Neuordnung der Gesundheitsfachberufe
Mit dem Referentenentwurf zu dem MTA-Reformgesetz möchte der Gesetzgeber einen weiteren Beitrag für die Einlösung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Versprechens zur Neuordnung der Gesundheitsfachberufe leisten (Die Bundesregierung 2018, S. 100). Grundlage hierfür sind die gemeinsamen Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu einem Gesamtkonzept der Gesundheitsfachberufe, welche grundsätzliche Strategien zu (ge)wichtigen berufspolitischen Themen, wie die Abschaffung des Schulgeldes und die Finanzierung einer Ausbildungsvergütung, sowie die Akademisierung und die selbstständige Ausübung von Heilkunde, für alle Gesundheitsfachberufe beinhalten (Bundesministerium für Gesundheit 2020a, S. 1). Das MTA-Reformgesetz sieht daher eine umfassende Neugestaltung der medizinisch-technischen Assistenzberufe in den drei humanmedizinischen Fachrichtungen Laboranalytik, Radiologie und Funktionsdiagnostik vor. Darüber hinaus wird auch der veterinärmedizinische Bereich reformiert (Bundesministerium für Gesundheit 2020b, S. 51).
Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen: „Was haben denn die medizinisch-technischen Assistenzberufe mit der Weiterentwicklung der Pflegeberufe zu tun? Das sind doch völlig unterschiedliche Berufsbilder!“.
Die Antwort darauf lautet wohl ja und nein. Auf den ersten Blick haben die Pflegeberufe nur wenig mit den Medizinischen Technologinnen und -Technologen (MT), wie die MTAs zukünftig heißen sollen, gemein. Vergleicht man allerdings das MTA-RefG und das PflBG genauer, wird klar, dass sich die Vorbehaltsaufgaben und -kompetenzen der MTs, mit denen der Pflegeberufe überschneiden können.
Sicherstellung der pflegerischen Kompetenzen
Unter Vorbehaltsaufgaben werden im Berufsrecht allgemein diejenigen Aufgaben verstanden, die ausschließlich und exklusiv durch eine bestimmte Berufsgruppe durchgeführt werden dürfen (Büscher und Kollegen 2019, S. 1) – und ihnen daher vor-behalten sind. Beispielsweise ist die Ausübung von Heilkunde nach § 1 des völlig veralteten HeilprG von 1939 eine nach wie vor den Ärzten vorbehaltene Tätigkeit.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 MTBG RefE dürfen die folgenden Tätigkeiten nur durch Medizinische Technologinnen und -Technologen für Labordiagnostik (MTLD) ausgeübt werden:
„Durchführung biomedizinischer Analyseprozesse mittels chemischer, physikalischer sowie immunund molekularbiologischer Methoden und Verfahren einschließlich Plausibilitätskontrolle und Qualitätssicherung,“
Diese Tätigkeiten werden jedoch auch nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 PflBG im Rahmen der ärztlich angeordneten Maßnahmen der medizinischen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Pflegefachfrauen und -männern eigenständig durchgeführt. Wären sie den MTLDs vorbehalten, könnten Pflegende und andere Gesundheitsfachberufe keinerlei klinische Diagnostik durchführen, wovon letztlich alle Versorgungsbereiche der Pflege betroffen wären, da nicht einmal ein Blutzucker- oder Urintest durchgeführt werden dürfte.
Zwar werden in § 5 Abs.1 Satz 2 einfache klinisch-chemische Analysen, sowie einfache Untersuchungen, etwa von Körperflüssigkeiten, Ausscheidungen und Blut, von den vorbehaltlichen Tätigkeiten der MTLDs ausgenommen; allerdings zeigte sich gerade in der Verbändeanhörung, dass der Begriff der einfachen Tätigkeiten gar nicht so einfach zu verstehen ist, denn auch für diese Tätigkeiten werden dezidierte, fachspezifische Kompetenzen benötigt, beispielsweise hinsichtlich der Anatomie und Physiologie, der Krankheitslehre, sowie der fachgerechten Durchführung der jeweiligen diagnostischen Methoden. Insofern lässt sich in diesem Zusammenhang nur schwer von einfach sprechen, was auch die Bundesärztekammer in der Anhörung bestätigt hat. Das BMG hat die durch das DRK benannte Problematik meiner Auffassung nach jedoch verstanden, und ist um eine Lösung bemüht. Wie dies aussehen mag, bleibt abzuwarten. Letztlich wird sich das mit dem Kabinettentwurf zeigen.
Noch deutlicher treten allerdings die Kompetenzüberschneidungen zwischen den Pflegeberufen und den Medizinischen Technologinnen und Technologen für Funktionsdiagnostik (MTFD) zu Tage. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 MTBG RefE dürfen folgende Tätigkeiten nur durch MTFDs ausgeübt werden:
„Durchführung funktionsdiagnostischer Untersuchungen in der Kardiologie, in der Pneumologie, in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und in der Neurologie einschließlich Plausibilitätskontrolle und Qualitätssicherung,“
Auch diese Tätigkeiten werden jedoch nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 PflBG ebenfalls von Pflegefachfrauen und -männern im Rahmen der ärztlich angeordneten Maßnahmen der medizinischen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation eigenständig durchgeführt. Wären diese Aufgaben ausschließlich den MTFDs vorbehalten, könnten Pflegende nicht mehr in den medizinisch-technischen Diensten, sowie den Funktionsdiensten der Krankenhäuser tätig sein. Davon wären nach den aktuellen Zahlen ca. 40.000 beruflich Pflegende betroffen (Statistisches Bundesamt 2018, S. 51). Dazu kämen weitere Pflegende, die in Ambulanzen, MVZs und Praxen tätig sind.
Die vorbehaltenen Tätigkeiten der MTs werden zwar in § 6 Abs. 1 MTBG RefE wieder für andere Berufsgruppen geöffnet – und die Pflegeberufe könnten mit etwas gutem Willen unter Nr. 6 eingeordnet werden. Die dort enthaltene Definition, wonach die Vorbehaltsaufgaben der MTs von
„Personen mit einer staatlich geregelten, staatlich anerkannten oder staatlich überwachten abgeschlossenen Ausbildung,“
ausgeübt werden können,
„sofern diese Tätigkeit Gegenstand ihrer Ausbildung und Prüfung war,“
lässt allerdings einen großen Interpretationsspielraum zu. Und trägt daher nicht zu einer echten Rechtssicherheit für die Berufsangehörigen bei. Auch der Gesetzesbegründung lässt sich keine Klarstellung entnehmen. Meiner Ansicht nach hat das BMG unsere Problemschilderung in der Anhörung jedoch verstanden, sodass die Pflegeberufe hoffentlich in dem Kabinettentwurf eindeutiger als Ausnahmen adressiert werden.
Interessanterweise würde das BMG, auf unsere Nachfrage hin, die hochschulische Pflegeausbildung unter § 6 Abs. 1 Nr. 1 MTBG RefE einsortieren, womit die BScNs laut der Gesetzesbegründung den Ärztinnen und Ärzten, in diesem Kontext, formal gleichgestellt wären. Das ist doch einmal was. Endlich auf Augenhöhe :-).
Weiterentwicklung pflegerischer Rollenbilder
Darüber hinaus haben wir uns dafür ausgesprochen, dass die Weiterentwicklung der pflegerischen Berufsbilder, insbesondere im Zusammenhang mit international erprobten Modellen, die die selbstständige Durchführung von Heilkunde, sowie das Ausstellen von Verordnungen zum Gegenstand haben, trotz der Kompetenzerweiterungen anderer Gesundheitsfachberufe, weiterhin auf der politischen Agenda bleiben. Denn die Pflegeberufe bleiben in dem Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe, aufgrund des erst in diesem Jahr in Kraft getretenen PflBG, weitgehend außen vor (Bundesministerium für Gesundheit 2020a, S. 3).
Damit spielen wir selbstverständlich auf die Kompetenzen von Advanced Practice Nurses an (Sastre‐Fullana und Kollegen 2014), die im anglo-amerikanischen Raum die personenzentrierte Versorgung bestimmter, bisher unzureichend berücksichtigter Zielgruppen sicherstellen. Denn hochqualifizierte Pflegende erreichen bei der Übertragung bestimmter ärztlicher Tätigkeiten oder weitreichender Verordnungskompetenzen äquivalente und möglicherweise sogar bessere Ergebnisse, wie niedergelassene Ärzte (Laurant und Kollegen 2018; Weeks und Kollegen 2016).
Die Möglichkeit, als eigenständiger Leistungserbringer in der Primärversorgung aufzutreten, würde das Berufsbild Pflege nachhaltig aufwerten und den Zugang bisher vernachlässigter Populationen zu der Gesundheitsversorgung verbessern. Aus diesem Grund wurden in der AG 3 der Konzertierten Aktion Pflege verschiedene Maßnahmen in den Handlungsfeldern I und IV vereinbart, die die Weiterentwicklung von pflegerischen Rollenbildern und Versorgungsstrukturen zum Ziel haben (BMAS, BMG & BMFSFJ 2019).
Das DRK setzt sich auf der Bundesebene dafür ein, dass die dazu benötigten (unter-)gesetzlichen Regelungen so bald wie möglich auf den Weg gebracht werden. Für die praktische Umsetzung etwaiger Modellprojekte stehen wir als Trägerverband gerne zur Verfügung.
Schlussbemerkungen
Letztendlich hat sich also gezeigt, dass sich bei der Weiterentwicklung der Pflegeberufe immer auch der Blick zu den anderen Gesundheitsfachberufen lohnt, da die Pflege auf systemischer Ebene nicht isoliert, sondern im Gesamtkontext der Gesundheitsversorgung organisiert wird.
Ebenso hat sich gezeigt, dass sich die Änderung eines berufsfremden Gesetzes auch auf die Pflegeberufe auswirken kann, und dass die Ursache-Wirkungsprinzipien in der Gesundheits- und Pflegepolitik eher dynamisch, als linear verlaufen.
Darüber hinaus schadet es auch nicht den ärztlichen Interessensvertretungen und Fachverbänden in den Verbändeanhörungen das professionelle Selbstverständnis der Pflegeberufe nahezulegen.
Und wer weiß, vielleicht darf der Heilberuf Pflege irgendwann auch einmal Heilkunde ausüben. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den wir aus dem Hauptaufgabenfeld Altenhilfe und Pflege gerne konstruktiv, mit dem nötigen Maß an Kritik, begleiten.
Quellenangaben
BMAS, BMG, BMFSFJ. (2019). Konzertierte Aktion Pflege. Vereinbarungen der Arbeitsgruppen 1 bis 5. Online im Internet [Abruf: 27.08.2020]
Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.). (2020a). Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe. Online im Internet [Abruf: 27.08.2020]
Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.). (2020a). Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze vom 31.07.2020. Online im Internet [Abruf: 27.08.2020]
Büscher, A., Igl, G., Klie, T., Kostorz, P., Kreutz, M., Weidner, F., Weiß, T., Welti, F. (2019). Probleme bei der Umsetzung der Vorschrift zur Ausübung vorbehaltener Tätigkeiten (§ 4 Pflegeberufegesetz) – Anmerkungen und Lösungsvorschläge. Online im Internet [Abruf: 27.08.2020]
Die Bundesregierung (Hrsg.). (2018). Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 19. Legislaturperiode. Online im Internet [Abruf: 27.08.2020]
Heilpraktikergesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2122-2, veröffentlichtenbereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 17e des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191) geändert worden ist.
Laurant, M., van der Biezen, M., Wijers, N., Watananirun, K., Kontopantelis, E., & van Vught, A. J. (2018). Nurses as substitutes for doctors in primary care. Cochrane Database of Systematic Reviews, (7).
Pflegeberufegesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2581), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 19. Mai2020 (BGBl. I S. 1018) geändert worden ist.
Sastre‐Fullana, P., De Pedro‐Gómez, J. E., Bennasar‐Veny, M., Serrano‐Gallardo, P., & Morales‐Asencio, J. M. (2014). Competency frameworks for advanced practice nursing: a literature review. International nursing review, 61(4), 534-542.
Statistisches Bundesamt. (2018). Gesundheit. Grunddaten der Krankenhäuser: 2.5. Nichtärztliches Personal. Online im Internet [Abruf: 27.08.2020]
Weeks, G., George, J., Maclure, K., & Stewart, D. (2016). Non‐medical prescribing versus medical prescribing for acute and chronic disease management in primary and secondary care. Cochrane Database of Systematic Reviews, (11).