Kinder im Kindergartenalter können helfen, davon ist Emmi Rückert, 58 Jahre, überzeugt. Sie hat es über viele Jahre beobachtet. Deswegen hat sie seinerzeit auch das „Trau Dich“- Programm mit auf den Weg gebracht, das in ihrer Kita regelmäßig durchgeführt wird. Normalerweise, wenn eben kein Corona ist.
Wie sieht Dein Arbeitstag gerade aus?
Durch die Pandemie ändert sich unser Ablauf täglich. Derzeit fällt besonders viel organisatorische Arbeit an, beispielsweise die Anmeldung für die Kindernotbetreuung, die Essensbestellungen oder auch Personalfragen. Diejenigen Mitarbeiterinnen, die selbst Mütter sind, arbeiten teilweise von Zuhause, um das Homeschooling ihrer Kinder begleiten zu können. Derzeit haben wir 31 von insgesamt 71 Kindern, die zur Notbetreuung zu uns in die Kita kommen. Außerdem haben wir noch eine Baustelle auf dem Kitagelände, der Anbau soll Ende 2021 fertig werden. Bis jetzt haben wir immer alles gut geschafft, auch die Umsetzung des Hygienekonzepts. Das war nicht immer einfach, denn wir haben ein teiloffenes Konzept und mussten eigenständige Gruppen bilden. Getrennte Toiletten, eigene Eingänge und vieles mehr. Jetzt hoffen wir auf ein Licht am Ende des Tunnels. Die Zahlen sind etwas zurückgegangen, außerdem setzen wir stark auf das Frühjahr. Wir arbeiten seit fast drei Monaten den ganzen Tag mit Maske, um das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Die Kinder gehen sehr gut damit um und haben sich schnell daran gewöhnt. Was das Impfen angeht, sind wir mit den Lehrern gemeinsam Teil der dritten Gruppierung. Ich denke aber, wir sollten in eine höhere Gruppierung fallen, denn durch die Notbetreuung sind wir nah an den Kindern dran und sie sind genauso betroffen. Sie können ebenfalls Überträger sein.
Welche Tätigkeiten sind Dir besonders wichtig und warum?
Die Kinder mit ihren Familien stehen im Mittelpunkt. Der Kontakt ist besonders wichtig. Auch und gerade jetzt. Wir informieren die Eltern regelmäßig durch Mails und die Kinder können auch wieder Post bei uns abholen. Bis Ende letzten Jahres waren wir außerdem in einem Modellversuch für Medien des Instituts für Frühpädagogik dabei. Wir hatten eine Bewerbung dafür abgegeben und sind ausgewählt worden. Dadurch konnten wir z.B. eine Cloud nutzen und haben Videoaufnahmen mit Fingerspielen oder Sprachnachrichten hochgeladen, die die Eltern mit einem Link abrufen konnten. In dieser Woche läuft eine Online-Umfrage, mit der wir bei den Eltern abfragen, was sie sich außerdem wünschen. Wir haben auch zwei Elternabende und Sitzungen mit dem Elternbeirat per Videokonferenz abgehalten. Besonders nett war eine Konferenz mit den Kindern und den Architekten unserer Baustelle, denn die Kinder haben immer auf den Bau geschaut und hatten ganz viele Fragen.
Was verbirgt sich hinter dem „Trau Dich“- Programm, das Du regelmäßig in Deiner Einrichtung durchführst?
Im „Trau Dich“-Programm führen wir Kinder spielerisch an die Unfallverhütung und die Erste Hilfe heran. Sie lernen wie man Wunden versorgt, Verbrennungen, Beulen und Quetschungen oder Nasenbluten behandelt und wie man den Notruf absetzt. Die Grundlagen sind vor vielen Jahren zunächst für Oberbayern entstanden. Später ist das Programm an den Landesverband gegangen und hat ein neues Gesicht bekommen [seit 2016 gibt es eine Neuauflage für bayerische Kindergärten und Kindertagesstätten, Anm. der Redaktion]. Wir stärken mit dem Programm außerdem die Sozialkompetenz und fördern das Selbstvertrauen der Kinder. Denn in diesem Alter gehen sie noch unbefangen an die Erste Hilfe heran und trauen sich nach und nach immer mehr zu.
In der „Villa Kunterbunt“ führen wir den „Trau Dich“ einmal im Jahr als Projekt durch. Das läuft dann über mehrere Monate, zweimal in der Woche. Zu Beginn fördern wir die emotionale Selbstwahrnehmung der Kinder. Im Spiel „Mein Körper ist ein Haus“ beispielsweise, legen sie sich auf den Boden und wir zeichnen die Umrisse. Dann schauen wir gemeinsam, wo sitzen die Gefühle, wo die Gedanken und was kennen sie schon. So lernen sie sich und andere wahrzunehmen. Durch das Programm führen die beiden Handpuppen „Solfi“ und „Rino“, die in Bildergeschichten viele aufregende Dinge erleben. Das macht die Kinder neugierig. Wir haben die Puppen auch live dabei. Die Kinder dürfen sie mitnehmen und verarzten sie natürlich auch. Ich bestelle vorher immer große Mengen an Verbandsmaterial und unterschiedliche Pflaster (lacht). Parallel gibt es eine Lernwerkstatt, in der die Kinder eigene Erfahrungen machen. Da ist dann auch ein Erste Hilfe-Koffer dabei, mit dem die Kinder experimentieren können. Zum Beispiel, wann hält das Pflaster und wann nicht? Die Kinder lernen mit allen Sinnen und wir machen viele praktische Übungen. Ein buntes Malbuch vertieft die Inhalte. Die Geschichten haben wir auch auf das iPad hochgeladen, damit sie alles nochmal anschauen können. Das machen sie gern. Kinder, die schon einmal mitgemacht haben, fragen auch von sich aus, wann der „Trau Dich“ wieder stattfindet, weil sie so begeistert sind.
Wie bist Du auf den Gedanken gekommen, das Programm zu entwickeln?
Mit siebzehn Jahren bin ich zum Jugendrotkreuz gekommen und habe lange Jugendgruppen geleitet. Auch heute bin ich noch dabei und bilde Führungskräfte in der Jugendarbeit aus. Außerdem bin ich Ausbilderin in Erster Hilfe in der Breitenausbildung und der Ersten Hilfe am Kind und ausgebildete Rettungssanitäterin. Als ich damals das Juniorhelfer-Programm für Kinder von sechs bis zehn Jahren in der Gruppenstunde ausprobiert habe, dachte ich mir: „Was mach´ ich bloß mit jüngeren Kindern?“ Als man mich dann fragte, ob ich mir dazu Gedanken machen könnte, habe ich die Elternzeit genutzt und an den Grundlagen gearbeitet.
Warum ist es für Dich wichtig, das „Trau Dich“ – Programm mit den Kindern durchzuführen?
Durch meine Arbeit im Jugendrotkreuz habe ich gesehen, dass Kinder schon früh helfen können. Sie trauen es sich auch zu. Einige glauben das nicht, aber Kinder können das! Auch jüngere Kinder. Unfälle passieren oft auch im häuslichen Umfeld. Wenn Kinder dann die Nachbarin holen oder einen Notruf absetzen, ist so viel erreicht. Mir ist wichtig, dass sie Selbstvertrauen entwickeln. Man sieht immer wieder, dass Erwachsene an Unfällen vorbeifahren, weil sie glauben, sie können nicht helfen. Aber das kann jeder. Allein die Hand halten und ein paar persönliche Worte mitgeben, hilft so viel. Mir ist wichtig, dass Ängste gar nicht erst entstehen und, dass die Kinder ein Übungsfeld haben, in dem sie spielerisch lernen können.
Welches „Kleine Wunder“ erlebst Du dabei?
Ich sehe immer, dass die Kinder völlig unbefangen auf das Thema zugehen und wie ihre Augen leuchten. Das lässt dann auch mein Herz höherschlagen. Dafür lohnt jede Mühe.
Was gibt Dir dieses „Kleine Wunder“ mit Blick auf den Grundsatz der Menschlichkeit?
Wir alle sind Menschen. Es ist wichtig, dass wir füreinander da sind. Und, dass wir den Kindern etwas zutrauen. Ich bin lange Zeit ehrenamtlich im Roten Kreuz aktiv, beispielsweise als „Helfer vor Ort“. Es sind die kleinen Gesten, die zurückkommen, die mir viel bedeuten. Insbesondere ältere Menschen sind oft so froh und dankbar. Ich habe gerade die Ausbildung zum Kriseninterventionshelfer gemacht, weil ich häufiger die Situation erlebte, dass Angehörige weiteren Unterstützungsbedarf haben. Wir werden nach dem Verlust eines Angehörigen oder nach einem belastenden Ereignis tätig. Ziel ist es, den betroffenen Mitmenschen schnelle und professionelle Hilfe zukommen lassen. Wir wollen ihnen in schwierigen Ausnahmesituationen das Gefühl vermitteln, nicht allein gelassen zu werden und ihnen den Weg in die Bewältigung – sei es Trauer, sei es Verarbeitung – öffnen.
Was unterscheidet Deine Rotkreuz-Einrichtung positiv im Verhältnis zu anderen Anbietern?
Das ist das weltoffene Bild, das wir jeden Tag leben und nach außen geben. Es beruht auf den Grundsätzen des Roten Kreuzes, die sich in unserem Denken und Handeln wiederfinden. Auch bei mir ist das so.
Was bestärkt Dich, das Richtige zu tun?
Ich möchte offen für vieles sein und auf Menschen zugehen. Das ist es auch, was mir an der Arbeit mit Kindern Spaß macht. Sie sind so unglaublich begeisterungsfähig, das macht es für mich aus.
Welche schönen Momente geben dir Kraft und Zuversicht?
Als Team Kindergarten halten wir fest zusammen, das spürt man auch jetzt wieder. Wir
unterstützen uns gegenseitig. Wir wollen einfach nicht nur Negatives sondern auch die
schönen Dinge sehen und zuversichtlich bleiben. Uns stärkt, dass wir für die Kinder da sind.
Wir versuchen, so gut es eben geht, mit ihnen einen normalen Alltag zu leben, damit sie
auch in diesen Zeiten, Kinder sein dürfen.
Gibt es einen Gedanken, den Du teilen möchtest? Liegt Dir etwas besonders am Herzen?
Es sind die kleinen Dinge, die unser Dasein ausmachen. Es geht um das Zuhören und das
Aufeinanderzugehen. Und, dass wir manche Momente wirken lassen und einfach genießen.
Von Heike Harenberg, Dorian Lübcke, Natascha Baumhauer
Das Interview ist Teil des Projekts „DRK erleben“ für die Hauptaufgabenfelder Kindertagesbetreuung und Altenhilfe und wird mit Mitteln der GlücksSpirale gefördert.
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