Milosz ist sechs Jahre alt. Er ist mit seiner Familie kürzlich in eine neue Stadt gezogen und besucht jetzt eine neue Kita. Seine Eltern beschreiben ihn als fröhliches und ausgeglichenes Kind. Nach ein paar Wochen haben die Fachkräfte immer häufiger das Gefühl, dass es Milosz nicht gut geht und dass er sich noch nicht wohlfühlt in der Kita - als wäre er noch nicht angekommen. Er orientiert sich sehr an den Erwachsenen und sucht viel Körperkontakt. Versuche der pädagogischen Fachkräfte ihn zu begeistern und zum mitspielen bei anderen Kindern zu bewegen scheitern. Er fragt oft danach, wann er abgeholt wird. Ist Milosz einsam?
Einsamkeit ist mehr als nur das Fehlen von sozialen Beziehungen. Auch in Gruppen können Menschen einsam sein. Es ist ein tiefgreifendes Gefühl, das körperliche und mentale Auswirkungen haben kann. Einsamkeit wird oft nur mit älteren Menschen in Verbindung gebracht, aber auch Kinder und Jugendliche können stark davon betroffen sein. Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen hat durch die Covid-19 Pandemie zugenommen.
Schon kleine Kinder können Einsamkeit empfinden. Messen kann man das bisher erst bei Schulkindern, es wird aber noch wenig dazu geforscht. Eine aktuelle Studie in Nordrhein-Westfalen hat erforscht, dass jeder fünfte Jugendliche in NRW stark einsam ist. Es fehle an Treffpunkten für Jugendliche, die wenig kosteten und an denen sich auch Mädchen wohlfühlten.
Junge Menschen verfügen über vielfältige Bewältigungsstrategien, die entscheidend für den Umgang mit Einsamkeit sind. Zu den positiven Ansätzen gehören das bewusste Ansprechen von Freunden, die Suche nach Unterstützung, Bewegung und Sport in der Gruppe. Diese Maßnahmen fördern nicht nur soziale Interaktion, sondern stärken auch das Gemeinschaftsgefühl.
Jedoch greifen einige Jugendliche auch zu weniger hilfreichen Strategien, wie dem sozialen Rückzug oder der Ablenkung in sozialen Medien ohne den Aufbau von echten Kontakten zurück. Dies kann langfristig die Isolation verstärken und erschwert es, nachhaltige Beziehungen aufzubauen. Bedeutend also, junge Menschen frühzeitig für positive Bewältigungsstrategien zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, aktiv soziale Verbindungen zu pflegen.
Einsamkeitsprävention ist wichtig, denn wenn sie funktioniert, führt sie bestenfalls dazu, dass Menschen glücklich werden. Schutzfaktoren gegen Einsamkeit sind vor allem die Familie und das soziale Umfeld des Kindes, durch das es stabile emotionale Beziehungen erlebt und ein positives Selbstwertgefühl entwickeln kann. Zu den Risikofaktoren gehören Übergänge in Lebensphasen, Krankheiten, Armut oder belastende Lebenslagen von Familien. Über Jahre erlebte Einsamkeit kann durch Enttäuschungserfahrungen dazu führen, dass wir das Vertrauen in unsere soziale Umwelt verlieren, in Institutionen, die Regierung, die Religion oder auch in andere Menschen.
Milosz hatte das Glück auf Erwachsene zu treffen, die ihn in seiner Situation sehen und unterstützen. Nach einer kollegialen Beratung beschloss das Team sich mehr Infos zum Thema Einsamkeit zu holen und gemeinsam zu überlegen, wie sie Milosz gut begleiten können. Sie wurden auf das Projekt TeilSein aufmerksam.
Das Projekt TeilSein adressiert Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches und gesundheitsrelevantes Problem, das – besonders im Kontext der Coronapandemie – immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und auch Kinder und Jugendliche betrifft.
In Schleswig-Holstein wurde ein niedrigschwelliges E-Learning Tool entwickelt, um Fachkräfte zu schulen. Das Tool, ist kostenfrei auf dem DRK-Lerncampus verfügbar. Es bietet drei interaktive Kursmodule mit Beispielen und Aufgaben.
In Thüringen haben 26 Fachkräfte das Curriculum durchlaufen, in Kindertageseinrichtungen angewendet und mit Gruppen- und Einzelcoachings vertieft. Entstanden ist ein für viele Praktikerinnen und Praktiker hilfreiches Handwerkszeug mit Hintergrundinfos und vielen praktischen Ideen für die Kita- Praxis.
Handbuch Einsamkeitsprävention E-Learning Tool
Das Projekt endete im Dezember 2023 mit einem Fachtag für alle interessierten Menschen und Teilnehmenden am Curriculum. Dr. Janosch Schobin, der sich in seinen Forschungen an der Uni Kassel fachlich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt, gab eine Einordnung der aktuellen Forschungslage zu Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen und wie sich Einsamkeit im Lebenslauf auswirken kann. Vorgestellt wurden das E-Learning Tool und das Handbuch „TeilSein - Einsamkeitsbegleitung und Resilienzförderung bei Kindern und Jugendlichen“. Am Nachmittag entstanden in Workshops neue Impulse zu Einsamkeit und Armut, Einsamkeit und Diskriminierung sowie ein Raum der Wünsche – in denen die Teilnehmenden darüber nachdenken durften, wie ein Sozialraum ohne Einsamkeit aussieht. Die entstandene Vision wurde grafisch festgehalten und bietet nun die Grundlage dafür, wie wir das Thema weiterdenken und begleiten wollen.
Milosz ist heute in der Kita angekommen und wieder das aufgeschlossene und entdeckungslustige Kind von vorher. Mit behutsamer Unterstützung der Erwachsenen hat er neue Spielkameradinnen gefunden und kann sich in seiner neuen Wohnumgebung besser orientieren. Was die Kita dafür gemacht hat? Zunächst mit den Eltern gesprochen und mit ihnen überlegt, was Milosz unterstützen könnte. Bei einer Stadtteilerkundung gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften und anderen Kindern konnte Milosz seine neue Umgebung kennenlernen. Besonders die Spiele mit Wasser und Sand haben es Milosz angetan und wurden von seiner Erzieherin gezielt initiiert. Das hat ihm den Kontakt zu anderen Kindern erleichtert und er hat zwei neue Spielkameraden gefunden. Dafür war die Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit und Resilienzförderung für das Team wirklich hilfreich. Das Kita-Team schaut jetzt genauer hin, auf die stillen Kinder und auch auf den guten Grund der Kinder mit herausforderndem Verhalten. Einsamkeit ist jetzt auf dem Schirm des Kita-Teams als möglicher Grund für das Verhalten von Kindern.
1. Enge Freundschaften fördern
In der Kita könnten zum Beispiel initiiert durch Pädagoginnen und Pädagogen regelmäßige "Freundeskreise" gebildet werden, in denen die Kinder gemeinsame Aktivitäten planen und durchführen. Dies stärkt nicht nur die sozialen Bindungen, sondern fördert auch das Verständnis für die Bedürfnisse anderer.
2. Über Einsamkeit sprechen
In der Jugendeinrichtung könnte es zum Beispiel regelmäßige Gesprächsrunden geben, in denen die Pädagogen und junge Menschen offen über Gefühle und Erfahrungen sprechen. Auch im Internet könnten moderierte Foren geschaffen werden, in denen Jugendliche anonym über ihre Sorgen und Ängste sprechen können.
3. Attraktive Freizeitangebote schaffen
Ein Jugendzentrum könnte zum Beispiel gemeinsam mit den Jugendlichen ein vielfältiges Freizeitprogramm erstellen, das ihren Interessen entspricht und die sich bewusst auch an Gruppen richtet, die sonst nicht im Blick sind. Dies könnte inklusive Sportaktivitäten, kreative Workshops und Musikveranstaltungen umfassen. Dadurch entsteht ein Ort, an dem sich Jugendliche gerne aufhalten.
4. Sensibilisierung für Bedürfnisse
Elternabende könnten dazu genutzt werden, Fachkräfte, Eltern und Menschen im Sozialraum über die Bedürfnisse junger Menschen aufzuklären. Workshops und Schulungen könnten einfache Strategien vermitteln, um aufmerksam auf Anzeichen von Einsamkeit zu reagieren.
5. Beteiligung ermöglichen
Das TeilSein-Projekt setzt nicht nur auf Sensibilisierung von Fachkräften, sondern gibt uns konkrete Werkzeuge an die Hand, um Einsamkeit aktiv entgegenzuwirken. Mit einem niedrigschwelligen E-Learning Tool in Schleswig-Holstein und der praxisorientierten Handreichung in Thüringen werden nicht nur Wissenslücken geschlossen, sondern auch bewährte Präventionsansätze vermittelt. Die Geschichte von Milosz zeigt, dass solche Maßnahmen erfolgreich sein können. Die Teilnehmenden des Projekts trugen mit ihren Impulsen zur Entwicklung einer visionären Vorstellung eines sozialen Raums ohne Einsamkeit bei.
Gemeinsam können wir aktiv dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche gestärkt und resilient gegenüber Einsamkeit werden. Gemeinsam gegen Einsam!