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Digitale Fachtagung „(Alt)kleider sammeln – neu denken“ informierte über neue gesetzliche Bestimmungen und bot Raum für lebendigen Diskurs

Hat die Altkleidersammlung im DRK und in der gesamten zirkulären Wirtschaft eine Zukunft? Diese zentrale Frage und viele weitere Inhalte waren Thema auf der ersten digitalen Fachtagung deutschlandweit zum Thema Altkleidersammlung. Rund 40 Mitarbeiter*innen mit Fachexpertise und Führungskräfte des DRK erhielten aktuelle Informationen zu neuen gesetzlichen Bestimmungen auf EU und Bundesebene und hatten die Chance zu lebendigem Diskurs.

Gemeinsam mit gewerblichen, gemeinnützlichen und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern sammelt das DRK in Deutschland bis zu 1,4 Millionen Tonnen Alttextilien im Jahr. Das entspricht etwa 25% des gesamten Sammelaufkommen europaweit. Das zeigt, dass Deutschland ein bereits sehr gut funktionierendes Sammelsystem für Textilien aufgebaut hat. Und trotzdem sehen viele Akteurinnen und Akteure aus der Branche die Altkleidersammlung als gefährdet an. Nicht nur die Preisschwankungen im Altkleidermarkt oder die ständig sinkende Qualität der Ware in den Containern bereitet uns im DRK und vielen anderen Sorgen, sondern auch die neuen gesetzlichen Verordnungen auf EU- und Bundesebene erzeugen Verunsicherung. 

Sammlung und Vertrieb von Altkleidern finanziert im DRK soziale Projekte und schont gleichzeitig die Umwelt

Altkleidersammlung hat im DRK Tradition. Das DRK ist einer der größten und ältesten gemeinnützigen Alttextilsammler in Deutschland. Gesammelt wird hier schon lange aus zweierlei Gründen: Einerseits versorgt das DRK jährlich 1,2 Millionen Menschen mit geringem Einkommen mit gut erhaltener Kleidung, andererseits werden durch den Verkauf der Überschüsse freie Mittel für soziale Projekte generiert. Gleichzeitig ist der nachhaltige Umgang mit Ressourcen ein zentrales Thema für DRK-Mitarbeitende in den Kleiderläden und -kammern. Viele sind stolz darauf mit dem Vertrieb von Secondhand Kleidung einen wichtigen Beitrag zum Schutz unserer Umwelt zu leisten. DRK-Kleiderläden sind zu dem mehr als ein Ort des Konsums. Für viele Kundinnen und Kunden sind sie neben der Versorgung mit Kleidern eine Anlaufstelle für Austausch und Beratung. 

Wie können also trotz sinkender Qualität der Kleidung und immer kleiner werden Margen für verkaufte Kleidung weiterhin Menschen mit qualitativ guter Ware versorgt und gleichzeitig sozialen Angebote mit dem Verkauf finanziert werden?

Zahlreiche gesetzlichen Verordnungen sorgen für Verunsicherung 

Angesichts komplexer Inhalte und immer neuer rechtlicher Bestimmungen ist die Verunsicherung bei den Mitarbeitenden im DRK deutlich spürbar. Der Bedarf an Weiterbildung und Austausch wächst. Deswegen initiiert die Textile Kreislaufwirtschaft zusammen mit der AG Altstoffe die erste digitale Fachtagung, die sich genau diesen Themen widmet. 

Als Referenten sprechen Thomas Fischer vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (bvse), Katja Stolzenberg-Hepp aus dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft in Baden-Württemberg und Nicole Kösegi von der Gemeinschaft für textile Zukunft. Sie beleuchten die Inhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln von Politik und Wirtschaft und versorgen die Teilnehmenden mit allen relevanten Informationen. Im Anschluss an alle Beiträge gab es für die Teilnehmenden aus 14 Landesverbänden genügend Zeit sich auszutauschen, das Gehörte zu diskutieren und Fragen zu stellen.

Die Textilbranche ist nicht das Sorgenkind der Recycler

Thomas Fischer vom bvse beruhigt zunächst die Teilnehmenden: „Wegen der in 2025 geplanten EU-Abfallrahmenrichtlinien machen wir uns vielleicht mehr Sorgen, als nötig“. Denn gemeinsam mit der EU verfolgen die DRK-Kleiderläden und -kammern gleiche Ziele: Der Umwelt zuliebe die Verwendung von Sekundärrohstoffen fördern und dadurch Primärrohstoffe schonen. 

Ab dem 01.01.2025 müssen im Zuge des Green Deal europaweit Textilien getrennt erfasst werden und viele Sammler fürchten sich vor der Flut an Altkleidern, die aus anderen europäischen Ländern den deutschen Markt überschwemmen könnten. „Dabei wird der Anteil an qualitativ hochwertiger Ware, die so genannte Creme-Ware, eher gering ausfallen“, versichert Fischer. Qualitativ hochwertige Ware ist für das DRK von großer Bedeutung, denn Ziel ist es, Menschen mit geringem Einkommen mit gut erhaltener Ware zu versorgen. 

„Hinzu kommt noch, „dass mittlerweile 2-10% der Creme-Ware deutschlandweit von privaten Haushalten eigenständig über den Online-Handel vertrieben wird.“ Das heißt mehr Bürgerinnen und Bürger sind bereit, die Circular Economy selbst umzusetzen und ihre nicht mehr genutzten Kleider weiterzugeben. Das ist aus Nachhaltigkeitsaspekten zu begrüßen, bedeutet aber für das DRK zunehmende Herausforderungen an die benötigte Creme-Ware zu gelangen. 

Die Altkleidersammlung habe in Deutschland definitiv eine Zukunft, sagt Fischer abschließend.

Shit in, shit out! – Nachhaltigkeit ist in aller Munde, wird aber noch zu wenig gelebt

Katja Stolzenberg-Hepp vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft in Baden-Württemberg, ist studierte Juristin und hat 5 Jahre Erfahrung in verschiedenen Positionen in der Umweltverwaltung des Landes Baden-Württemberg.

Mit ihr zusammen werfen die Teilnehmenden, aus Sicht der Politik einen Blick auf den Alttextilmarkt. Dafür ist ein Blick zurück in das Jahr 2017 nötig, in dem die Mehrheit der Ländern beschließt, dass beim Stoffstrom der Altkleider keinerlei Unterstützungsbedarf besteht, weil das ja ein selbstgängiger Stoffstrom sei. Obwohl sich damals bereits Entwicklungen, wie die Verdopplung der globalen Textilproduktion oder der Trend zu kurzlebiger, billiger Fast Fashion mit kurzer Tragezeit ankündigte, sah man hier mehrheitlich keinen Handlungsbedarf. Einige Länder gemeinsam mit dem UBA wurden trotzdem aktiv.

Das hat zur Folge, dass die Politik zwar gerade vermehrt Rahmenbedingungen schafft, um den Themen Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft gerecht zu werden, man aber von einer echten Kreislaufwirtschaft noch weit entfernt sei. 

Auf europäischer Ebene zählt dazu der European Green Deal, ein von der europäischen Kommission verabschiedetes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der EU unser Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Das heißt wir müssen drastisch unseren gesamtem Ressourcenverbrauch reduzieren. Was das genau für das DRK, als Altkleidersammler bedeutet ist momentan noch unklar – einige fürchten sich aber insgeheim vor einem „Maßnahmen-Tsumani“. Deswegen erwarten alle Beteiligten sehnsüchtig die Strategie für Textilien im Rahmen des European Green Deal, die voraussichtlich im 3.Quartal dieses Jahres veröffentlicht wird. 

Besonders die Produkt- und Herstellerverantwortung ist für eine echte Kreislaufwirtschaft von großer Bedeutung. Katja Stolzenberg-Hepp führt einen Realitätscheck durch. Dabei erkennen die Teilnehmenden, dass einige der wichtigsten Faktoren, die gebraucht werden, um die Produkte im Kreislauf zu halten, eher rückläufig sind. Zum Beispiel sinkt die Lebensdauer unserer Kleidung in den letzten Jahren – Billigwaren aus Materialmixen überschwemmen noch immer den Markt. Allein eine Person verursacht pro Jahr 11kg Textilmüll, damit stellen Textilien, nach Lebensmittel, Wohnen und Transport, die viertgrößte Ressourcenverbrauchsgruppe in der EU dar. Für eine Regeneration der Altkleidersammlung braucht es am Ende folglich auch mehr Nachhaltigkeit bei Konsum und Produktion.

Der Markt regelt das nicht von sich aus – hierzu bedarf es neuer gesetzlicher Regelungen

Nicole Kösegi von der Gemeinschaft für textile Zukunft, hat 20 Jahre Erfahrung in der Abfallwirtschaft und unterstützt Unternehmen und Organisationen bei der Umsetzung ihrer Vorhaben in Bezug auf kreislaufwirtschaftliches Handeln. Für sie ist klar, dass wir einen Wandel im Umgang mit Textilien herbeiführen müssen. Dazu zählen unter anderem Änderung des Material-Designs, Entwicklung neuer Recyclingtechnologien, Fasergewinnung aus gebrauchten Textilien im industriellen Maßstab oder Stärkung und Weiterentwicklung der bestehenden Infrastruktur. Und dazu bedarf es gesetzliche Regelungen!

Auch wenn in Deutschland bei der Umweltministerkonferenz vom 23. April 2021 eine Obhutspflicht für Herstellerinnen und Hersteller beschlossen wurde, sind manch andere europäische Länder weit voraus. In Schweden sind bereits ab 2022 Textil-Unternehmen verpflichtet sich an einem zugelassenen Rücknahmesystem zu beteiligen und es gibt klare Zielsetzungen: Allein bis 2028 sollen Textilien im Restmüll um 70% reduziert werden. 

Auch in Frankreich ist das Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) per Regierungsbeschluss bereits im Gesetz verankert. Dabei nimmt das Land eine Vorreiterrolle ein, indem es die Verantwortung nicht nur auf textile Stoffströme beschränkt. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Verschwendung und zur Förderung der Kreislaufwirtschaft vom 10. Februar 2020 hat Frankreich die erweiterte Herstellerverantwortung auf eine Vielzahl an Produkten erweitert. Diese sind u.a. Sportartikel, Spielzeug oder Schmier- oder Industrieöle.

Nicole zeigt hier auch auf, welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind, damit eine echte Kreislaufwirtschaft in Deutschland aufgebaut werden kann. Es braucht dringend konkrete Ziele, Kontroll- und Überwachungsmechanismen und eine gemeinsame Kommunikationsstrategie. Und am Ende sind Finanzierungsmechanismen erforderlich, die die Grundlage für die Umsetzung all dieser Faktoren bildet. 

Der Blick in die Glaskugel 

Als Verband sind, idealerweise eindeutige Antworten und Prognosen im Bereich textile Kreislaufwirtschaft sehr zu wünschen, um interne strategische Entscheidungen besser auszurichten zu können. Die Fachtagung offenbart, dass die Kreislaufwirtschaft in Deutschland noch in vielen Bereichen in den Kinderschuhen steckt – Strategien und Gesetze erscheinen wie ein Flickenteppich. Nötig ist jedoch eine ganzheitliche, übergeordnete deutsche Kreislaufwirtschaftsstrategie mit ambitionierten nationalen Zielen. Dafür müssen sich in Zukunft Akteurinnen und Akteure aus allen Bereichen des textilen Kreislaufs vermehrt austauschen und zusammenarbeiten. 

Das DRK sieht sich, auf Grund langjähriger Erfahrung in der Alkleidersammlung als wichtigen Player. Die Erfassung, Sortierung und Verwertung von Alttextilien ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die das DRK auch in Zukunft mitgestalten will. Denn Kreislaufwirtschaft ist Zukunftswirtschaft!

Autorin
Natascha Baumhauer | Referentin für textile Kreislaufwirtschaft und digitale Iniativen
Zusammenfassung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den Alttextilienmarkt:

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