Wir haben unsere Federführung mit dem Anspruch begonnen, „selbstbewusst die gesamte Wohlfahrtspflege in Deutschland zu erklären, ihre Leistungsfähigkeit in den Mittelpunkt zu rücken und ihre zentrale Rolle im Sozialstaat zu verdeutlichen.“ Wir wollten uns dafür einsetzen, „dass wir mehr Unterstützung bekommen, um den digitalen Wandel mitzugestalten und die Dienste und Einrichtungen im Sinne der Menschen auf ihren Wegen in ein neues Zeitalter zu begleiten“. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, BAGFW-interne „Verfahren und Strukturen auf den Prüfstand stellen, ganz im Sinne unseres Anspruchs an wirkungsorientiertes Arbeiten“ (Blog: Wir sind Federführer).
Rückblick: Vieles erreicht!
Wir beenden unsere Federführung mit Optimismus. Und das trotz oder doch auch wegen Corona. Denn wir haben vieles erreicht oder zumindest auf den Weg gebracht, und die Corona-Pandemie hat einmal mehr gezeigt, wie grundlegend die Arbeit der Wohlfahrtsverbände für gesellschaftlichen Zusammenhalt und einen funktionierenden Sozialstaat ist.
„Sie sehen also,“ so Bundeskanzlerin Merkel in ihrem Videobeitrag anlässlich der Verleihung des Deutschen Sozialpreises, „es liegt uns sehr viel daran, gemeinnützige Organisationen in der Pandemie abzusichern, damit sie nicht zuletzt wiederum anderen durch diese schwierige Zeit helfen können. Wir wissen, ein gut funktionierender Sozialstaat braucht eine lebendige Verbändelandschaft. Er braucht Verbände, die vor Ort aktiv sind und die Menschen erreichen. Und er braucht Verbände als aufmerksame, kritische Mahner und Ansprechpartner für die Politik. Es gibt also mehr als genügend Gründe dafür, dass der Bund die Förderung der Wohlfahrtsverbände verlässlich fortschreibt. Im Übrigen auch, weil sie mehr sind als Dienstleister, Sprachrohr und Anwalt im Sozial- und Gesundheitsbereich. Die Wohlfahrtsverbände sind auch eine tragende Säule des gesellschaftlichen Zusammenhalts.“ (Aus der Rede zum „Sozialpreis 2020“, 26.10.20).
Sie hat der Freien Wohlfahrtspflege damit ein ausgezeichnetes Zeugnis ausgestellt.
Merkel unterstützt damit auch eine zentrale Forderung unserer Federführung: die Einbindung der BMFSFJ-Zuwendung für die Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege in die mittelfristige Finanzplanung des Bundes. Diese Forderung ist nur vordergründig eine finanzielle. Dahinter steht die Gewissheit, dass die Leistungsfähigkeit der Freien Wohlfahrtspflege mit ihrer Vielzahl von Diensten und Einrichtungen und mehr als 2.5 Mio. ehrenamtlichen und rund 1.4 Mio. hauptamtlichen Mitarbeitenden starke Bundesverbände braucht. Nur so kann ihre Leistungsfähigkeit sichergestellt werden, die sich in der Corona-Lage – wir sagen selbstbewusst: in allen Krisen – besonders eindrucksvoll zeigt.
Unsere Struktur brauche und verdiene Unterstützung, so der Bündnis 90/Die Grünen-Chef Robert Habeck am 20.10.20 in einem Gespräch mit den Verbandspitzen der BAGFW. Denn marktwirtschaftlich tätig und gleichzeitig gemeinnützig zu sein, kombiniere das Beste aus zwei Welten, führt Habeck aus und ergänzt, dass Gemeinnützigkeit besonders dann zukunftsfähig sei, wenn sie mit dem Engagement für ökologische Nachhaltigkeit kombiniert werden könne. Damit bestärkt der Grünen-Vorsitzende auch unser Grundverständnis einer systemischen Verbundenheit sozialer und ökologischer Fragestellungen – und formuliert einen organisations- und gesellschaftspolitischen Auftrag, den wir gerne annehmen.
Der Rückblick auf zwei Jahre Federführung zeigt aber noch mehr: einen rasanten Ausbau der Digitalisierung. Diese hat Ende 2018 mit einem vom BMFSFJ initiierten Bundesprogramm bereits begonnen und durch Corona und der aus den Kontaktbeschränkungen folgenden Notwendigkeit zu digitalen Kommunikationsformaten eine geradezu stürmische Entwicklung genommen, die auch weiterhin anhalten wird. Relevant für die Bundesverbände ist auch der späte, dafür aber umso konsequentere Einstieg in Mobiles Arbeiten und damit in eine neue Arbeitskultur, deren Chancen und Risiken auch weiterhin eine sorgfältige Analyse verdienen.
Natürlich gab es auch unter unserer Federführung die in der BAGFW üblichen Routinen in der Arbeit und in der Kommunikation Diese wurden aber durch Corona - insbesondere hinsichtlich interner Kooperation als auch der mit unseren Partnerinnen und Partnern im Bundestag, in der Bundesregierung und ihren Ressorts - schnell aufgebrochen und in agile Prozesse überführt. Die Ergebnisse waren: eine schnelle Identifizierung gemeinsamer Ziele, die Einbindung einzelverbandlicher Aktivitäten in die Gesamtstrategie der BAGFW, eine sehr transparente, ressourcenschonende und entscheidungsstarke Zusammenarbeit sowie eine im Auftritt nach außen starke BAGFW. Dazu gehört auch die intensive Begleitung einer Vielzahl von Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene.
Rettungsschirme der Bundesregierung müssen über 2020 hinaus wirken
Was auch gelang: Die Absicherung unserer Dienste und Einrichtungen durch die Rettungsschirme der Bundesregierung, die absehbar auch über 2020 hinaus wirken müssen und werden.
Denn inzwischen wissen wir: Die Corona-Pandemie wird, trotz der sich abzeichnenden Linderung durch die erwarteten Impfungen, auch das kommende Jahr überschatten. Die Freie Wohlfahrtspflege hat aber gezeigt, dass sie auch unter Pandemie-Bedingungen leistungsfähig bleibt und mit innovativen Maßnahmen und Konzepten reagiert: in der Alten- und Krankenpflege, in der Kinderbetreuung, in der Beratung, in der Selbsthilfe. Denn sie kann sich auf die geballte Kompetenz ihrer ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden verlassen, die gerade in diesen Zeiten vielfach an ihre Grenzen gehen, um dort Unterstützung zu geben, wo sie gebraucht wird
Die Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege fallen im Alltag kaum auf, sie gehören gleichsam zum Standardangebot des Sozialstaates. In Krisenzeiten aber wird deutlich sichtbar, was die gemeinnützige Freie Wohlfahrtspflege für die Krisenbewältigung und den sozialen Zusammenhalt leistet – das gilt für die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise, die sogenannte Flüchtlingskrise und die aktuelle Pandemie.
Freie Wohlfahrtspflege ist nicht Sozialwirtschaft
Eine Botschaft, die mir noch wichtig ist, habe ich bereits in meinem Beitrag in der Sozialwirtschaft Aktuell formuliert: „Die Freie Wohlfahrtspflege ist im Kern eben nicht Sozialwirtschaft und findet in Politik und Öffentlichkeit eher wenig Beachtung, wenn sie sich als Wirtschaftsakteurin präsentiert. Geht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die dafür notwendigen Strukturen, sieht das anders aus. Systemrelevanz war das Schlagwort der Stunde, und mit dem Begriff ist die Freie Wohlfahrtspflege durchaus belegt worden.“
Dieses Profil muss in Zukunft noch deutlicher herausgearbeitet und verhandelt werden. Unsere Akzeptanz durch Gesellschaft und Politik ist nichts weniger als eine Grundvoraussetzung für unsere Zukunftsfähigkeit als Freie Wohlfahrtspflege.
Wir beenden unsere Federführung auch mit der Gewissheit, dass noch viele und vielleicht auch heute noch unabsehbare Aufgaben vor uns liegen.
Wir wünschen der nächsten Federführerin, der Diakonie Deutschland, bei ihrer Lösung eine glückliche Hand und viel Erfolg!