Damit es Kindern gut geht, sind viele Faktoren unter einen Hut zu bringen. Wie man das macht, weiß Simone Klawonn, 50 Jahre, Kita-Praxisberaterin im DRK Kreisverband Fläming-Spreewald. Sie berät Menschen, die beruflich mit der Entwicklung von Kindern zu tun haben und diejenigen, die in Gremien dafür die Entscheidungen treffen.
Wie sieht Dein Arbeitstag aus?
Mein Alltag ist geprägt von der Sicht auf die Anderen. Als Kita-Praxisberaterin ohne Fach- und Dienstaufsicht spreche ich mit allen Beteiligten: dem Träger, den Abteilungen, den Kitaleitungen und den Erzieherinnen und Erziehern aus den Häusern für insgesamt 1400 Kinder. In Brandenburg heißt die Aufgabe „Praxisberater*in“, bundesweit nennt man es „Fachberater*in“, das ist in Brandenburg einfach historisch so gewachsen. Ich habe ein Büro in Luckenwalde, unserer Geschäftsstelle. Hier sitzt meine Abteilungsleitung, die Geschäftsführung und die Verwaltung. Das ist mein fester Anlaufpunkt. In der Regel fahre ich aber zu den Kolleg*innen in die Einrichtungen, arbeite mit Praxis- bzw. Fachberater*innen auf Kreis- und Landesebene zusammen, bin in unseren Partnerkommunen unterwegs, arbeite gelegentlich in Gremien des Ministeriums und der Landkreise. In Situationen, in denen sich Kinder längere Zeit ungewohnt verhalten, rufen mich die Kolleg*innen, damit ich mir in der Gruppe ein Bild machen und ihnen eine Rückmeldung zu den möglichen Ursachen geben kann. Außerdem berate ich bei neuen Konzeptionen oder begleite Programme wie das Curriculum „Was MACHT was?!“, das über den Bundesverband kommt und Macht in pädagogischen Beziehungen thematisiert. Zu Teamtagen bin ich dann mit den Kitas unterwegs und wir erarbeiten die Inhalte. Darüber hinaus sitze ich mit meiner Abteilungsleitung zusammen und wir prüfen, wie wir die Qualität in den Einrichtungen, beispielsweise durch finanzielle Unterstützung der Kommunen oder pädagogischen Input, weiter entwickeln können. In meiner Arbeit geht es sehr viel um Beziehungen: Beziehungen pflegen, Beziehungen aufbauen, prüfen, ob sie eventuell gestört sind und Unterstützung geben, damit sie wieder in Fluss kommen. Das gibt es selbst in der Gremienarbeit. Auch hier müssen Beziehungen so laufen, dass wir vor Ort gute Pädagogik machen können. Oft geht es nur darum, einfach mal reinzuschauen und mögliche Gründe für ein Dilemma zu beleuchten. Dadurch, dass ich bei einem Träger arbeite, bin ich nah dran an den Menschen. Hier kann ich selbstständig, verantwortlich und partizipativ arbeiten. Dafür fahre ich jeden Tag sechzig Kilometer zur Arbeit und zurück. Das ist es mir wert. Das DRK ist für mich über die Jahre der beste Arbeitgeber geworden.
Welche Tätigkeiten sind Dir besonders wichtig und warum?
Sie sind mir alle wichtig, das geht ineinander über. Ich habe aber besonders liebgewonnene Tätigkeiten. Das ist eher die Arbeit in den Kitas. Die Beratung, die relativ niederschwellig und schnell für das Kind Linderung in schwierigen Situationen bringt. Denn eine Praxisberatung wird häufig gerufen, wenn Beratungsbedarf ist. Das ist meist in Krisensituationen der Fall. Meine anderen Tätigkeiten sind aber genauso wichtig. Durch die Gremienarbeit kann ich Bedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass sich vor Ort etwas zum Besseren ändern kann. Ich bin gern an den Menschen, den Kolleg*innen und den Erzieher*innen vor Ort dran. Das macht mir ganz viel Freude. In meinem Kreisverband habe ich außerdem besondere Tätigkeiten, die nicht zur Praxisberatung gehören. So führe ich beispielsweise Probezeitgespräche in den Einrichtungen. Das ist ein Verfahren, mit dem wir schauen, ob eine neue Kollegin oder ein neuer Kollege gut angekommen ist und ob es Unterstützungsbedarf gibt. Dadurch bin ich dicht an den Themen dran. Das bindet und führt dazu, dass die Kolleg*innen schneller den Hörer in die Hand nehmen, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. Oder sie tragen es in die Einrichtung und sagen: „Ich hatte Bammel vor dem Gespräch, aber sie können wir uns in die Einrichtung reinholen. Mit ihr kann man wirklich reden.“
Das ist dann auch ein offener, ehrlicher Austausch. Nur so kann sich etwas bewegen, oder?
Ja, ich bin ohne Dienst- und Fachaufsicht. Die Kolleg*innen wissen, ich treffe selbst keine Entscheidungen. Ich berate diejenigen, die sie treffen. Ich binde immer die Werte des Roten Kreuzes in meine Beratung ein. In jedem Bereich, in dem ich unterstützend unterwegs bin, habe ich selbst jahrelang gearbeitet. Das heißt, ich bin die Erzieherin, ich bin die Heilpädagogin, ich bin die Kitaleitung, habe alles durchlaufen und weiß, wie es jedem an seiner Stelle geht. Das macht manchmal die Abgrenzung nicht einfach, weil ich mich so gut reinfühlen kann. Aber für die Kolleg*innen ist es authentisch. Wir wissen, wovon wir sprechen. Ich habe mit siebzehn, achtzehn Jahren als Erzieherin angefangen, noch zu DDR-Zeiten, also mit einer ganz anderen Pädagogik. Als ich zum DRK kam, war da dieses familiäre Miteinander. Im Kreisverband Köthen in Sachsen-Anhalt, woher ich vorher komme, habe ich eine Kita-Leitung übernehmen können, noch ohne jede Leitungserfahrung. Die Stelle war frei und sie fanden niemanden. Ich wollte unbedingt Kitaleiterin sein. Die Geschäftsleitung hat es mit mir versucht und mich noch vor Ende der Probezeit entfristet. Ich habe in dieser Zeit viele Fortbildungen absolviert und ganz viel auch über mich selbst gelernt. Ich konnte immer mit meinen Themen zu den Vorgesetzten kommen, mich ab und zu fallen lassen, hatte aber auch immer die richtigen Menschen an meiner Seite. Jetzt ist es genauso. Auf jeder Ebene im DRK sitzen Menschen, die denken wie ich, die fühlen wie ich. Wir können uns jederzeit zusammensetzen und reden. Das ist ein so wertschätzendes Miteinander. Als ich nach Potsdam zog, habe ich zunächst noch als Kita-Leitung gearbeitet. Später wurde ich in die Praxisberatung geholt. Das war mein großer Wunsch. Sie haben da etwas in mir gesehen, was mich die Aufgabe ausfüllen lässt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Die Pandemie stellt die Welt auf den Kopf. Die Kinder und ihre Familien brauchen Euch jetzt mehr denn je. Was hat sich in Deiner Arbeit für Dich verändert?
Das ist ganz widersprüchlich. Aus Nähe wurde Distanz und aus Distanz wurde Nähe. Das war eine eigenartige Situation. Ich bin immer gerne vor Ort, aber das ging ja nicht mehr, hier war plötzlich Distanz. Aber in der Situation selbst entstand eine andere Nähe. Eine in der Unterstützung, in der Begleitung. Es ging alles so schnell. Die Kolleg*innen vor Ort mussten ad hoc reagieren. Davor habe ich großen Respekt. Auch vor den Familien, die zum Beispiel mit Homeschooling gekämpft haben. Die Kitaleitungen haben wahnsinnig schnell so viel Arbeit geleistet. Sie mussten sich auch um Themen kümmern, die eigentlich nicht ihre Aufgabe sind. Zum Beispiel, den Familien mitteilen, ob sie ein Recht auf Notbetreuung haben oder nicht. Das hat während der Pandemie im Frühjahr für Unruhe gesorgt. Aber im Nachgang bei einer Elternumfrage hatten wir sehr viele positive Rückmeldungen. Das war nicht einfach, die Kolleg*innen mussten mit den Eltern ins Gespräch kommen, obwohl die digitalen Vorrausetzungen nicht überall gegeben sind. Manche Regionen sind nach wie vor nicht richtig erschlossen. Die Kolleg*innen sind teilweise los und haben Briefe in die Briefkästen geworfen, haben angerufen und für die Familien etwas erarbeitet. Durch die Erfahrungen hat sich auch die Beratung verändert. Das gilt für das Thema Digitalisierung, also Kita-App, Tablets in den Einrichtungen usw., das jetzt stärker in den Vordergrund rückt. Auch die Arbeit unter Pandemiebedingungen ist unabdingbar, denn jahrelang erarbeitete Pädagogik, also offene Strukturen, offene Gruppen, das alles wird jetzt gerade stark eingeschränkt. Das führt dazu, dass wir in bestimmten Situationen sogar rückschrittig sind. Aber die Offenheit hatte einen Sinn. Zum Beispiel, dass wir so in pädagogische Beziehungen reinschauen, und wenn es nur das ist, dass eine Erzieherin einer Nachbargruppe in einer schwierigen Situation mit einem Kind steckt und die Kollegin kann ihr nicht zur Seite stehen, weil die Tür zu sein muss.
Welchen Stellenwert hat für Dich das Wohl der Kinder im Alltag?
Egal was ich tue, alles dreht sich ums Kind. Aus der Ferne und in der Nähe. Unser ganzes Handeln ist auf das Wohl des Kindes ausgerichtet. Wenn wir so denken, sind wir richtig. Deswegen bin ich auch eine Gremienkämpferin geworden. Damit die Entscheidungen, die die Kinder nicht sehen, ihnen am Ende zugutekommen.
Warum hast Du Dich für den Beruf entschieden?
Das Kuriose ist, es gibt keinen Beruf, der Fach- oder Praxisberater*in heißt. Es ist eine Funktion, zu der es Fortbildungen gibt. Als ich damals in Sachsen-Anhalt meine ersten Schritte als Kitaleitung gegangen bin, habe ich gemerkt, dass es gute und verlässliche Beziehungen mit den Fachkräften geben muss, damit es den Kindern gut geht. Das bekommt man nur hin, wenn man mit ihnen arbeiten kann. Damals habe ich gespürt, dass, wenn man dies in der Breite anlegen will, man die Gremienarbeit dafür braucht. Das ist auch der Grund, warum ich in die Fachberatung gehen wollte. Ich möchte das Thema breiter aufstellen und das, was ich in der Kita sehe, in andere Bereiche einbringen. Auch damals schon, als ich als Krippenerzieherin angefangen habe, schlug mein Herz für die Kinder.
Wie könnt ihr Euch als Mitarbeitende mit Euren Wünschen, Fähigkeiten und Talenten einbringen? Ich empfinde bei Dir eine große Empathie…
In jeder Ausbildung lernt man ja ein Stück dazu. Für meine jetzige Aufgabe bin ich systemische Beraterin geworden und habe dabei einiges über mich selbst gelernt. Das hat mich auch empathisch weitergebracht. Ich kann seither viel schneller in den Perspektivwechsel gehen. Der Schlüssel ist, authentisch zu sein. Ich bin einfach Simone. Wenn ich in die Einrichtung gehe, ich brauche kein „Sie“ dazwischen.
Welche Eigenschaften verbinden die Menschen, die in der Kita arbeiten?
Das ist zum einen die Sicht aufs Kind. Das Kind steht immer im Vordergrund und dann, dieses gestalten zu können. In jeder Einrichtung sieht man die Handschrift desjenigen, der das betreffende Haus leitet. Das ist im DRK besonders. Bei anderen Trägern ist das nicht so, da sieht alles gleich aus. Uns wird viel Vertrauen von den Vorgesetzten entgegengebracht. Auch mir gibt man so viel Vertrauen mit. Und es gibt diesen doppelten Boden. Wenn doch mal etwas schiefläuft, wird nicht der Kopf gewaschen, sondern die Hand gereicht.
Welche schönen Momente geben Dir Kraft und Zuversicht?
Heute Morgen hatte ich ein Gespräch mit einer Kollegin, einer Kitaleitung, die aufgrund einer engen Personalsituation schier verzweifelt ist. Ich konnte mit ihr zusammen einen Plan schmieden, ihr beistehen, Mut machen und zum Ende des Gespräches haben wir gemeinsam lachen können. Sie war so befreit. Dann geht es auch mir gut, das gibt auch mir Kraft, wenn ich hier unterstützen konnte. Das sind meine Momente, wenn ich meinem Gegenüber ein Stück Entlastung bringen kann und den Weg ebne.
Wie zeigt sich beispielsweise der Grundsatz der Menschlichkeit in Deiner täglichen Arbeitsweise oder in Deinem Erleben? Schwingt das immer mit?
Das lebe ich in allen Beziehungen. Die Tage hatte ich ein Gespräch, da habe ich gesagt: „Ich kann gar nicht verstehen, welche Sicht Du auf Menschen hast. Ich habe ein ganz anderes Menschenbild.“ Ich mag es beispielsweise nicht, wenn man über andere urteilt, ohne sie zu kennen. Da werde ich wütend. Das ist aber wichtig. Man muss ein Menschenfreund sein, um Menschlichkeit zu geben.
Was bestärkt Dich, das Richtige zu tun?
Für mich ist das Curriculum des DRK „Was MACHT was?!“ ein ganz zentraler Punkt. Als das vorgestellt wurde, habe ich mir gedacht, hier kannst du leben, was dich ausmacht. Eben den Menschenfreund. Zu gucken, wie müssen Beziehungen laufen, damit Kinder gut in die Entwicklung kommen. Auch ich habe noch gelernt, dem Kind das Lätzchen unter den Teller zulegen, damit das T-Shirt schön sauber bleibt. Das sind erlernte Dinge, die in Stresssituationen eher auftauchen als in stressfreien Momenten. Da ist es richtig, Menschen, die mit Kindern unterwegs sind, zu zeigen: „Komm wir machen das. Lass uns miteinander in den Austausch gehen. Lass uns miteinander reden, lass uns miteinander ansehen, was passiert. Lass es uns nicht verteufeln. Denn alles hat ja seinen guten Grund. Es hat aber auch einen guten Grund, warum wir es ändern müssen.“ Es ist vielmehr die Frage: „Wie kriegen wir das hin?“ Wir machen uns auf den Weg. Das Curriculum hat mir so viel gegeben. Ich war gerade wieder unterwegs. Einfach nur zu sehen, dass das Team offen und frei über Ängste und Sorgen sprechen konnte, ohne bewertet zu werden. Das hat mich total begeistert, das macht diese Arbeit so besonders.
Welches „kleine Wunder“ hast Du im Alltag / in Deiner Berufserfahrung erlebt?
Neben meiner Geschichte ist es das Curriculum, das meine Haltung widerspiegelt und mir den Weg ebnet, mit meinen Kolleg*innen diese Themen der Menschlichkeit und auch der Unparteilichkeit gut gehen zu können. Wir haben die Inhalte auf so wertschätzende Art und Weise bearbeitet und deswegen sind die Prozesse im Haus auch sehr schnell in Bewegung geraten. Wir konnten miteinander in den Austausch gehen, zusammen in Biografien einsteigen, darüber nachdenken, ob das, was ich gelernt habe, noch das ist, was ich gerade brauche oder, ob es ein anderer Weg sein soll.
Gibt es einen Gedanken, den Du teilen möchtest? Liegt Dir etwas besonders am Herzen?
Ich finde es richtig, immer mal wieder ein Stück zurückzutreten und sich die eigenen Emotionen und Bedürfnisse anzuschauen. In jedem Gespräch, das ich führe, kann ich eine Haltung haben. Mein Gegenüber kann aber genauso seine Haltung haben. Das ist ok. Und das ist wichtig zu erkennen und zu beachten. Auf die Beziehungen und das Miteinander kommt es an.
Von Heike Harenberg & Dorian Lübcke
Das Interview ist Teil des Projekts „DRK erleben“ für die Hauptaufgabenfelder Kindertagesbetreuung und Altenhilfe und mit wird mit Mitteln der GlücksSpirale gefördert.