Diesen Fragen widmen wir uns in einer digitalen Veranstaltungsreihe zum Kinder- und Jugendstärkungsgesetz. Der erste Workshop am 29.09.2021 zu den Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen mit Inputs von Vertr.-Prof. Dr. Benedikt Hopmann hat uns Schwung gegeben, uns auf den Weg zu machen.
Grundsätzliche Weichenstellung zur Inklusion im KJSG
Das Ziel, das wir uns alle wünschen, ist eine Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung und unabhängig von der Art ihrer Behinderung. Bislang liegt die Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung nicht im SGB VIII und damit beim Jugendamt, sondern im System des SGB IX, dem Bundesteilhabegesetz (BTHG). Die unterschiedlichen Zuständigkeiten führen zu Uneindeutigkeiten, den vielbeklagten „Verschiebebahnhöfen“ und „schwarzen Löchern“. Familien mit Kindern mit Behinderung sind oft im Dschungel der unterschiedlichen Zuständigkeiten überfordert. Dass sich dieser Missstand nicht kurzfristig lösen lassen würde und eine Übergangsregelung gefunden werden muss, wurde nicht erst im Dialogprozess klar. Um eine Zusammenführung der Systeme anzustoßen, wurde im geänderten SGB VIII eine siebenjährige Frist verankert mit dem Ziel der Gesamtzuständigkeit zum 01.01.2028.
Ein erster Schritt mit Inkrafttreten erwähnt z.B. die vorbehaltlose gemeinsame Kindertagesbetreuung explizit und sichert barrierefreie Angebote der Jugendarbeit und entwickelt einen inklusiven Kinderschutz weiter.
In einem zweiten Schritt ab dem 01.01.2024 nehmen „Verfahrenslotsen“ bei den Jugendämtern ihre Arbeit auf und begleiten Familien mit behinderten Kindern durch den Zuständigkeitsdschungel. Wie genau das in der Realität aussehen wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Es sind Modellvorhaben im Gespräch, um Erfahrungen für die offizielle Einführung 2024 zu sammeln.
Bedingung für den dritten Schritt, das Ziel der tatsächlichen Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen zum 01.01.2028, ist eine Evaluierung und ein weiteres Umsetzungsgesetz, das ein Jahr vorher in Kraft treten muss. Das ist also noch Zukunftsmusik.
Wir haben uns gefragt, was wir in der Zwischenzeit tun können, wie wir uns vorbereiten können.
Der Behinderungsbegriff und seine Anwendung im KJSG
Ausgehend von einem Exkurs über die Anwendung des Behinderungsbegriffs im KJSG konnten wir mit Benedikt Hopmann Ideen entwickeln, was eine inklusive Lösung für eine verbandliche Praxis bedeutet.Insbesondere ist es spannend, uns immer noch einmal bewusst zu machen, dass das Konzept Inklusion nicht auf Behinderung beschränkt ist, sondern eine Einbeziehung aller Kinder und Jugendlichen und ihren Familien in die Überlegungen und Angebote zum SGB VIII bedeutet.
Die Präsentation von Vertr.-Prof. Dr. Benedikt Hopmann finden Sie hier.
Derzeit noch keine spürbaren Auswirkungen auf die Praxis, wir schauen voraus
Der Weg zur Inklusion ist ein Prozess. Die Auswirkungen des reformierten SGB VIII auf unsere Praxis gehen nicht auf den ersten Blick aus dem Gesetz hervor. Einiges wird auch bereits umgesetzt, auch wenn es jetzt durch die Reform in den Blick rückt, wie zum Beispiel eine inklusive Kindertagesbetreuung, die längst vielerorts selbstverständlich praktiziert wird. Die gelebte Praxis verhindert allerdings nicht, dass Kinder, Eltern und Träger zwischen den unterschiedlichen Systemen zerrieben werden. Es gilt daher mit dem letzten Schritt diese Übergänge verbindlich gesetzlich zu gestalten.
Wir können uns jetzt Gedanken machen, wie wir unsere Angebote öffnen, wie wir Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gleichermaßen ansprechen und ihnen unsere Angebote ermöglichen. Eine Frage, die uns beschäftigt: Was wissen wir über Familien mit behinderten Kindern? Verfügen wir über Praxiserfahrung? Über die notwendige fachliche Qualifikation? Die Forschungsarbeit können wir nicht leisten, aber uns Gedanken aus unserer Praxis heraus machen. Und unsere Fachkräfte entsprechend qualifizieren – und auch zusätzliches Personal bereitstellen.
Die Diskussion auch im Workshop hat noch einmal belegt: Eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe wird es nicht zum Nulltarif geben. Weiterqualifizierung und zusätzliches Fachpersonal in der Freien Kinder- und Jugendhilfe sind genauso die Grundlage wie entsprechend qualifiziertes Personal in der Öffentlichen Jugendhilfe. Vielleicht lassen sich ja hier sogar Synergien bilden.
Ein Ansatz für die praktische Weiterentwicklung unserer verbandlichen Praxis kann auf jeden Fall eine Qualifizierung des vorhandenen Personals sein. Eine Art kleine Lösung, wenn man so will, aber auch die kostet Geld und will konzipiert werden.
Wo immer wir können, werden wir unsere Kräfte auf die Umsetzung der inklusiven Jugendhilfe fokussieren – und uns für eine solide Umsetzung auf allen Ebenen stark machen. Und sind offen für Gespräche und Ideen.
Die beinahe siebenjährige Übergangsfrist sehen wir als Gestaltungspotenzial, an einer inklusiven Jugendhilfe proaktiv mitzuwirken, Dinge auszuprobieren und unsere Fachlichkeit und unsere Angebote weiterzuentwickeln.
Bleiben Sie mit uns im Gespräch: Die nächste Veranstaltung in der Reihe folgt am 23. November 2021 zum Thema „Besserer Kinder- und Jugendschutz – Umsetzung des KJSG in der Praxis“. Hier geht es zur Anmeldung.
Weiterführende Links
FAQs zur SGB VIII-Reform: https://www.dijuf.de/SGB-VIII-Reform-FAQ.html