Marion, welche Ereignisse von der re:publica sind dir besonders im Kopf geblieben?
Ich habe mich sehr gefreut, dass die re:publica wieder in Präsenz stattgefunden hat. Es war am Anfang zwar etwas überwältigend, aber danach wirklich schön, endlich wieder so viele tolle inspirierende Menschen “in echt” an einem Ort zu treffen. Auch war es toll, viele Kolleg:innen aus den anderen Wohlfahrtsverbänden dort zu treffen. Besonders begeistert haben mich deswegen die vielen spontanen Gespräche zwischendurch, die in den letzten Jahren nicht möglich waren. Auch hatte ich das Gefühl, dass mittlerweile eine größere Vernetzung zwischen Digitalisierungsexpert:innen, Digitalpolitiker:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sowie Aktivist:innen aus anderen Bereichen erfolgt und sich hoffentlich in Zukunft noch enger verzahnt. Digitale Teilhabe wird immer mehr eine Frage der sozialen Teilhabe und hier müssen wir als Zivilgesellschaft gemeinsam mit einer starken Stimme agieren. Eine kleine Auswahl aus den vielen tollen Beiträgen, die mich auf der re:publica begeistert haben, findet ihr hier:
Katharina Nocun: Die Maschen der Verschwörungsideologen
Wer mehr zu dem hochbrisanten Thema Verschwörungsideologien wissen will, dem kann ich den spannenden Talk von Katharina Nocun sehr empfehlen.
"Wer sich mit Anhängern von Verschwörungsideologien beschäftigt, stößt auf eine äußerst kreative Art zu argumentieren. In ihrem Vortrag stellt die Publizistin und Wissenschaftlerin Katharina Nocun die wichtigsten Maschen der Verschwörungsideologen vor."
Familienministerin Lisa Paus auf der re:publica
Mich hat es sehr gefreut, dass auch die neue Familienministerin Lisa Paus zu Gast auf der re:publica war und in zwei Formaten mit Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Jugendlichen diskutiert hat.
Lisa Paus, Mareice Kaiser, Rebecca Maskos, Susanne Triepel: Krisen, Care und Kohle – wie wird unsere Gesellschaft gerechter?
"Die Corona-Pandemie richtet einen Scheinwerfer auf ohnehin ausgrenzende gesellschaftliche Verhältnisse: Eltern und Pflegende reiben sich zwischen Beruf und Care-Arbeit auf, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendliche werden politisch weitgehend ignoriert, behinderte Menschen wurden in der Pandemie zur #Risikogruppe. Preissteigerungen treffen die einkommensschwächsten Haushalte am härtesten. Der Hashtag #IchBinArmutsbetroffen macht persönliche Erfahrungen öffentlich und zeigt Missstände im sozialen Sicherungssystem."
Über diese Themen diskutierten Aktivist:innen, Wissenschaftlerinnen und Betroffene mit vielen Wortmeldungen aus dem Publikum mit der neuen Familienministerin Lisa Paus.
Familienministerin Lisa Paus redet mit Jugendlichen über Armut, das Wahlalter und soziale Dienste
Familienministerin Lisa Paus stellte sich auf der #TINCON (Konferenz für digitale Jugendkultur, die parallel zur re:publica auf dem gleichen Gelände stattgefunden hat) den Fragen der Jugendlichen u.a. zu Jugendarmut, Bildungsgerechtigkeit, Rentensicherung, Chatkontrollen.
Markus Beckedahl: Wie stehts um die Digitalpolitik? Neue Regierung, neues Glück
Ein persönliches Highlight für mich war natürlich der unterhaltsame Digitalpolitik-Talk von Markus Beckedahl (Co-Gründer re:publica und Gründer netzpolitik.org). Sehr empfehlenswert für alle, die sich einen Einblick verschaffen wollen, was die neue Koalition im Bereich Digitalpolitik umsetzen will.
"Im vergangenen Herbst überraschten die Ampel-Parteien mit einem Koalitionsvertrag, der vollkommen anders war, als man es gewohnt war. Er war vieler guter Ideen mit vielen Punkten, die man immer schon mal hätte machen müssen. Mehr als ein halbes Jahr später wird es Zeit für eine erste Bestandsaufnahme. Wo stehen wir?"
Fabian, wie ist es dir ergangen? Wie lassen sich Wohlfahrt und #rp22 verbinden?
Für mich war es eine tolle Erfahrung, nach zwei Jahren Pause wieder in Präsenz bei einem Event in dieser Größe dabei sein zu können. Das diesjährige Motto "Anyway the wind blows" spielt auf die unsicheren Zeiten an, in denen wir uns befinden und die mit starken Veränderungen einhergehen. Es lässt sich derzeit nur schwer eingrenzen, wohin sich die Zukunft entwickeln wird. Auf der re:publica wurden in diesem Kontext die großen Herausforderungen und Krisen unserer Gesellschaft vor allem aus zivilgesellschaftlicher Sicht thematisiert und diskutiert. Aus meiner Sicht ist eine starke Zivilgesellschaft ein Schlüssel für die Lösungen dieser Probleme und für Antworten auf die Frage: In welcher Gesellschaft möchten wir in Zukunft leben?
Die re:publica bietet dabei viele Anknüpfungspunkte und Inspiration für Projekte, die ich in den Kompetenzzentren Digitalisierung im DRK bearbeite. Mit dem “Tandemprogramm: Gemeinsam Digital- und Zukunftskompetenzen weiterentwickeln” haben wir z.B. ein Online-Lernprogramm im Roten Kreuz eingeführt, das sich mit der Frage auseinandersetzt: “Welche relevanten Kompetenzen lassen sich schon heute identifizieren und erlernen, in Anbetracht einer Arbeitswelt von morgen, die sich fortlaufend im Wandel befindet und in der Orientierung immer schwieriger wird?”
Besonders in Erinnerung geblieben sind mir diesmal die folgenden Sessions:
Alice Hasters: Die Revolution der Erschöpfung – Es ist nicht die Veränderung, sondern die Verhinderung der Veränderung, die erschöpfend ist. Alice Hasters liefert Argumente, warum der Status quo uns müde macht und die Überwindung dessen uns Energie geben könnte
Adrian Daub: Was das Valley erzählt – Adrian Daub wirft einen machtkritischen Blick auf Tech-Narrative: Wer prägte sie? Wie kritisch sollten wir sie betrachten? Eine genaue Analyse zeigt: Hier gibt’s mehr Mythos als Wahrheit. Aber wie geht‘s besser? Wie erschaffen wir glaubwürdige Tech-Narrative, die verfangen?
Viktor Schlüter und Elina Eickstädt: Warum die Chatkontrolle verhindert werden muss – Die EU-Kommission möchte alle Kommunikation auf der Suche nach möglichen Missbrauchsdarstellungen von Kindern durchleuchten lassen. Das kann das Ende der vertraulichen Kommunikation in ganz Europa bedeuten. Die Session gibt einen guten Überblick über den aktuellen Stand, zeigt die Gefahren und Dysfunktionen des aktuellen Entwurfes auf und gibt mögliche Handlungsansätze.
Maja Göpel und Andrea Vetter: The Future is Degrowth – Unser auf Wirtschaftswachstum ausgelegtes System funktioniert nicht und wird die zentralen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht lösen können. Die Postwachstumsbewegung hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu analysieren, wie die Ideologie des Wachstums die zunehmenden Ungleichheiten und ökologischen Zerstörungen im Zusammenhang mit dem Kapitalismus verdeckt. In der Session werden zudem wünschenswerte Alternativen vorgeschlagen.
Jenny, du koordinierst das Netzwerk Digitale Wohlfahrt und die [sic], wie war es für dich, auf einem großen Netzwerktreffen zu sein?
Eine Mischung aus überfordernd und berauschend, würde ich sagen! Nach zwei Jahren ohne große Veranstaltungen war es natürlich ungewohnt, Teil einer so großen Ansammlung von Menschen zu sein – teilweise habe ich mich wie in einem laut summenden Bienenstock gefühlt. Gleichzeitig war es natürlich sehr inspirierend, denn es gab ja unglaublich viele Programmpunkte, die da parallel stattfanden, und mindestens die Hälfte davon hat mein Interesse geweckt.
Besonders beeindruckt haben mich die Beiträge von digitalen Aktivist*innen aus unterschiedlichsten Kontexten:
Das Podium von Katharin Tai und Nathan Law, der in Hong Kong bei den Protesten gegen das autoritäre Regime eine führende Rolle eingenommen hat und anmahnte, dass schon die kleinsten Pushbacks in Sachen Gerechtigkeit und Freiheit (auch in nicht-autoritären Staaten!) erkannt und bekämpft werden müssen – “Wehret den Anfängen”.
Die Diskussion zwischen Maja Göpel und Andrea Vetter zu Postwachstum, in der für mich deutlich wurde, wie wichtig es ist, für eine veränderte Betrachtungsweise unserer ökologischen Krise zu sensibilisieren – indem wir etwa beharrlich wiederholen müssen, dass die Wirtschafts- und Lebensweise, die wir heute pflegen, keine Zukunft hat. Die Fakten sind schon längst da, nun geht es darum, gesellschaftliche Verträge zu schaffen, auf die wir uns berufen können.
Die Session “Sorry for the late reply – Feminist lessons from the digital frontier”, in der Hera Hussain, Michelle Thorne und Ellen Ehmke – allesamt digitale Aktivist*innen – darüber diskutierten, was ein feministisches Internet benötigt. Darunter fällt für sie beispielsweise, dass es einfach sein muss, kleine Communities online zu gründen, und dass es frei von Hass sowie ökologisch nachhaltig sein muss.
Das Dialogformat "Staatliche Regulierung vs. Anonymität – was hilft (nicht) gegen Hass im Netz?”, in dem Anna-Lena von Hodenberg, Holger Marcks, Tajana Graovac und Nadine Brömme über Hass im Internet diskutierten und auf das Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit aufmerksam machten. Sie plädierten u.a. dafür, die Grautöne dazwischen sichtbar zu machen und als Zivilgesellschaft gemeinsam stark aufzutreten.
Zuletzt die Frage an Max: Was war die re:publica für dich und für die Wohlfahrt?
Die re:publica ist eine kunterbunte Reise, auf der Menschen aus verschiedensten Perspektiven die wichtigsten Transformationsfragen unserer Zeit beleuchten. Die Varietät in der digitalpolitischen Betrachtung auf der re:publica lud mehrfach zum Nachdenken und Lernen ein.
Von links nach rechts: Kommunalvertreter, Markus Richter, Maximilian Kühn und Tobias Utters (© BMI)
Gemeinsam mit Anja-Madlen Lackinger (DRK LV Baden-Württemberg) und Tobias Utters (Caritas Bayern) nutzten wir die Einladung des Bundesministeriums für Inneres und Heimat und sprachen mit Bundes-CIO und Staatssekretär Markus Richter beim “Meet & Talk” sowie Ernst Bürger (Abteilungsleiter "Digitale Verwaltung; Steuerung OZG") beim "Ask me Anything" über das Onlinezugangsgesetz (OZG) und die Rolle der Wohlfahrt. Wir betonten, dass die Einbindung der Wohlfahrt durch ihre Fachexpertise eine wertvolle Perspektive für die Entwicklung von staatlichen Lösungen ist. Zugleich haben wir gegenüber Herrn Richter angemerkt, dass der Staat auch für die Ausstattung der Wohlfahrt zur Umsetzung des OZG aufkommen sollte, um die übertragenen Aufgaben erfolgreich umzusetzen. Zuletzt tauschten wir uns intensiv über die umfassende digitale Teilhabe aus, die mit dem OZG einhergehen muss - es dürfen keine Menschen zurückgelassen werden!
Zuletzt will ich noch kurz auf die Potenziale von Open Source in der Zivilgesellschaft hinweisen: Hier hat mir die Diskussionsrunde der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, Reset und der Open Knowledge Foundation noch einen Push gegeben. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass öffentliche Gelder dazu führen sollten, dass der Code von entwickelten Softwarelösungen stets veröffentlicht wird. Der Mehrwert für die Öffentlichkeit wurde als “Reinvestment in die Allgemeinheit” bezeichnet. (vgl. EU-Studie) Der veröffentlichte Code kann außerdem von der Open-Source-Community und den nutzenden Organisationen überprüft werden. Die Wohlfahrt kann hier auch noch weiter lernen, Lösungen implementieren und so insbesondere auch Login-Fallen vermeiden (Login-Fallen beschreiben den Effekt, wenn man durch den Einkauf von IT-Lösungen nur noch deren Lösungspakete nutzen kann und ein Abschaffen mit vielen Risiken, Hürden und Kosten verbunden ist).
Fazit zur re:publica 2022
Neben unseren ganz persönlichen Eindrücken von der re:publica konnten sicherlich die meisten Teilnehmenden neue Eindrücke gewinnen, an Vorträgen und Diskussionen teilnehmen sowie neue Digitalbegeisterte kennenlernen. Die meisten Vorträge hat die re:publica bereits auf ihrem YouTube-Kanal hochgeladen, schaut gerne vorbei! Für uns alle ist klar: Wir sind gerne nächstes Jahr wieder mit am Start – hoffentlich dann auch mit einer eigenen Session! Bis es so weit ist, gibt es die neuesten Updates in unserem Newsletter und auf Twitter.
Auf bald, euer Kompetenzzentrum Digitalisierung