© Yasemin Bekyol

"Care Beyond Borders" – Ein Rückblick auf die Erlanger Vortragsreihe

Im Sommersemester 2024 und Wintersemester 2024/25 fand an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) erstmals die interdisziplinäre Online-Vortragsreihe „Care Beyond Borders: Exploring Impacts of Migration, Displacement, and Inclusion for the Care and Nursing Sector“ statt. Die von Prof. Dr. Petra Bendel moderierte Reihe adressierte eine der drängendsten Herausforderungen der Gegenwart: die Rekrutierung und Bindung von Fachkräften im Pflegesektor.

Über die Veranstaltung

In Anbetracht der globalen Fachkräfteengpässe boten die insgesamt neun Vorträge eine tiefgehende Analyse der vielschichtigen Themen, die aus Migration, Flucht und Integration resultieren. Zahlreiche Expertinnen und Experten beleuchteten die zentrale Rolle migrantischer Pflegekräfte und deckten die vielfältigen Hürden auf, mit denen sie konfrontiert sind – von der Erlangung von Aufenthaltsgenehmigungen über die Anerkennung von Qualifikationen bis hin zu sprachlichen Barrieren und systemischen Wissenslücken.

Die Veranstaltungsreihe wurde in Kooperation von zwei Projekten des FAU Forschungszentrums Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg (CHREN) organisiert: dem Projekt „Gesundheit! Teilhabe im Pflegesektor“, gefördert von der Stiftung Mercator, das darauf abzielt, gute Arbeits- und Lebensbedingungen für Beschäftigte mit Migrationsgeschichte zu identifizieren und Empfehlungen zur gleichberechtigten Teilhabe und Bleibeorientierung zu generieren, und dem Verbundprojekt „FFVT: Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer”, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, das die interdisziplinäre Flucht- und Flüchtlingsforschung in und außerhalb Deutschlands durch Vernetzung und Transfer stärken möchte.

Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis

Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen
© Yasemin Bekyol

Ein herausragender Vortrag kam von Prof. Dr. Naomi Lightman von der Toronto Metropolitan University, die die Pflegeregime von siebzehn Ländern analysierte und die oftmals unterschätzte Abwertung der Arbeitskraft von migrantischen Frauen in der Pflege aufzeigte. Gemeinsam mit Prof. Dr. Jennifer Elrick von der McGill University betrachtete Lightman außerdem die Auswirkungen der kanadischen „Two-Step“-Einwanderungskategorie. Sie stellten fest, dass ethnische, klassenspezifische und sozialgeschlechtliche Gruppenzugehörigkeit erhebliche Unterschiede auf die Einkommen ausländischer Fachkräfte hatte. 

Beide Vorträge zeigten auf, dass in vielen Ländern migrantische weibliche Pflegekräfte in besonderem Maße im Niedriglohnsektor überrepräsentiert sind und im Gegensatz zu anderen Sektoren langfristig systemisch benachteiligt bleiben.

In ihrem Vortrag über Unterschiede in der Wohn- und Arbeitssituation zwischen norwegischen und zugewanderten Pflegekräften aus Schweden, Polen und den Philippinen berichtete Prof. Dr. Marie Louise Seeberg (Oslo Metropolitan University) davon, dass Zugewanderte im Vergleich zu Einheimischen deutlich seltener in Wohneigentum lebten. Dabei waren besonders Filipinos und Filipinas von überbelegten Wohnungen betroffen und arbeiteten häufiger unterhalb ihres Qualifikationsniveaus - mit entsprechend geringerer Bezahlung

Maike Isaac von der McGill University nahm die Erfahrungen männlicher Asylsuchender in der Altenpflege in Deutschland unter die Lupe. Ihre ethnografische Forschung machte deutlich, wie männliche Geflüchtete im feminisierten Berufsfeld der Pflege einer doppelten Herausforderung gegenüberstehen: einerseits der rassifizierten, andererseits aber auch der geschlechtsspezifischen Wahrnehmung. Dr. Monique Ritter von der Hochschule Zittau/Görlitz beleuchtete die Erfahrungen von Geflüchteten in der häuslichen Pflege in Ostdeutschland, insbesondere im Kontext von Alltagsrassismus. Sie verdeutlichte, wie strukturelle Mechanismen des Rassismus die Arbeitsbedingungen und Integration von Pflegekräften beeinflussen.

Dr. Abdulqadir J. Nashwan (Qatar University) unterstrich in seinem Vortrag die zentrale Bedeutung kultureller Kompetenz in der Pflege und präsentierte Strategien zur Entwicklung vielfältiger und effektiver Pflegeteams durch die Anpassung von Weiterbildungen. Einen praktischen Ansatz zur Förderung diversitätssensibler Teamkulturen stellte Dr. Lisa Peppler von der Berliner Charité vor. Sie betonte die Bedeutung maßgeschneiderter Maßnahmen, die von Pflegemanagementteams unterstützt werden, sowie die Bereitstellung von Raum und Zeit für Reflexion und gemeinsame Dialoge im Team. 

Der Vortrag von Jehona Serhati thematisierte die maßgebliche Rolle von kosovarischen Diaspora-Organisationen in der Integration von zugewanderten Auszubildenden. Dabei boten Mitglieder dieser Organisationen im Rahmen von Buddy-Programmen Unterstützung, etwa beim Zurechtfinden und Vernetzen der Azubis vor Ort in Deutschland. Es wurde deutlich, dass nachhaltige finanzielle Strukturen und zum Teil auch rechtliches Wissen bei den Engagierten fehlen, eine aktivere Beteiligung der Organisationen an transnationalen Skills-Partnerschaften (tSP) aber einen wichtigen Mehrwert im Hinblick auf nachhaltige Arbeitsmigration bieten könnte.  

Prof. Dr. Christine Lang (Universität Osnabrück) präsentierte schließlich konzeptionelle Überlegungen und erste Erkenntnisse aus einem laufenden Forschungsprojekt, das sich mit der Produktion transnationaler Räume von Fachkräftemigration im Gesundheitssektor befasst. Im Projekt werden sowohl verschiedene Phasen im Migrationsprozess, als auch unterschiedliche Orte und Akteure in den Blick genommen. Dabei geht es auch darum zu untersuchen, mit welchen Bildern und Narrativen gearbeitet wird, um Fachkräftemigration zu legitimieren oder zu erleichtern.

Systematische Benachteiligung

migrantischer Pflegekräfte

Die Vortragsreihe verdeutlichte die systematische Benachteiligung migrantischer Pflegekräfte, insbesondere Frauen, die im Niedriglohnsektor überrepräsentiert sind. Zudem wurden die spezifischen Herausforderungen männlicher Asylsuchender in der Pflege sowie die Bedeutung von kultureller Kompetenz und diversitätsfördernden Teamkulturen betont. Die Beiträge zeigten, dass nachhaltige Unterstützungssysteme und Partnerschaften mit Diaspora-Organisationen einen wertvollen Beitrag zur Integration und Teilhabe von migrantischen Pflegekräften leisten können.

Fazit und Ausblick

Die Vortragsreihe ermöglichte einen bereichernden Austausch über die komplexen Dynamiken von Migration und deren Auswirkungen auf den Pflegesektor. Sie lieferte wertvolle Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen für Wissenschaft, Praxis und Politik. 


Mit dem Ende der Winterreihe richten sich die Blicke auf die kommenden Aktivitäten im Jahr 2025, vor allem in unserem eigenen Forschungs-Praxis-Projekt „Gesundheit! Teilhabe im Pflegesektor“. So werden wir im Rahmen des DRK-Wohlfahrtskongresses im März in Berlin erste Ergebnisse der Befragungen von zugewanderten Pflegekräften, Einrichtungen und kommunalen Akteuren vorstellen und diskutieren. 

Weitere Details zum Projekt und zur Vortragsreihe finden Sie hier: https://www.migration-pflege.chren.fau.de/

Ein Gastbeitrag von Dr. Tobias Weidinger 

Dr. Tobias Weidinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Kontakt: tobias.weidinger(at)fau(dot)de