3 Männer im Gespräch in einem Innenhof
Josch Krause (DRK) und Andreas Mölle

Interview über die Herausforderungen der Wohnungslosigkeit

Wohnungslosigkeit und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sind drängende Probleme unserer Zeit. Im Interview mit den Expertinnen und Experten vom Arbeitskreis für Jugendhilfe in Hamm beleuchten wir Missverständnisse und Herausforderungen, mit denen wohnungslose Menschen tagtäglich konfrontiert sind.

Welche Missverständnisse begegnen Ihnen häufig in Bezug auf das Thema Wohnungslosigkeit? 

Dr. Daniela Klein: Ich glaube viele verstehen nicht, dass es tatsächlich jedem passieren kann. Dass es zu jedem Schicksal auch eine Geschichte gibt. Und dass es manchmal purer Zufall ist, dass es manche Menschen trifft und andere nicht. Diese Menschen hatten vielleicht einfach nicht so viel Glück wie andere. Diese Tatsache ist leider nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein.

Ich glaube viele verstehen nicht, dass es tatsächlich jedem passieren kann.

Was finden Sie bei dem Thema besonders schwierig?

Ärtzin Hilft wohnungslosem Menschen
Dr. Daniela Klein (DRK) Initiatorin der ärztlichen Sprechstunde, im Gespräch

Josch Krause: Wohnungslosigkeit darf nicht zur Normalität werden. 
 

Es ist ein lösbares Problem! Aber wenn es in den Köpfen der Menschen und der Politik ignoriert oder zur Normalität wird, dann wird es schwierig.


Auch für wohnungslose Menschen darf es nicht “normal” werden.  Es wird mit der Zeit auch für sie immer schwieriger. Teilweise leben sie dann in den Wohnungen, als würden sie noch auf der Straße leben, weil sie das jetzt so verinnerlicht haben. 

Was meinen Sie damit? 

Josch Krause: Ich werde das nie vergessen. Das war für mich ein dramatisches Erlebnis. Eine Vermieterin hat mal angerufen und sagte Josch „Ich weiß nicht mehr weiter. Dieser Mensch hat ein neues Bett und der schläft in seinem Zimmer weiter im Zelt.“ Was er nachts um sich hatte, das war sein Schutzraum geworden. Bis man zurückfindet ist es wirklich viel, viel Arbeit, die investiert werden muss. Schlussendlich landete er wieder auf der Straße. Das ist eine traurige und gleichzeitig verrückte Geschichte: Einen Tag bevor ein neuer schicker Spielplatz eröffnet wurde, tauchte ein halbseitiges Foto in der Zeitung auf, von einem Zelt, was frisch auf diesen nagelneuen Gummiboden verankert war. Wir Sozialarbeiter wussten sofort, wer das war.  

Aber da sieht man, wie bunt und schwierig Lebensgeschichten sein können. Dahinter steht natürlich eine ganze Geschichte, die ich hier gar nicht so erzählen kann. Und es hat natürlich alles Gründe, dass sich das alles so entwickelt hat.

Hilft es, darüber in der Öffentlichkeit zu reden?

Mann steht vor einer weißen Wand in einem Innenhof
Josch Krause (DRK) Dipl.-Sozialpädagoge, Sucht- und Schuldnerberater

Karina Penner:  Ich glaube, wenn solche Geschichten und Schicksale mehr in der Öffentlichkeit wären, hätte man eher die Möglichkeit, sich weiter darüber zu informieren - oder das Problem wäre vielleicht mal auffälliger. 

Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es dadurch für obdachlose Personen einfacher werden könnte, an Hilfe zu kommen.


Denn wenn mehr Leute mit den Problemen und Hilfsangeboten in Berührung kommen, dann wissen sie: „Ach, du kannst doch da und da hingehen, da gibt es auch die Beratungsstelle“. Wohnungslose müssten nicht erst diese Hürde auf sich nehmen zu suchen, sondern es wäre allgemein präsenter ist und entsprechend einfacher. 

Erzählen Sie uns vom Alltag beim Arbeitskreis für Jugendhilfe. 

Josch Krause: Also bei uns heißt der methodische und pädagogische Ansatz “niedrigschwellige Hilfe”. Die Angebote sind also ohne Vorbehalte. Man kann diese Angebote annehmen, muss aber nicht. Und wir haben eine breite Palette von Möglichkeiten für wohnungslose Menschen: eine ärztliche Sprechstunde, offene Treffs mit Frühstück mit heißen Getränken und einem Ort zum Aufwärmen. Nicht unwichtig! Wir bieten auch einen Internet-Hotspot an, damit können sie ihre Handys benutzen, einen Vermieter anrufen und auch eben ein bisschen in der digitalen Welt teilhaben. Wir haben außerdem eine Gepäckschließfachanlage, wo wohnungslose Menschen vier Jahre lang Gepäckstücke, Rucksäcke oder Schlafsack unterstellen können, sodass diese trocken und vor allem sicher sind. Wir bieten aber auch  eine Art Geldverwaltung an und wir vermitteln zum Beispiel zu medizinischer Versorgung und Wohnmöglichkeiten. 

So haben wir einfach ein sehr breites Angebot, wie wir wohnungslosen Menschen helfen können, sodass zumindest ihre Existenz abgesichert ist. Das ist immer der erste Schritt.


Karina Penner: Ich persönlich leite das Wohnprojekt "Zimmer mit Zukunft". Hier bieten wir ehemals wohnungslosen Menschen, die durch Suchtmittel erkrankt sind, Wohnraum und individuelle Betreuung. Ich unterstütze sie bei Konflikten, bürokratischen Angelegenheiten und der Entwicklung von sogenannter “Wohnfähigkeit”. Sie können erst mal schauen, „Wo brauche ich Hilfe, was sind überhaupt meine Wünsche, wo brauche ich Unterstützung?“. Und das pendelt sich so ein Bisschen ein.  

Erstmals Sicherheit geben, ein warmes Zuhause und dann kann man weiter schauen.

Junge Frau mit braunen Haaren
Karina Penner (DRK) Sozialarbeiterin, Zimmer mit Zukunft

Josch Krause: Absolut. Das, was für mich immer das Rote Kreuz auszeichnete, war einfach die Menschlichkeit.   

Man hilft, wenn ein Mensch in Not ist.


Für mich ist es auch eine Verletzung meiner Person, wenn ich sehe, dass Menschen nicht an unserer Gesellschaft teilnehmen können, dass sie ausgeschlossen sind. Dann fühle ich mich sehr aufgerufen. Da muss ich was dagegen tun.   

Was gibt Ihnen Kraft, um die alltäglichen Herausforderungen Ihrer Arbeit zu meistern? 

Karina Penner: Es gibt aber tatsächlich einfach schöne Momente, sonst würden man das, glaube ich, nicht so lange durchziehen. Und das ist dann, finde ich, sehr bewegend und man sieht die Lebensfreude ist irgendwie trotzdem da.  Die erste Herausforderung, finde ich, ist immer, erst mal zu überhaupt die Beziehung mit den Klienten so weit aufzubauen. Das dauert sehr, sehr lange. 

Und dann ist es erstaunlich, zu sehen wie Menschen aus Situationen selbst die Kraft hatten, da rauszukommen. Und diese positiven Beispiele motivieren dann auch. Das gibt mir ja auch ganz viel. 

Gibt es noch weitere Gedanken, den Sie teilen möchten? 

Karina Penner: Die Wohnungslosen werden immer mehr und es muss auf jeden Fall mehr Angebote geben. Das ist vielleicht auch da sind sich alle einig. Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft offener wird, solche Beziehungen zu fördern. Die Ratsuchenden tragen teilweise auch eine gewisse Scham, sich auf “normale" Menschen einzulassen, und wir haben vielleicht unsere eigenen Bedenken, auf sie zuzugehen.

Es ist schön, wenn Situationen entstehen, in denen wir erkennen, dass alles normal ist. Wir sind alle Menschen und kämpfen mit ähnlichen Herausforderungen. Es ist gar nicht so kompliziert.

Der Arbeitskreis Jugendhilfe e.V.

Josch Krause, seit den frühen 90er Jahren Teil des Teams des Arbeitskreises für Jugendhilfe e.V., begann als Praktikant in der niedrigschwelligen Hilfe für kranke und wohnungslose Menschen. Karina Penner fand während ihres Studiums der Sozialen Arbeit ihre Leidenschaft für Suchthilfe und niedrigschwellige Unterstützung beim Arbeitskreis. Dr. Daniela Klein, ehemalige Internistin, schloss die medizinische Versorgungslücke für die Wohnungslosen, indem sie eine Sprechstunde einführte. Aus der Einzelinitiative entstand ein Team von neun Krankenschwestern, medizinischen Fachangestellten und drei Ärzten, die gemeinsam die ganzheitliche Betreuung sicherstellen.