Hände fügen gemeinsam Puzzlestücke zusammen

Gemeinsam gegen Einsam – Materialien zur Prävention von Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen

Alleinsein ist, wenn ich mir selbst genug bin. Einsamkeit, wenn mir dazu etwas fehlt. Einsamkeit betrifft nicht nur Erwachsene. Kinder und Jugendliche können ebenfalls unter diesem schmerzhaften Gefühl leiden. Dieser Blogbeitrag erzähl die Geschichte von Milosz, warum Einsamkeit bei jungen Menschen auftritt und wie das TeilSein-Projekt in Schleswig-Holstein und Thüringen hier ansetzt.

Milosz ist sechs Jahre alt. Er ist mit seiner Familie kürzlich in eine neue Stadt gezogen und besucht jetzt eine neue Kita. Seine Eltern beschreiben ihn als fröhliches und ausgeglichenes Kind. Nach ein paar Wochen haben die Fachkräfte immer häufiger das Gefühl, dass es Milosz nicht gut geht und dass er sich noch nicht wohlfühlt in der Kita - als wäre er noch nicht angekommen. Er orientiert sich sehr an den Erwachsenen und sucht viel Körperkontakt. Versuche der pädagogischen Fachkräfte ihn zu begeistern und zum mitspielen bei anderen Kindern zu bewegen scheitern. Er fragt oft danach, wann er abgeholt wird. Ist Milosz einsam?

Warum sind Kinder und Jugendliche von Einsamkeit betroffen?

Einsamkeit ist mehr als nur das Fehlen von sozialen Beziehungen. Auch in Gruppen können Menschen einsam sein. Es ist ein tiefgreifendes Gefühl, das körperliche und mentale Auswirkungen haben kann. Einsamkeit wird oft nur mit älteren Menschen in Verbindung gebracht, aber auch Kinder und Jugendliche können stark davon betroffen sein. Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen hat durch die Covid-19 Pandemie zugenommen.

Ursachen von Einsamkeit bei jungen Menschen

  • Lebensereignisse: Einschneidende Ereignisse wie zum Beispiel Umzüge, Schulwechsel oder auch soziales Mobbing können Einsamkeit auslösen.
  • Fehlende Treffpunkte: Insbesondere Jugendliche leiden unter einem Mangel an kostengünstigen Treffpunkten, an denen sich insbesondere auch Mädchen wohl fühlen.
  • Soziale Ungleichheit und Diskriminierungserfahrungen: Einsamkeit korreliert oft mit Armutsbelastungen und einem niedrigen sozialen Status, was zu Minderwertigkeitsgefühlen und sozialem Rückzug führen kann.

Schon kleine Kinder können Einsamkeit empfinden. Messen kann man das bisher erst bei Schulkindern, es wird aber noch wenig dazu geforscht. Eine aktuelle Studie in Nordrhein-Westfalen hat erforscht, dass jeder fünfte Jugendliche in NRW stark einsam ist. Es fehle an Treffpunkten für Jugendliche, die wenig kosteten und an denen sich auch Mädchen wohlfühlten.

Bewältigungsstrategien junger Menschen

Junge Menschen verfügen über vielfältige Bewältigungsstrategien, die entscheidend für den Umgang mit Einsamkeit sind. Zu den positiven Ansätzen gehören das bewusste Ansprechen von Freunden, die Suche nach Unterstützung, Bewegung und Sport in der Gruppe. Diese Maßnahmen fördern nicht nur soziale Interaktion, sondern stärken auch das Gemeinschaftsgefühl.

Jedoch greifen einige Jugendliche auch zu weniger hilfreichen Strategien, wie dem sozialen Rückzug oder der Ablenkung in sozialen Medien ohne den Aufbau von echten Kontakten zurück. Dies kann langfristig die Isolation verstärken und erschwert es, nachhaltige Beziehungen aufzubauen. Bedeutend also, junge Menschen frühzeitig für positive Bewältigungsstrategien zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, aktiv soziale Verbindungen zu pflegen.

Einsamkeitsprävention ist wichtig, denn wenn sie funktioniert, führt sie bestenfalls dazu, dass Menschen glücklich werden. Schutzfaktoren gegen Einsamkeit sind vor allem die Familie und das soziale Umfeld des Kindes, durch das es stabile emotionale Beziehungen erlebt und ein positives Selbstwertgefühl entwickeln kann. Zu den Risikofaktoren gehören Übergänge in Lebensphasen, Krankheiten, Armut oder belastende Lebenslagen von Familien. Über Jahre erlebte Einsamkeit kann durch Enttäuschungserfahrungen dazu führen, dass wir das Vertrauen in unsere soziale Umwelt verlieren, in Institutionen, die Regierung, die Religion oder auch in andere Menschen.

Milosz hatte das Glück auf Erwachsene zu treffen, die ihn in seiner Situation sehen und unterstützen. Nach einer kollegialen Beratung beschloss das Team sich mehr Infos zum Thema Einsamkeit zu holen und gemeinsam zu überlegen, wie sie Milosz gut begleiten können. Sie wurden auf das Projekt TeilSein aufmerksam.

TeilSein – aktive Prävention gegen Einsamkeit

Das Projekt TeilSein adressiert Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches und gesundheitsrelevantes Problem, das – besonders im Kontext der Coronapandemie – immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und auch Kinder und Jugendliche betrifft.

In Schleswig-Holstein wurde ein niedrigschwelliges E-Learning Tool entwickelt, um Fachkräfte zu schulen. Das Tool, ist kostenfrei auf dem DRK-Lerncampus verfügbar. Es bietet drei interaktive Kursmodule mit Beispielen und Aufgaben.

In Thüringen haben 26 Fachkräfte das Curriculum durchlaufen, in Kindertageseinrichtungen angewendet und mit Gruppen- und Einzelcoachings vertieft. Entstanden ist ein für viele Praktikerinnen und Praktiker hilfreiches Handwerkszeug mit Hintergrundinfos und vielen praktischen Ideen für die Kita- Praxis. 

Handbuch Einsamkeitsprävention  E-Learning Tool

Das Projekt endete im Dezember 2023 mit einem Fachtag für alle interessierten Menschen und Teilnehmenden am Curriculum. Dr. Janosch Schobin, der sich in seinen Forschungen an der Uni Kassel fachlich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt, gab eine Einordnung der aktuellen Forschungslage zu Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen und wie sich Einsamkeit im Lebenslauf auswirken kann. Vorgestellt wurden das E-Learning Tool und das Handbuch „TeilSein - Einsamkeitsbegleitung und Resilienzförderung bei Kindern und Jugendlichen“. Am Nachmittag entstanden in Workshops neue Impulse zu Einsamkeit und Armut, Einsamkeit und Diskriminierung sowie ein Raum der Wünsche – in denen die Teilnehmenden darüber nachdenken durften, wie ein Sozialraum ohne Einsamkeit aussieht. Die entstandene Vision wurde grafisch festgehalten und bietet nun die Grundlage dafür, wie wir das Thema weiterdenken und begleiten wollen.

Milosz ist heute in der Kita angekommen und wieder das aufgeschlossene und entdeckungslustige Kind von vorher. Mit behutsamer Unterstützung der Erwachsenen hat er neue Spielkameradinnen gefunden und kann sich in seiner neuen Wohnumgebung besser orientieren. Was die Kita dafür gemacht hat? Zunächst mit den Eltern gesprochen und mit ihnen überlegt, was Milosz unterstützen könnte. Bei einer Stadtteilerkundung gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften und anderen Kindern konnte Milosz seine neue Umgebung kennenlernen. Besonders die Spiele mit Wasser und Sand haben es Milosz angetan und wurden von seiner Erzieherin gezielt initiiert. Das hat ihm den Kontakt zu anderen Kindern erleichtert und er hat zwei neue Spielkameraden gefunden. Dafür war die Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit und Resilienzförderung für das Team wirklich hilfreich. Das Kita-Team schaut jetzt genauer hin, auf die stillen Kinder und auch auf den guten Grund der Kinder mit herausforderndem Verhalten. Einsamkeit ist jetzt auf dem Schirm des Kita-Teams als möglicher Grund für das Verhalten von Kindern. 

 

Gemeinsam gegen Einsam - Jeder kann aktiv etwas gegen Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen tun

1. Enge Freundschaften fördern

  • In der Kita könnten zum Beispiel initiiert durch Pädagoginnen und Pädagogen regelmäßige "Freundeskreise" gebildet werden, in denen die Kinder gemeinsame Aktivitäten planen und durchführen. Dies stärkt nicht nur die sozialen Bindungen, sondern fördert auch das Verständnis für die Bedürfnisse anderer. 

     

2. Über Einsamkeit sprechen

  • In der Jugendeinrichtung könnte es zum Beispiel regelmäßige Gesprächsrunden geben, in denen die Pädagogen und junge Menschen offen über Gefühle und Erfahrungen sprechen. Auch im Internet könnten moderierte Foren geschaffen werden, in denen Jugendliche anonym über ihre Sorgen und Ängste sprechen können.

     

3. Attraktive Freizeitangebote schaffen

  • Ein Jugendzentrum könnte zum Beispiel gemeinsam mit den Jugendlichen ein vielfältiges Freizeitprogramm erstellen, das ihren Interessen entspricht und die sich bewusst auch an Gruppen richtet, die sonst nicht im Blick sind. Dies könnte inklusive Sportaktivitäten, kreative Workshops und Musikveranstaltungen umfassen. Dadurch entsteht ein Ort, an dem sich Jugendliche gerne aufhalten.

     

4. Sensibilisierung für Bedürfnisse

  • Elternabende könnten dazu genutzt werden, Fachkräfte, Eltern und Menschen im Sozialraum über die Bedürfnisse junger Menschen aufzuklären. Workshops und Schulungen könnten einfache Strategien vermitteln, um aufmerksam auf Anzeichen von Einsamkeit zu reagieren.

     

5. Beteiligung ermöglichen

  • Die beste Prävention ist Partizipation - In der Kita können Kinder bei sie betreffenden Themen mitentscheiden. In Schulen und Jugendeinrichtungen und kommunalen Entscheidungen werden Jugendliche in Entscheidungsprozesse eingebunden. Diese Partizipation zeigt jungen Menschen, dass sie gehört und respektiert werden. Selbstwirksamkeitsförderung ist Einsamkeitsprävention und Demokratiebildung zugleich.

Das TeilSein-Projekt setzt nicht nur auf Sensibilisierung von Fachkräften, sondern gibt uns konkrete Werkzeuge an die Hand, um Einsamkeit aktiv entgegenzuwirken. Mit einem niedrigschwelligen E-Learning Tool in Schleswig-Holstein und der praxisorientierten Handreichung in Thüringen werden nicht nur Wissenslücken geschlossen, sondern auch bewährte Präventionsansätze vermittelt. Die Geschichte von Milosz zeigt, dass solche Maßnahmen erfolgreich sein können. Die Teilnehmenden des Projekts trugen mit ihren Impulsen zur Entwicklung einer visionären Vorstellung eines sozialen Raums ohne Einsamkeit bei. 

Gemeinsam können wir aktiv dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche gestärkt und resilient gegenüber Einsamkeit werden. Gemeinsam gegen Einsam!