Im ersten Teil der Fachveranstaltung „Coronalehren & Krisenresilienz“ in der Mauerstraße in Berlin ging es um die Lehren aus der Corona-Pandemie mit Blick auf die Langzeitpflege.
Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Lauterbach machte in seinem Grußwort deutlich, dass wir im Zuge des Klimawandels mit weiteren Pandemien rechnen müssen, da es rund 10.000 Viren auf der Erde gäbe, die von Tieren auf Menschen überspringen könnten. In zwei Vorträgen wurden Studienergebnisse zu den Erfahrungen der Pflegeeinrichtungen in der Corona-Pandemie vorgestellt und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet. Die anschließende Diskussion auf dem Podium war kontrovers, insbesondere bezüglich der Hygienevorschriften in den Einrichtungen der Langzeitpflege.
Im zweiten Teil ging es um eine Krisenresilienz der Langzeitpflege, die über eine reine Pandemievorbereitung hinausgeht und auch andere große Krisen wie beispielsweise Extremwetterereignisse berücksichtigt. Den Auftakt machte der zutiefst erschütternde Bericht einer Leiterin von zwei Senioreneinrichtungen über die Erfahrungen im Hochwasser 2021. Die Situation in der Nacht des Hochwasser war in der einen Senioreneinrichtung dramatisch, weil nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner sofort in die oberen Stockwerke durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebracht werden konnten. Durch die Geistesgegenwart einer Mitarbeiterin, die anregte, die Pflegebetten hochzustellen, konnten jedoch auch alle bettlägerigen Menschen vor dem Hochwasser gerettet werden.
Anschließend habe ich die zwei Handreichungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zur Krisenvorbereitung und Krisenbewältigung für stationäre Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste vorgestellt.
Seit dem Jahr 2022 müssen die Einrichtungen der Langzeitpflege Krisenkonzepte vorhalten, die sie mit den Gefahrenabwehrbehörden vor Ort abstimmen sollen. Das war der Anlass für die BAGFW, zwei Arbeitsgruppen zu initiieren, die entsprechende Empfehlungen in Form der Handreichungen sowie Praxismaterialien entwickelten. Wir waren in den beiden Arbeitsgruppen zusammen rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen sechs Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und haben in wenigen Monaten ohne weitere Projektmittel die beiden Handreichungen neben unserer sonstigen Arbeit erarbeitet und zwei online-Veranstaltungen dazu durchgeführt
In den beiden Handreichungen werden u.a. die Anschaffung von Materialien wie Lebensmittel und Verbrauchgüter, die Bildung von einrichtungsinternen Krisenstäben bzw. Krisenteams, die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Informierung von An- und Zugehörigen empfohlen. Checklisten, Notfallpläne und Musteranschreiben sollen die leichte Umsetzung vor Ort unterstützen. In der Handreichung für ambulante Pflegedienste wird zudem ein Priorisierungskonzept vorgeschlagen, das in einem Krisenereignis für die Planung genutzt werden kann.
Besonders wichtig ist es aus unserer Sicht, sich mit anderen Organisationen aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich sowie dem Katastrophenschutz vor Ort auszutauschen und ggf. Absprachen zu treffen. Denn so wird deutlich, wer was wie in einem Krisenfall leisten und wie man sich gegenseitig unterstützen kann. Ein solcher Austausch könnte erleichtert und verstetigt werden, wenn die Kommunen die Initiative ergreifen und zu einem „Runden Tisch Krisenvorsorge“ einladen. Den Austausch mit der lokalen Gefahrenabwehrbehörde zu ihren einrichtungsindividuellen Krisenkonzepten können Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste nutzen, um zu fragen, ob ein solcher „Runder Tisch“ eventuell schon geplant ist bzw. dies anregen.
Ein weiterer wichtiger Punkt in einem Krisenereignis ist die Erreichbarkeit von pflegebedürftigen Menschen, die in ihrer Häuslichkeit leben und lebensnotwendig auf strombetriebene Geräte, wie z.B. Beatmungsgeräte angewiesen sind. Aus Datenschutzgründen kann bisher nicht erhoben werden, wo diese Menschen leben, die bei einem Stromausfall besonders gefährdet sind. Einige Landkreise haben sich aber auf den Weg gemacht und bieten hier eine freiwillige Registrierung für diese Personen an. Den rechtlich vorgeschriebenen Austausch mit der lokalen Gefahrenabwehrbehörde zu dem Krisenkonzept können die ambulanten Pflegedienste auch nutzen, um in Erfahrung zu bringen und entsprechende Informationen weiterzugeben, ob der eigene Landkreis eine solche Registrierung plant.
Dr. Michael Köhler von der Charité Universitätsmedizin Berlin trug anschließend Erkenntnisse aus dem vom Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderten Forschungsprojekt AuPiK vor. In dem dreijährigen Projekt AuPiK, das bis Juni 2023 lief, war auch das Deutsche Rote Kreuz - neben der Charité, Vincentz Network und dem Konsortialleiter Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen - Projektpartner. Das DRK hat im Rahmen des Projektes verschiedene Beiträge veröffentlicht, unter anderem einen mit dem Projektpartnern herausgegebenen Sammelband zu resilienten Pflegeinfrastrukturen sowie eine Arbeitshilf zur Zusammenarbeit ambulanter Pflegedienste und Strukturen des Katastrophenschutzes für die Versorgung von pflegebedürftigen Personen in Krisen und Katastrophen.
Dr. Köhler von der Charité führte aus, wie ambulante Pflegedienste in Krisen und Katastrophen möglichst lange die pflegerische Versorgung aufrechterhalten können und welche Ansatzpunkte zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit ambulanter Pflegedienste und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders relevant sind.
Er empfahl u.a. eine Stärkung der disaster literacy in der Langzeitpflege, also der Kompetenz, mit Krisen oder Katastrophen umgehen zu können. Dabei sollten die Bildungsbedarfe auf unterschiedlichen Ebenen angegangen werden. Sein Fazit war, dass zum einen pflegebedürftige Menschen in ihrer Häuslichkeit bisher noch nicht ausreichend hinsichtlich der Krisenresilienz berücksichtigt werden und stärker einzubeziehen seien. Zum anderen könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste die Herausforderungen mit Blick auf die Vorbereitung und Bewältigung von Krisen nicht allein bewältigen und würden Unterstützung benötigen.
Das griff mein Kollege Benjamin Fehrecke-Harpke in der folgenden Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Ministerien, der Wissenschaft, dem Deutschen Landkreistag und der Praxis auf.
Er plädierte nachdrücklich dafür, die Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste nicht mit der Krisenvorbereitung allein zu lassen.
Die Kosten für die Krisenvorbereitung könnten kaum von den Einrichtungen der Langzeitpflege getragen werden. So würde einer pflegeökonomischen Machbarkeitsstudie zufolge die durchschnittlichen Kosten für eine Krisenvorbereitung für einen ambulanten Pflegedienst bei mehr als 27.000 Euro liegen.
Auch die erforderlichen Zeiten für die Vernetzungsarbeit, für Sensibilisierungsmaßnahmen gegenüber den An- und Zugehörigen sowie für Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten berücksichtigt werden. Benjamin Fehrecke-Harpke wies außerdem darauf hin, dass es bisher keine Schulungskonzepte für Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste gäbe. Es wäre hilfreich, wenn ein entsprechendes allgemeines Rahmenkonzept entwickelt werden könnte, das nach Bedarf vor Ort anzupassen sei. Hilfreich könnten auch Schulungsformate sein, mit deren Hilfe Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet werden, die die Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste unterstützen. Doch all dies würde Geld kosten, hier wäre ein klares Bekenntnis der Politik zur Krisenresilienz der Pflege erforderlich.