Ramona Streisel, Kita Leiterin Kromsdorf / DRK

„Da war so eine Stille nach dem sofortigen Schließen, das erste Lachen wieder zu hören, das tat so gut“

Ramona Streisel leitet die DRK KiTa "Rappelkiste" Kromsdorf. Ein Gespräch über den Alltag während der Pandemie. Über Dankbarkeit, Zuversicht und den peniblen Umgang mit Hygienevorschriften. Das Interview ist im Projekt "DRK erleben" geführt worden, in dem Mitarbeitende der Kindertagesbetreuung und Altenhilfe ihre "täglich kleinen Wunder" teilen.

„Systemrelevant“ ist ein Wort, das aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken ist. Doch hinter dem Begriff verbergen sich Menschen mit Überzeugungen, Ängsten und einer unerhörten Kraft. Einer davon ist Ramona Streisel, 54 Jahre, Leiterin der KiTa "Rappelkiste" in Kromsdorf im DRK-Kreisverband Apolda.

Ramona, wie groß ist die Einrichtung, die Du leitest und welche Altersgruppen von Kindern betreut Ihr? 

Ramona Streisel: Wir haben zweiundneunzig Kinder und zwei Häuser. Ein Kindergartenhaus und eine Kinderkrippe, die auf dem gleichen Grundstück stehen und durch den Garten miteinander verbunden sind. Die Kinder kommen ab dem siebten Lebensmonat bis zum Schuleintritt zu uns. Wir betreuen die Kinder mit vierzehn pädagogischen Fachkräften, zum Team gehören auch ein Hausmeister und drei technische Mitarbeiter, die sich um Themen wie Reinigung und die Versorgung der Kinder kümmern, denn wir haben Vollverpflegung bei uns. Außerdem gibt es noch eine junge Frau aus der Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe nebenan. Sie kommt drei Tage in der Woche, vormittags für vier Stunden. Sie ist gern bei uns und für uns alle ist es ein gutes Miteinander. Ich finde es ganz wichtig, dass Kinder früh unterschiedliche Menschen kennenlernen.

Nach welchem pädagogischen Konzept arbeitet ihr und welche Vorteile seht Ihr gerade jetzt gegenüber anderen Einrichtungen? 

Wir arbeiten nach dem offenen Konzept. Das bedeutet, wir haben keine Gruppen, auch keine Stammgruppen.

Es gibt bei uns Betreuungserzieher, die für die Dokumentation der Entwicklung des Kindes und für den Kontakt und Austausch mit den Eltern verantwortlich sind. Die Kinder selbst kennen ihren Betreuungserzieher nicht. Jedes Kind soll das Recht haben, sich den Erzieher auszusuchen, bei dem es sich wohlfühlt, bei dem es merkt, er entspricht genau meinen Interessen, er tut mir gut, er versteht mich, zu ihm kann ich Vertrauen aufbauen. Und das sind nicht unbedingt die Erzieher, die wir zu Beginn als Betreuungserzieher benennen. Da geht es vielmehr um ein inneres Band, eine Bindung, die sich entwickelt. Die Kinder können frei wählen, das macht die offene Arbeit aus. Sie können beispielsweise auch wählen, wo sie den Vormittag verbringen. Wir haben verschiedene Funktionsbereiche: Bauen, Theaterspielen (Rollenspiel), Experimentieren, wir haben ein Kreativzimmer, ein Bewegungszimmer und den Garten. Die Kinder entscheiden: „Ist der Raum für mich wichtig? Sind meine Freunde in dem Raum?“ Oder sie entscheiden sich für eine Bindungsperson: „Wo ist der Erzieher, den ich gerade noch brauche?“ Kinder mit zwei Jahren, die bei uns im großen Haus sind, können das. Sie entscheiden auch mittags: „Brauche ich Ruhe, Schlaf oder Bewegung?“ Prinzipiell leben wir das in der offenen Arbeit so, dass die Kinder eigene Entscheidungen treffen können, aber sie müssen auch die Konsequenzen dafür tragen.

Sprechen wir über die Herausforderungen, die sich durch die Pandemie stellen. Die KiTas werden jetzt schrittweise wieder geöffnet, welche Maßnahmen habt Ihr konkret ergriffen, um die Vorgaben zu erfüllen?

Es war für uns die größte Herausforderung jetzt Gruppen zu bilden. Getrennte Gruppen, die sich nicht begegnen. Und das in einem Haus, in dem wir alles offen leben! Wir haben insgesamt fünf Gruppen zusammengestellt. Zwei davon sind nicht im Haus. Die beiden Außengruppen haben keinerlei Kontakt zum Kindergarten. Die Eltern bringen ihre Kinder direkt zu den Außenplätzen und holen sie dort auch wieder ab. Alle Gruppen haben eigene Bad- und Sanitäranlagen.

Eine der beiden Außengruppen ist einZeltkindergarten. Die Feuerwehr hat uns dafür eigens Evakuierungszelte im Schlosspark aufgestellt und die Erzeugergenossenschaft, die wir hier im Ort haben, einen Erntewagen, den sie sonst für die Mitarbeiter während der Erdbeerernte nutzt. Den Bereich, in dem die Zelte stehen, ist vom restlichen Park durch die Schlossmauer und eine extra gesetzte Umzäunung abgetrennt. Zwei Erzieher betreuen hier zwanzig Kinder. Wir können die Toiletten- und Sanitäranlagen der Schlossgaststätte nutzen, die derzeit geschlossen ist. Ansonsten sind die Kinder den ganzen Tag an der frischen Luft. Das sind auch die Kinder, die sich mittags nicht mehr für einen Mittagsschlaf entscheiden. Natürlich gibt es auch Kinder, die dann doch für sich entscheiden, ich bin jetzt müde, nehme mir eine Matte und lege mich hin. Das liegt daran, dass sie den ganzen Tag im Freien sind und sich in einigen Familien der Zeitrhythmus während der langen Pause zuhause verändert hat.

Die andere Außengruppe hat in unserem Kulturhaus Unterschlupf gefunden. Sie nutzen einen Saal, den man auch für Feierlichkeiten buchen kann und an den eine separate Küche und Toilettenanlagen angegliedert sind. Wir haben hier ebenfalls zwei Erzieher für neunzehn Kinder. Die Kinder sind am Vormittag immer in der Natur. Wir haben eine Mühle im Ort, die uns ihre Wiesen zur Verfügung gestellt hat. Auch dort steht ein Zelt, in dem wir die Utensilien untergebracht haben, die die Kinder am Vormittag brauchen. Zum Mittagessen kommen die Kinder wieder zurück in das Kulturhaus.

Die Jüngsten sind in der Kinderkrippe, das ist ja sowieso ein separates Haus mit eigenem Garten und Terrasse. Denn eine Auflage verlangt, dass sich die Kinder nicht im Garten begegnen dürfen. Die anderen beiden Gruppen sind im großen Haus untergebracht, jeweils eine Gruppe pro Etage. Jede Gruppe hat drei ErzieherInnen für dreiundzwanzig bis fünfundzwanzig Kinder. Damit konnten wir ab 25. Mai 2020 mit dem eingeschränkten Regelbetrieb beginnen. Wir hatten zuvor schon in der Notbetreuung zum Ende hin fünfundvierzig Kinder.

Dann war der Schritt zum eingeschränkten Regelbetrieb nicht mehr weit, oder?

Richtig, wir mussten dann (nur) noch die Außengruppen organisieren. Das lief aber gut. Wir informierten die Eltern im Vorfeld, dass wir uns ihren Bedarfen anpassen möchten und haben die Bring- und Abholzeiten für sechs Stunden Betreuungszeit abgefragt. Nach dem Errechnen der Dienststunden aller pädagogischen Fachkräfte und der Einteilung der Gruppen, konnten wir allen Familien mit dem Start in den Regelbetrieb sogar eine siebenstündige Betreuungszeit ermöglichen. Eine Frühdienstgruppe, für Familien, die beispielsweise in der Pflege arbeiten, eine spätere Gruppe, da kommen die Kinder erst um halb zehn und sind bis siebzehn Uhr bei uns im Haus. Außerdem haben wir eine Gruppe von halb acht bis vier Uhr. Hier entscheiden sich die Eltern, die Kinder um halb acht oder um acht zu bringen und entsprechend abzuholen. Uns war wichtig, dass die Familien wieder funktionieren und, dass wir Ihnen ein Stück Normalität zurückgeben können. Mitten in Coronazeiten haben wir dann noch zwei offene Erzieherstellen neu besetzt und können den Eltern seit 1. Juni 2020 siebeneinhalb Stunden Betreuungszeit anbieten.

Und wie funktioniert bei Euch das komplexe Thema Eigenschutz (bspw. das mögliche Tragen von Masken, die Einhaltung von Abstandsregeln, usw.), hier sind vermutliche kreative Lösungen gefordert?

Schon während der Notbetreuung haben die Kinder untereinander sehr darauf geachtet. Wir haben auch viel mit ihnen gesprochen: „Warum dürft ihr schon kommen und andere Kinder nicht?“ „Warum ist das jetzt so?“ „Was macht Corona eigentlich?“ „Warum gibt es Corona?“ Da kam dann unter den Kindern auch ganz oft: „Du bist jetzt zu nahe, geh einen Schritt zurück.“ Was sie gut einhalten ist, dass nur immer zwei Kinder am Tisch sitzen dürfen und essen. Ich finde es sowieso sehr erstaunlich, wie Kinder diese Veränderungen mitgehen können. Ich glaube auch, dass es ihnen leichter fällt, weil wir hier das offene Konzept leben.

Tragen denn die Erzieher bei Euch Masken oder geht das nicht?

Also, wir haben keine Maskenpflicht, das ist vom Gesundheitsamt nicht auferlegt. Wir haben aber die Regelung, dass Eltern eine Maske bei der Übergabe tragen. Wir selbst tragen Masken zum Schutz der Eltern, sobald wir näher als eineinhalb Meter an sie herankommen oder, wenn wir das Kind vom Arm übernehmen. Die Erzieher sind sich ihrer Verantwortung für sich selbst bewusst, das haben wir am Anfang so besprochen. Jeder muss an dieser Stelle für sich selbst Sorge tragen, das kann ich nicht anordnen. Das funktioniert aber gut.

Welche pädagogischen Herausforderungen zeichnen sich denn in der KiTa ab? Die lange Zeit zuhause ohne andere Kinder macht auch etwas mit den Kindern, oder?

Die größte Herausforderung für uns war wirklich, die Kinder in ihren Entscheidungen einzuschränken. Sie dürfen sich zum Beispiel aus Hygienegründen kein Essen mehr selbst nehmen. Das muss man sich mal vorstellen, wir müssen den Kindern das Essen auf den Tellern servieren. Die Kinder so in ihren Entscheidungen einzuschränken, dieses nicht mehr wählen können, das fällt schon schwer. Die Kinder können gerade keine Funktionsbereiche aussuchen, die ganze Tagesgestaltung entspricht einfach nicht unserem Verständnis von Bildung. Wir haben das Gespräch mit den Kindern und Eltern gesucht, die Akzeptanz für die Ausnahmesituation war aber von Anfang an da. Für uns war es zudem schwierig, wenn Eltern angerufen haben, und gesagt haben, ich brauche dringend eine Notbetreuung, und wir dann sagen mussten: „Wir können nur so entscheiden, wie es die Gesetzeslage zulässt.“

Aber das tut einem selbst doch auch in der Seele weh, man will doch helfen, oder?

Ja, sehr. Aber wir müssen auch schauen, dass wir die einen Eltern nicht anders behandeln als andere. Dafür hatten die Familien am Ende immer Verständnis.

Aber gibt es denn jetzt verstärkt Konflikte zwischen den Kindern, die Ihr schlichtet?

Überhaupt nicht. Keine anderen als sonst auch. Gerade in der Notbetreuung hat uns wirklich erstaunt, wie die Kinder zusammengewachsen sind. Selbst wenn der beste Freund mal nicht da war, konnten wir den Eltern sagen, dass sich das Kind neu orientieren konnte. Einfach weil die Kinder eine „Sucht“ auf andere Kinder hatten. Die Kinder haben mit Kindern in den verschiedensten Altersgruppen und auch mit Kindern gespielt, zu denen sie vorher wenig oder kaum Kontakt hatten. Da war eine große Offenheit der Kinder da. Das konnten wir den Eltern auch spiegeln, als wir die Gruppen nach den Zeitbedarfen der Familien gebildet haben. Die Kinder nehmen jeden an und genießen einfach nur mit anderen Kindern zusammen zu sein.

Überhaupt dieses Kinderlachen! Wir haben am Anfang in zwei Teams gearbeitet, damit der Kindergarten im Falle einer Infektion nicht komplett geschlossen wird, ein Team war im Kindergarten, das andere im Homeoffice. Da war so eine Stille nach dem sofortigen Schließen, das erste Lachen wieder zu hören, das tat so gut.

Kinder, die von Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind, brauchen Zeit und Aufmerksamkeit. Heute mehr denn je. Wie steht es um Eure zeitlichen Möglichkeiten in der Krise? 

Zum Glück waren die Kinder, die das betrifft, bei uns in der Notbetreuung, so dass wir sie die ganze Zeit hier hatten. Aber auch das Ankommen aller Kinder läuft gut. Wir sind für die Kinder da. Für das, was jedes Kind braucht, was es vielleicht aufarbeiten muss. Wir hören zu, führen Gespräche, auch mal allein mit einem Kind, das geht zeitlich, denn die Gruppen sind nicht so groß, dass wir das nicht möglich machen können.

Was uns fehlt, ist der Austausch. In der offenen Arbeit hatten wir in der Woche drei Mal eine Dienstberatung, da die Kinder nicht nur bei einem Erzieher am Tag sind. Der Austausch ist das A und O in der offenen Arbeit. Alle tragen Verantwortung, alle haben alle Kinder im Blick und begleiten sie in ihrer Entwicklung. Viele Augen und Ohren sehen und hören mehr, auf diese Weise entsteht ein realeres Bild. Durch die Gruppenbildung fällt das jetzt weg.

Wir schreiben jetzt wöchentlich Entwicklungsberichte für jedes Kind, damit wir, wenn die Zeit vorbei ist, wieder anknüpfen können: Woran hat das Kind gearbeitet, was waren die Interessen, welche Sorgen hatte es. Wir informieren die Eltern regelmäßig, sei es durch Mailkontakt, kleine Zettelchen oder die Kinder haben Bilder gemalt, zu dem was ihnen gerade wichtig ist.

Wie können Kinder mit (sozialen) Benachteiligungen, die durch ihr mehrwöchiges Fernbleiben nun erhöhten Förderbedarf haben, berücksichtigt werden und wie beziehst Du sie ein?

Bei uns erhalten die Kinder mit Förderbedarf weiterhin Unterstützung an Förderzentren. Außerdem haben wir in unserem Dorf den fürsorglichen Blick, da ist noch sehr viel Kennen und sehr viel Miteinander. Und das wird auch so gelebt.

Eltern, Angehörige usw. sind durch die Krise physisch und psychisch belastet und oft existenziell betroffen. Die Erwartungen von Wirtschaft und Politik sind hoch. Ihr seid jetzt wieder im eingeschränkten Regelbetrieb, wie bist Du mit dem Druck während der Notbetreuung umgegangen? 

Das war die Zeit, in der wir mit den Eltern sehr viel telefoniert haben. Von der ersten Woche an haben wir Kontakt über Mail gehalten und wöchentlich einen Gruß für Eltern und Kinder geschickt. Die Erzieher haben Material herausgesucht, wir haben Lieder für die Kinder gesungen, Geburtstagsgrüße geschickt und beispielsweise an der Regenbogenaktion teilgenommen. Die Kinder haben uns ihre selbstgemalten Regenbogen gebracht, die wir dann im Haus an die Fenster gehängt und fotografiert haben. Die Fotos haben wir den Eltern zurückgeschickt, damit die Kinder sehen konnten, dass auch ihr Bild aufgehängt wurde. Außerdem haben wir Sonnenblumen aus Papier gebastelt und Kerne dazugegeben, damit jedes Kind zuhause Sonnenblumen aussäen kann, die dann wachsen, wenn sie wieder in den Kindergarten kommen.

Die Eltern haben wir laufend über neue Regelungen informiert. Immer mit dem Angebot: „Ruft an, wenn wir etwas für Euch tun können“. Das haben die Eltern auch tatsächlich getan und sie haben uns später das Feedback gegeben, die Betreuung während der Isolation habe sie sehr gestärkt.

Als Du Dich für diesen Beruf entschieden hast, war eine Situation wie diese kaum vorstellbar.
Was bewegt Dich jeden Tag aufs Neue, die Herausforderungen anzunehmen? 
 

Das ist mein Traumberuf! Das wollte ich schon immer werden. Die glücklichen Kinder sind für mich das größte Geschenk, das ich jeden Tag erlebe. Das ist für mich Motor genug.

Lassen sich derzeit Dein Beruf und die Familie/ Privatleben vereinbaren? Wie passt das zeitlich derzeit für Dich?

Auch vor Corona habe ich meine Arbeit so gelebt, dass ich so lange brauche, wie ich brauche. Ich bin kein Mensch für Dienstzeiten und meine Familie kennt mich nur so. Zum Glück sind meine drei Kinder schon erwachsen und benötigen meine tägliche Sorge nicht mehr. Und mein Mann hat einfach Verständnis dafür. Ich bin jeden Tag von sieben bis siebzehn Uhr hier, um für alle da zu sein. Freitags kamen zuletzt oft neue Verordnungen, die bis Montag umzusetzen waren, da war ich sehr lange im Haus. Als ich jetzt noch, bedingt durch den Ausfall einer Kollegin, die Betreuung der Kinder in der Krippe mitabgedeckt habe, hatte ich den Spagat, dass ich bis mittags in der Krippe war, dann kam das Büro und dann erst der Kontakt zu den Eltern und alles andere. Aber ich mache es gern und deswegen fällt es mir nicht schwer.

Möglicherweise kümmert sich jemand aus Deinem Team oder kümmerst Du Dich selbst um Deine Eltern? Werden Angehörige gepflegt? Oder in Deinem Team gibt es jemanden dessen Partner oder Kinder zu einer Risikogruppe zählen? Wie geht Ihr damit organisatorisch um?  

Jede Familie hat ihre Not, das weiß ich. Ich habe Mitarbeiterinnen mit noch sehr jungen Kindern, die auch in unserer Einrichtung betreut werden. Der Träger hat, zu unserer Erleichterung, entschieden, dass sie ihre Kinder mitbringen dürfen. Andere im Team kümmern sich um ihre Eltern, auch ich habe eine Mutter im Alter von neunundachtzig Jahren, die ich nur am Fenster gesehen habe. Zum Glück konnte sich meine Schwester kümmern, die im selben Haus wohnt. Zu meinem Team habe ich gesagt, dass das jeder gut für sich selbst entscheiden muss. Jeder muss mit der Verantwortung umgehen. Auch diejenigen, die Menschen zuhause haben, die zu den Risikogruppen zählen. Sie alle haben für sich entschieden, zu kommen.

Wie geht es Euch mit den Ängsten, die mitschwingen (bspw. der Sorge um Angehörige oder der Möglichkeit, sich selbst zu infizieren)?

Ich denke, die Ängste sind da. Die haben die Kollegen auch am Anfang benannt. Dadurch, dass wir gesprochen haben, hat sich vieles relativiert. Sie wissen, sie können mit ihren Sorgen und Ängsten zu mir kommen, egal wann. Wir haben besprochen: „Wo hast Du eine Sorge, wo nicht, wo müssen wir etwas einschränken, wo nicht?“ Jeder hatte Zeit, das für sich zu entscheiden. Sie wissen, sie haben eine Verantwortung für sich selbst, die sie mit ihrer Entscheidung tragen. Diese Entscheidung habe ich akzeptiert. Unser Team hält aber zusammen, sie wissen, bei dem einen gibt es noch eine Oma, für die eingekauft werden muss, die andere hat noch junge Kinder, die im Homeoffice betreut werden müssen. Jeder nimmt auch Aufgaben für den anderen wahr. Das macht unser Team aus.

Wie zeigt sich beispielsweise der Grundsatz der Menschlichkeit in Deiner täglichen Arbeitsweise?

Das steckt überall drin. Es geht um Verständnis für jeden, egal, welche Situation es ist. Menschlichkeit findet sich in der Verantwortung, die ich allen gegenüber empfinde, Kindern, Team und Eltern. Die Krise können wir nur bewältigen, wenn wir uns an die gesetzlichen Vorgaben halten. Da hängen alle Kinder dran und ich bin so froh, dass sie hier sind. Also tun wir alles, um die Vorgaben, insbesondere die Hygienevorschriften, penibel einzuhalten. So können wir die Gesundheit aller schützen, darin sehe ich meine große Verantwortung.

Was bedeutet Dir die Arbeit gerade jetzt?

Die Herausforderungen zu meistern (lacht). Ich bin ein Mensch, der Herausforderungen sucht: Neues entdecken, sich weiterentwickeln, den Mut nicht verlieren. Ich bin ein Optimist, stecke nie den Kopf in den Sand. Ich finde immer einen Weg. Es macht mich glücklich, jeden Tag die vielen kleinen Freuden zu erleben und die Dankbarkeit, die da so rüberkommt.

Gibt es etwas, was Dir in der Krise Mut macht?  

Es sind die Kinder, die mir den Mut geben. Das Strahlen in den Augen und wenn sie sagen: „Weißt du Ramona, wenn Corona vorbei ist können wir auch wieder…“ Ihre Unbekümmertheit, sie haben nicht diesen Negativblick auf die Krise.

Und da können wir auch etwas lernen, oder?

Ja, sie haben diesen Optimismus, den ich weitergeben will. Auch das Verständnis der Eltern bestärkt mich, ihre Dankbarkeit. Der Austausch mit dem Träger, den Leitungen der anderen Kindereinrichtungen in unserem Kreisverband und der Fachberatung des Landesverbandes. Das ist wirklich meine Energietankstelle.

Hast Du in den vergangenen Wochen etwas Besonderes im Arbeitsalltag erlebt, dass Du teilen möchtest?  

Als die Kinder in die Notbetreuung gekommen sind, haben wir einen Film zu Corona gezeigt. Die Geschichten, die sie danach erzählt haben, waren umwerfend: „Das Virus sieht aus wie eine Kugel und es sind Stacheln dran, deswegen müssen wir jetzt eine Maske tragen. Man kann von Corona krank werden, aber man kann auch von anderen Krankheiten krank werden. Zum Beispiel von Krebs. Man kann von der Krankheit auch wieder gesund werden. Und wir müssen Abstand halten, in den Ellbogen nießen und husten, und wie die Ärzte die Hände waschen. Wir dürfen gerade nicht auf den Spielplatz und ich darf meine Oma noch nicht umarmen. Aber wenn Corona vorbei ist, dann darf ich das wieder und die zu meiner Familie gehören, die darf ich auch schon wieder umarmen. Das haben die Politiker erlaubt.“

Das knüpft an meine nächste Frage an, was bestärkt Dich, das Richtige zu tun? Welche schönen Momente geben Dir Kraft und Zuversicht? 

Die Kinder. Sie geben mir die Kraft, weil sie den Blick nach vorne richten. „Mach Dir keine Sorgen, Ramona, Corona geht vorbei“, sagen sie.  Aber auch mein Team, von dem ich weiß, sie stehen hinter mir. Die vielen Helfer hier im Ort, selbst Privatpersonen, die gesagt haben: „Ihr braucht noch Biertische? Kommt, Ihr könnt meine nehmen!“ Dieser Zusammenhalt, das macht es aus. Diese Woche haben wir ein Paket geliefert bekommen, mit einer großen Schleife, ein Obstpaket mit einer Grußkarte als Geste. Da geht es nicht um das Geschenk an sich, sondern um das Erkennen der Situation. Um die Dankbarkeit, die man spürt.

Das ist auch eine Frage der Wertschätzung, oder?

Genau. Diese Woche hatte ich ein Telefonat mit einem Vater, der mir sagte: „Ich weiß jetzt erstmal was Ihr für einen Job leistet! Ich habe nur zwei Kinder zu Hause - und ihr den ganzen Tag so viele.“ Ich glaube, diese Erkenntnis ist bei vielen Eltern gewachsen und hat unsere Berufsgruppe ein Stück angehoben.

Von Heike Harenberg & Dorian Lübcke

Das Interview ist Teil des Projekts „DRK erleben“ für die Hauptaufgabenfelder Kindertagesbetreuung und Altenhilfe und mit wird mit Mitteln der GlücksSpirale gefördert. Zukünftig berichten Mitarbeitende aus den Einrichtungen des DRK von ihren "täglich kleinen Wundern" auf Instagram mit dem Hashtag #teaklewu. Möchten auch Sie Ihr erlebtes kleines Wunder aus dem Arbeitsalltag im DRK mit uns teilen? Nehmen Sie dazu bitte Kontakt mit uns auf. Wir unterstützen Sie gerne dabei: taeklewu@drk.de