Wir haben uns, zusammen mit interessierten Kolleginnen und Kollegen aus den DRK-Landesverbänden, im Rahmen der Workshopreihe "Mitarbeiterfreundliche Pflege" den drängendsten Fragen gestellt. Was macht Mitarbeiterfreundlichkeit aus? In welchem Zusammenhang steht Unternehmenskultur dazu? Und welche Besonderheiten gibt es in der Pflege?
In bislang zwei Online-Workshops wurde herausgearbeitet, dass die individuellen Anliegen der Mitarbeitenden und ihre Lebensphasen genauso von Bedeutung sind, wie die Rahmenbedingungen des Tätigkeitsbereichs und das Führungsverhalten der Arbeitgeber.
Die Arbeitszeitgestaltung muss mit dem Leben neben der Arbeit harmonieren, damit unnötige Belastungen vermieden werden. Eine gesunde Work-Life-Balance ist mehr als ein Werbespruch in Stellenausschreibungen; diese muss in der Pflege tatsächlich realisiert werden und funktionieren.
In der Tat: Das ist einiges…
Im Besonderen wurde deutlich, dass das, was sich Mitarbeitende wünschen, nicht statisch ist und sich über die Zeit in aller Regel verändert. Eine neu eingestellte Person hat andere Bedarfe und Wünsche als eine seit Jahren im Pflegedienst beschäftigte; eine junge Mitarbeitende hat ggf. eher Karriereambitionen und Weiterbildungswünsche, während für junge Eltern eher eine Vereinbarung von Beruf und Familie wichtig sein kann. Ältere Arbeitnehmer sind bestehende Arbeitsstrukturen vielleicht eher gewohnt und könnten für sich (zu viel) Flexibilität eher kritisch sehen.
Und was ist mit der Unternehmenskultur?
Niemand sollte natürlich voraussetzen – auch nicht in der Pflege – dass alle Erwartungen unmittelbar erfüllt werden können. Allerdings sollten Arbeitgeber darauf eingehen und, im Sinne einer ernstgemeinten Mitarbeiterorientierung, gemeinsam die Arbeitsarrangements gestalten.
Die mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur ist hier als Hintergrund für das tägliche Handeln einzuordnen. Motiviertes Handeln oder Überlastungsanzeichen haben nicht nur strukturelle Ursachen, sondern können bspw. auch darauf beruhen, wie Führungskräfte Mitarbeitende in ihrem Arbeitseinsatz „sehen“ und wertschätzen oder ob sie diesen als selbstverständlich ansehen und ob auf Augenhöhe oder hierarchisch geführt und kommuniziert wird. Unternehmenskultur wird von Führungskräften und Mitarbeitenden gleichermaßen gestaltet und reproduziert.
An welcher Stelle sollte in der Pflege angesetzt werden?
Über ein Planspiel wurde in der Workshopreihe bisher anhand der Beispiele der Betrieblichen Gesundheitsförderung und der Arbeitszeitgestaltung erarbeitet, welche Handlungsmöglichkeiten für eine Veränderung bestehen und welche Aspekte diese positiv beeinflussen können.
Alle Teilnehmenden brachten ihre Praxisbeispiele ein, die zeigten, dass nachhaltige Impulse für eine mitarbeiterfreundlichere Pflege erreicht werden können. Ein weiterer praxisnaher Austausch über alle Verbandsebenen kann dies noch fördern.
Die Gruppe wird an dem Thema „Arbeitszeitgestaltung“ konkret weiterarbeiten. Dies erscheint aus mehreren Gründen sinnvoll und produktiv umsetzbar. Zum einen ist der „sichere Dienstplan“ (… ohne aus dem Frei zurückgeholt zu werden …), ein wesentlicher Kritikpunkt an der Pflegebranche. Er wird oft von beruflich Pflegenden als Grund genannt, aus dem Pflegeberuf auszusteigen. Andererseits gibt es Praxisbeispiele im DRK, wie bspw. ein Springerpool hierzu Abhilfe und einen Beitrag leisten kann.
Es gilt also: Konkrete Schwierigkeiten zu erkennen, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, sie zu bewerten und die Umsetzung begleitend zu unterstützen. Und das nicht pauschal für alle, sondern individuell und mitarbeiterorientiert.
Um welche Arbeitszeitmodelle geht es?
Bereits herausgearbeitet wurde, dass es nicht mehr das eine Modell oder die zwei oder drei Modelle zur Gestaltung der Arbeitszeit gibt bzw. geben sollte. Arbeitszeitmodelle sollten maximal flexibel gestaltet; nicht aber statisch angesehen werden. In der Pflege haben wir es inzwischen mit einem Arbeitnehmermarkt zu tun und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die oft die Möglichkeit, den für sie attraktivsten Arbeitsplatz wählen.
Wir sollten uns also von der Vorstellung befreien, dass Arbeitsgeber allein die Arbeitsbedingungen vorgeben und sich die Wünsche der Mitarbeitenden an diesen Vorgaben orientieren müssen. Die Zeit, in der allein die Mitarbeitenden auf das Entgegenkommen der „Chefs“ angewiesen waren, ist definitiv - so mindestens lässt sich das für die Pflege konstatieren - vorbei. In Vorstellungsgesprächen wird zunehmend nicht mehr der Arbeitgeber die Arbeitszeiten vorgeben können, sondern von den Bewerberinnen und Bewerbern hören, nach welchen Modellen die tägliche Arbeit gestaltet werden soll.
Wohlwissend, dass neben der Mitarbeiterorientierung natürlich auch die Kundenorientierung berücksichtigt werden muss und dies die Gemengelage nicht weniger komplex macht, kann an dieser Stelle ein grundlegender Wandel der Arbeitsverhältnisse festgestellt werden.
Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten
Die neue Bunderegierung hat sich vorgenommen den Pflegeberuf attraktiver zu machen und im Besonderen familienfreundliche Arbeitszeitmodelle zu fördern. So geht aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP beispielsweise das Vorhaben hervor, die s.g. geteilten Dienste abschaffen zu wollen. Zudem sollen Menschen mit betreuungspflichtigen Kindern einen Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten haben.
Aus meiner Sicht gehen diese Ansätze grundsätzlich in die richtige Richtung. Aber reicht dies aus? Und entspricht eine Abschaffung geteilter Dienste wirklich dem Wunsch aller Mitarbeitenden in der Pflege? Warum geht es „nur“ um Menschen mit Sorgeverantwortung für Kinder? Werden auch die informelle Pflege und die Betreuung von Angehörigen berücksichtigt?
Mit Blick auf die oben beschriebene Mitarbeiterorientierung und Wahlmöglichkeit der Arbeitszeitmodelle sollte die Politik auch hier vorsichtig agieren und nichts ausschließen oder gar verbieten. Auch wenn die 5-Tage-Woche und der ungeteilte Vollzeittag sicherlich für viele Mitarbeitende anzustreben ist, sollten auch Einzelwünsche – z.B. nach einem geteilten Dienst – möglich bleiben. In dem ein oder anderen Fall könnten nämlich genau diese "bösen" geteilten Dienste die Vereinbarkeit ermöglichen und den Job attraktiv machen.
Die Rahmenbedingungen müssen aus meiner Sicht eine hohe Flexibilität und alle Arbeitszeitvorstellungen grundsätzlich ermöglichen. Nur das ist echte Mitarbeiterorientierung.
Und in der Praxis?
Bei der Dienstplangestaltung muss auf die individuellen Besonderheiten und Wünsche der Mitarbeitenden Rücksicht genommen werden, um deren Zufriedenheit und Unterstützung zu erhalten. Die Dienstplangestaltung wird damit komplexer und sich als fortlaufender Aushandlungs- bzw. Kommunikationsprozess erweisen müssen.
In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach selbstorganisierten Teams und der veränderten Arbeitsstrukturen sowie der Verantwortung für die Planung der Arbeitszeiten der Mitarbeitenden neu zu stellen sein. Dies verlangt von den Arbeitgebern und Mitarbeitervertretungen aber vor allem auch von den Mitarbeitenden selbst einiges ab und bedarf in den meisten Fällen einer echten Organisationsentwicklung vor Ort.
Wir werden in der Workshopreihe weiter an diesem Thema arbeiten und u.a. durch das Sammeln von Good Practice Beispielen Möglichkeiten für eine umgesetzte mitarbeiterfreundliche Pflege aufzeigen.
Vorgesehen ist es, die Ergebnisse im Laufe des Jahres 2022 bei einer Fachtagung zu diskutieren und im Besonderen über die Frage der Umsetzungsbegleitung durch den Verband sprechen.
Wir haben uns auf den Weg gemacht…