Aber warum eigentlich dazwischen? Dass Digitalisierung mehr als in allen anderen Bereichen des Lebens in der frühen Erziehungsphase zu Ambivalenz führt, zog sich wie ein roter Faden durch den Tag. Aber – das vorweggenommen – wie ein DRK-emotional roter Faden!
Der Morgenkreis
Die Eröffnung des Workshop-Tages übernahm Gerd Diesel, Vorstand des DRK Landesverbandes Westfalen- Lippe. Er gab offen zu: bei seinen Kindern versucht er die digitalen Tools auch noch im Rahmen zu halten – und weiß doch auf der anderen Seite, wie wichtig sie gerade für das Leben benachteiligter Menschen sind. Digitalisierung bedeutet hier eine neue Schwelle ins Leben, echte Teilhabe: sei es durch Sprachassistenten, durch Überwachungssysteme oder durch Mobilitätshilfen. Und genau dies beschreibt das Spannungsfeld, in dem wir uns – jeder Mensch jeden Tag – bewegen. Wir wissen, dass uns Maschinen, Programme und Tools unterstützen, aber wir haben Angst davor, davon abhängig zu werden, überrollt zu werden – gar „entmachtet“ zu werden. Wenn aber Digitalisierung doch eigentlich zu „mehr Leben“ führt – warum nicht auch in der Kita? Warum nicht auch für und mit Kindern, die ganz selbstverständlich mit Tools aufwachsen und sie intuitiv in ihr Leben integrieren? Das wird Aufgaben dieses Workshops sein: diese Lücke zu schließen. Die positiven Aspekte zu kommunizieren.
© Markus G. Oh
Die Lernrunde
Vor der aktiven Arbeit für alle Teilnehmer gab es noch einen zweiten Impuls: Nina Andernach vom Institut für frühkindliche Bildung hatte den ziemlich vollständigen Abriss der letzten 50 Jahre Digitalisierungsgeschichte mit einem Fokus auf Medienkompetenz und Bildung mitgebracht. Das mehr oder weniger laute Getuschel (in der Kita hätte es sicher im Sitzkreis einen mild-strengen Seitenblick gegeben) zeigte deutlich: hier finden wir uns alle wieder. Denn der Konsum von Medien ist ja kein neues Phänomen. Medienhelden hatten wir immer. Alle.
Lassie, Wickie, das Sandmännchen, Urmel aus dem Eis und Winnetou waren es damals.
Eisprinzessin Elsa, SpongeBob, Feuerwehrmann Sam und Peppa Wuz sind es heute.
Und? Was ist nun schlimm daran? Eigentlich nichts. Nur die Erkenntnis, dass sich unser Medienverhalten verändert hat. Und zwar quer durch alle Generationen. Darum muss sich auch unser Umgang mit Medien verändern. Verteufeln nützt genauso wenig, wie die Dauerschleife vor dem Tablet. Es geht wie so oft darum, aus Ambivalenz Balance zu machen. Nicht mehr – aber eben auch nicht weniger.
Digitalisierung in der Kita bedeutet keineswegs, dass wir jetzt Tablets in den Einrichtungen zur Verfügung stellen und Netflix auch dort omnipräsent ist – manchmal scheint das die Angst der Eltern zu sein. Es kann und darf aber auch nicht sein, dass wir die Kita zum medienfreien Ort machen wollen, um das eigene Verhalten zu kompensieren.
Stellt man sich doch einmal eine Kitagruppe vor, die mit dem Tablet in den Wald geht und dort mit Hilfe von Apps Pilze und Blätter bestimmt. Oder Kinder, die sich mit der Digitalkamera gegenseitig fotografieren und danach ganz analog ihr eigens Gruppenmemory basteln. Eine Gruppe, die ihr eigenes Hörspiel aufnimmt, das zum Schluss allen Kindern und Eltern als Erinnerung zur Verfügung steht. Das klingt doch gut, oder?
Dem Vortrag folgte eine Diskussionsrunde, die vermutlich schon den Rest des Tages gefüllt hätte. Ideen, Vorbehalte, Beispiele, Fehler, Projekte, Ängste: die Vielfalt der Rückmeldungen war Spiegelbild der Brisanz und der Aktualität des Themas.
Raus zum Mitmachen
Und dabei ging es mit den Workshops erst richtig los.
Klaus Tembrink vom DRK-Bildungswerk Borken hatte Anschauungsmaterial im Gepäck: die Beebots (Bienen sind ja sowieso in aller Munde und irgendwie auch ein perfektes Bespiel für die Balance zwischen analog und digital).
Erstmal unscheinbar diese kleinen Bienen, die auch nicht viel mehr als „rechts – links – geradeaus“ können. Tja, soweit unsere Wahrnehmung. Kinder können damit viel mehr. Sie können Kitawege erkunden, Städte bauen, auf Gedankenreise gehen und ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Tools werden so eingesetzt, wie es ins Spiel passt. Dass man nebenbei Zählen lernt, die Himmelsrichtungen oder sogar mehrschrittiges logisches Denken – wen interessiert das, wenn es gilt, als Erster beim grünen Wolkenturm oder bei der Gummibärchentüte zu sein? Wir haben es live getestet. Es stimmt. Reiz gesetzt – Ehrgeiz geweckt.
© Marus G. Oh
Anja Pielsticker von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur hatte im zweiten Workshop den Spracherwerb und die Kommunikation im Visier. Auch sie weiß: digital ersetzt niemals analog und der wohldosierte Umgang mit Werkzeugen ist immer Aufgabe jeder Kommunikationsbeziehung (nicht zuletzt wünschen auch wir Erwachsene uns die volle Aufmerksamkeit unseres Gegenübers). Aber digitale Medien können so vielseitig sein: Bildermemories, der virtuelle Kitaweg als Verkehrserziehung oder die Entwicklung eigener Geschichten. Ein Impuls – ein Tool – eine analoge Umsetzung. Das Springen zwischen den Welten erfolgt bei den Kindern ganz selbstverständlich. Sie separieren nicht.
Spielerisches Lernen macht allen Spaß! Das kann im Wald, auf dem Spielplatz, am PC – ja überall stattfinden.
Warme Dusche - danke: Echte Begeisterung, neue Ideen, viele Diskussionen
Die DSGVO – so gut sie gemeint ist – hat unseren Wirkungs- und Bildungsbereich an der falschen Stelle getroffen. Wir haben Angst bei jedem Foto, bei jeder Anwendung, bei jeder Mail. Das ist falsch. Angst ist falsch. Hierüber zu kommunizieren auf Eltern und Erzieher*innenseite: Das muss passieren. Denn wir werden unsere Kinder nicht erziehen können in einem Bienenstock ohne Ein- und Ausgang. Und wir wollen auch nicht, dass sie als ferngesteuerte Beebots durch die Welt navigieren. Wir müssen ihnen so viel Schutz wie nötig und so viel Medienkompetenz wie möglich mitgeben. Wir wünschen uns, dass sie verstehen, wie Technik, Natur, Digitalisierung und Mensch zusammenspielen. Und wie wir daraus MEHR machen können.
Larissa Aldehoff vom Kompetenzzentrum Digitalisierung staunt über die Schätze und die Vielfalt an Projekten, die in den Einrichtungen schon laufen. Hiervon muss der Verband unbedingt profitieren. Diese Praxiserfahrungen sichtbar zu machen ist Ziel des Praxistages. Und umgekehrt neue Methoden und Tools in die Einrichtungen zu streuen. Handlungsfähig und mutig zu machen für neue Erziehungswege mit verlässlichen Werten.
© Markus G. Oh
Unsere Kitamappe
Die Teilnehmenden waren begeistert – jetzt muss das Gelernte ganz nah ans Leben ran – ins Lummerland, in die Schatzkiste, in die Villa Kunterbunt und zu den kleinen Forschern. Die Einrichtungsleiterinnen und -leiter wünschen sich solche Initiativen und Workshops vor Ort. Damit digitale Projekte nicht immer an Ressourcen und knapper Zeit haken, sondern selbstverständlicher Bestandteil des Erziehungsalltags, des Spielens und Lernens werden. Aus vielen kleinen Initiativen entsteht Neues. So wie heute. Wir nehmen mit: viele neue Ideen und Denkanstöße!
Und ein Gruppenfoto – mit Zustimmung aller.
© Markus G. Oh
Autorinnen und Autoren: Julia Collard und Sven Schnitzler von Doppel[t]spitze