundschulen –für ca. 180 Grundschulkinder von Klasse 1-4

Das „Betreuungspaket“ besteht aus einem Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, AG- und Freizeitangeboten sowie Ferienbetreuungsangeboten an/in den Betreuungsräumen der vier Partnergrundschulen und findet im Rahmen des vom Land Hessen konzipierten „Paktes für Ganztag“ statt.

Mini-Exkurs für Nicht-Hessen: Was ist der „Pakt für den Ganztag“?

Der „Pakt für den Ganztag“ (PfdG) ist ein gemeinsames Projekt des Landes Hessen und Schulträgern von Grundschulen sowie Grundstufen von Förderschulen zur Förderung des bedarfsorientierten Ausbaus ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangeboten (fünf Tage/pro Woche + in den Schulferien).

Mit dem „Pakt für den Ganztag“ schließen das Land und die teilnehmenden Schulträger eine Kooperationsvereinbarung über eine gemeinsame Finanzierung des Schulnachmittags an den beteiligten Schulen ab. Dafür müssen diese zusammen mit den Trägern des Bildungs- und Betreuungsangebots ein gemeinsam entwickeltes pädagogisches Konzept einreichen, das sich am Hessischen „Qualitätsrahmen für die Profile ganztägig arbeitender Schulen“ orientieren sollte.

Der „Pakt für den Ganztag“ wurde erstmalig zum Schuljahr 2015/2016 zunächst mit sechs Pilot-Schulträgern geschlossen - zwischenzeitlich (Stand: Schuljahr 2023/2024) beteiligen sich nahezu 90% der Schulträger in Hessen mit insgesamt 435 Schulen an der Umsetzung.

Mehr Infos finden Sie auf der Seite des Hessischen Ministeriums für Kultus, Bildung und Chancen

Rechtliche Rahmenbedingungen vor Ort

Der Kooperationsvertrag zwischen dem Kreisverband (als Träger der Mittags- und Nachmittagsbetreuungsangebote), dem Landkreis (als Schulträger) und den vier kooperierenden Grundschulen basiert auf dem o.a. „Pakt“. Er hat eine Laufzeit von ein bis vier Jahren; dann startet der Landkreis neue Ausschreibungsverfahren, auf die hin die Träger ihre Bewerbungen einreichen.

Im Kooperationsvertrag sind sowohl die Grundlagen und Richtlinien der Träger-Kooperation als auch die eher grundsätzlichen Aussagen zum Qualitätsrahmen und den Schulgesetzlichen Bestimmungen rechtlich festgehalten. Darüber hinaus enthält er zahlreiche, weitere Vereinbarungen: 

  • Personelle, finanzielle (u.a. Entgeltregelungen),
  • organisationale (z.B. Aufgabenbeschreibungen der Kooperationspartner,
  • Anmeldeverfahren,
  • Betreuungszeiten,
  • die Festlegung eines Betreuungsschlüssels,
  • Evaluationsverfahren etc.

Finanzielle Rahmenbedingungen vor Ort

Die Finanzierung der Mittags- und Nachmittagsbetreuungsangebote setzt sich anteilig aus Mitteln des Landes (Hessisches Sozialministerium), des Landkreises, der Kommune und den Elternentgelten zusammen. Über die präzise Verteilung der Landes-Mittel (der Träger erhält davon mind. ¼ - max. ¾) entscheidet alljährlich neu und final die Schule. Da die Mittelvergabe infolgedessen jährlich schwankt, kann der Träger auf keine verlässlichen und perspektivgebenden Strukturen bei der Personalgewinnung zurückgreifen. Im Ergebnis wird die Realisierung einer stabilen Personalplanung (v.a. mit qualifiziertem Fachpersonal) dadurch erheblich erschwert.

Hinzu kommen mögliche Minderungsabschläge bei der Personalkostenfinanzierung (z.B. infolge von Lohnfortzahlungen in Personal-Krankheitsfällen). Da unterjährig keine Kosten-Puffer eingespart und angelegt werden dürfen und Überschüsse konsequent an den Mittelgeber zurückgezahlt werden müssen, zwingen diese den Träger dazu, Risikozuschläge kontinuierlich einzukalkulieren. Aus Trägersicht kann dies mitunter zu invasivem Controlling und einem erhöhten Administrationsaufwand führen.

Wie in vielen Bereichen wären vereinfachte administrative Strukturen und langfristige, nachhaltige Planungssicherheiten effizienter und für alle Beteiligten wünschenswert. Aus diesem Grund hatte sich der Kreisverband zunächst in den vergangenen Jahren etwas zurückgezogen - trotz inhaltlich guter Qualität. Diese Vertragsverhandlungen konnten im Juli abgeschlossen werden. Die Laufzeit ist nun auf mindestens 2 Jahre mit einer Verlängerungsoption bis zu vier Jahren vereinbart. Im Rahmen dieser Verhandlungen erhielt der DRK KV Dillkreis e.V. den Zuschlag für zwei weitere Schulen, sodass er nun die Trägerschaft an 4 Partnerschulen innehat.

Baustelle Ganztag:

Finanzielle, administrative, personelle Herausforderungen
  • Finanziell-administrative Problemlagen

Angesichts dieser finanziell-administrativen Problemlagen bleibt für Verena Kölsch die Frage offen, ob und wie die Verantwortlichen die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf die Umsetzung des Rechtsanspruchs lösen werden, um Trägern eine sichere und auskömmliche Finanzierung in Aussicht zu stellen. Letzteres würde Planungssicherheiten schaffen und somit die Attraktivität für Träger zur gemeinsamen Umsetzung des Rechtsanspruches erhöhen.

  • Fachkräftegewinnung, -bindung und -qualifizierung

Dazu treiben weitere Fragen um: Wie kann der ab 2026 wachsende Fachkräftebedarf langfristig stabil gedeckt werden, wenn – sowieso schon sehr mau kalkulierte - Personalkostenzuschüsse schwanken oder abrupt eingedampft werden? Wie wird angesichts dieser Rahmenbedingungen gelingen, geeignetes fachfremdes und qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu binden? Und wie kann fachfremdes Personal ausreichend qualifiziert werden, um pädagogisch zielgruppen- und bedarfsgerecht in der Ganztagsbetreuung dauerhaft tätig zu sein?

  • Politische Bürokratiebelastungen

Eine weitere zentrale Herausforderung sieht Verena Kölsch zudem im Dreiecksverhältnis zwischen den kooperierenden Akteuren (Schulträger – Schule – JH-Träger). Da die politische Steuerungs- und Vergabemacht über die Finanzmittel überwiegend beim Landkreis liegt, scheint die Umsetzung des angeführten Prinzips der „Augenhöhe“ nicht immer möglich.

Erschwerend hinzu kommt der in diesen Kooperationsstrukturen angelegte, hohe und ineffiziente Verwaltungsaufwand.

Bilanzierend allesamt Faktoren, die trägerseits tendenziell eher zu Frust und Verdruss führen, anstatt dazu zu motivieren, sich engagiert und gleichberechtigt am qualitativen Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangeboten zu beteiligen.

Lösungsimpulse

für eine qualitative, ganztägige Schulkindbetreuung

1. Eine gesicherte, bedarfsgerechte Finanzierung

Vor diesem Hintergrund plädiert Verena Kölsch in erster Linie für die Ausgestaltung einer gesicherten Finanzierungssystematik, die jährlich bedarfsgerecht anzupassen ist. Hierzu zählt auch, dass vorab Vergütungsvereinbarungen getroffen und berücksichtigt werden – gerade auch mit dem Ziel, langfristig vermehrt qualifiziertes Fachpersonal gewinnen und binden zu können.

2. Regelmäßiger Qualitäts-Austausch der „Trägergemeinschaft Ganztag“

Darüber hinaus betont sie die Wichtigkeit eines regelmäßigen Austauschs zwischen den kooperierenden Akteuren (Kreisverband / Landkreis und Schule) als „Trägergemeinschaft Ganztag“. In dessen Konzeption könnten und sollten sich ihrer Meinung nach insbesondere auch die beteiligten Schulen aktiv einbringen. So v.a. auch bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen rund um Fragen, wie die ganztägige Betreuungsqualität optimiert werden kann: Welcher Betreuungsschlüssel ist dafür nötig? Welche Rahmenbedingungen ermöglichen, gut mit den Kindern im Kontakt zu bleiben und sie individuell zu fördern - statt nur die Organisation des Betreuungssettings rigide zu verwalten?

3. Entwicklung von Curricula für nicht-qualifiziertes Personal

Und last but not least: Da es angesichts der o.a. Finanz- und Planungsschwierigkeiten nahezu unausweichlich sein wird, dass vermehrt fachfremdes Personal in der Ganztagsbetreuung eingesetzt werden wird, plädiert Verena Kölsch für die Entwicklung spezifischer Curricula für diese Zielgruppe.

Dieses sollte möglichst alle für die ganztägige Bildung und Betreuung von Grundschulkindern pädagogisch relevanten Basics enthalten: Wie z.B. didaktisches Anleitungsmaterial für spezifische pädagogische Angebote, insbesondere Bewegungsangebote, theoretisches und praktisches Methodenwissen zu den Themen Konfliktlösung/-bearbeitung, Kontakt- und Beziehungspflege zum Kind und einiges mehr.

Die Themenliste dafür könnte noch wachsen.