Sabine, was hat dich an den Fakten aus dem Fachkräftebarometer 2019 am meisten überrascht?
Wie schnell sich das System entwickelt und verändert. Das
Fachkräftebarometer Frühe Bildung liefert auf Basis amtlicher Daten Informationen über Personal, Arbeitsmarkt und Erwerbssituation sowie Qualifizierung in der Frühpädagogik. Bereits 2014 und 2017 wurden all diese Daten ausgewertet, was ein echter Wissensschatz ist. Das Arbeitsfeld boomt. Heute arbeiten
768.300 Beschäftigte in der Kindertagesbetreuung und Kindertagespflege. Das ist ein
Wachstum um 72 Prozent allein zwischen 2008 und 2018. All das haben die engagierten Fachkräfte vor Ort geschafft, neben ihrer Kernarbeit – die Begleitung und Betreuung der Kinder. Für diesen Kraftakt können wir gar nicht genug DANKE sagen.
Ute, in Bezug zur ersten Frage: und welche Zahl hat dich am meisten beeindruckt?
Es waren zwei Zahlen, die mich neben der Gesamtzahl an Beschäftigten besonders überrascht haben:
- 31% - so viel Fachkräfte beenden ihre Tätigkeit im Arbeitsfeld Frühe Bildung laut eigener Angabe aufgrund von Betreuung eigener Kinder oder Familienangehörigen. Das sind doppelt so viele wie für die Erwerbstätigen insgesamt und auch wie für andere Arbeitsfelder mit hohem Frauenanteil. Über die Gründe konnte auf der Veranstaltung nur spekuliert werden...
- 609% - um diese Zahl ist der Anteil von Sozialassistentinnen/ Sozialassistenten beim Personal in Kindertageseinrichtungen von 2016-2018 gestiegen. In absoluten Zahlen ist das ein Plus von 10.557 Personen, die auf DQR-Level 4 tätig sind. Als „Shooting-Star“ wurde diese Personengruppe in der Vorstellung betitelt – eine fragwürdige Zuschreibung! Gut, dass dennoch Erzieherinnen/ Erzieher weiterhin die dominierende Berufsgruppe sind.
Sabine: Im Workshop Arbeitsmarkt Frühe Bildung wurden die Zahlen ins Verhältnis gesetzt zu anderen Arbeitsfeldern. Wie entwickelt sich denn die Frühe Bildung?Ute: Das Arbeitsfeld frühe Bildung ist ein sehr dynamisches Feld, soweit bekannt. Überraschend war dann, wie stark das Wachstum vor allem im Vergleich zu anderen Branchen ist. Während der durchschnittliche Anstieg an Vollzeitbeschäftigten in allen Arbeitsfeldern von 2012 bis 2017 bei 9% lag, ist das Arbeitsfeld Frühe Bildung um 26%, also dreimal so stark gewachsen. Das ist auch deutlich mehr als in anderen Wachstumsbranchen wie IT-Netzwerktechnik oder im sozialen Bereich in der Altenpflege. Damit ist nicht nur ein Anstieg an Personen festgestellt, sondern der Brutto-Beschäftigungsumfang ist deutlich gestiegen. Und dieser wird weiter steigen. Das ist eine gute Nachricht und Herausforderung zugleich.
Ute: Was waren zentrale Diskussionspunkte im Workshop zum Thema Ausbildung?Sabine: Dass die Ausbildungsmöglichkeiten in den letzten Jahren enorm ausgebaut wurden und das es trotzdem nicht reicht. Der Trend geht zu vergüteten Ausbildungsmodellen, weshalb wir als DRK in den Ländern dafür werben müssen, dass diese Möglichkeiten mit guten Rahmenbedingungen ausgebaut werden. Zwei wichtige Erkenntnisse habe ich mitgenommen: Die Ansprache konzentriert sich noch zu stark auf junge Menschen mit mittlerem Schulabschluss. Die Quote der Akademikerinnen und Akademiker hat sich bisher nur von 3 auf 6 Prozent erhöht. Hier ist noch Puffer, da insbesondere die Soziale Arbeit gerade ein Trendstudiengang ist, der für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe ein großes Potenzial bietet. Angesichts des wachsenden Aufgabenspektrums, wie z.B. Personal- und Organisationsentwicklung von Kindertageseinrichtungen brauchen wir mehr akademisch ausgebildetes Personal in den Kitas.
Ute: Es gibt viele Stellschrauben, um dem steigenden Fachkräftebedarf zu begegnen. Welche Stellschraube ist für das DRK die relevanteste?Sabine: Für das DRK sehe ich drei Stellschrauben. Wir müssen selbst mehr ausbilden und das Wachstum der DRK Fachschulen für Soziale Arbeit in den Bundesländern unterstützen. Im Moment sind wir mit fünf Fachschulen bundesweit da schon auf dem Weg. Zweitens brauchen Träger systematische Personal- und Organisationsentwicklungskonzepte, die auch Durchlässigkeit zwischen den Arbeitsfeldern und vor allem eine wirklich qualifizierte Berufseinmündungsphase gestalten. Hier geht uns ein Viertel der Fachkräfte in den ersten fünf Jahren verloren. Zudem sind wir auch selbst in der Tarifgestaltung in der Pflicht, uns dafür einzusetzen, dass sich die Karrierepfade und Entwicklungsmöglichkeiten für Fachkräfte in der Frühen Bildung abbilden. Erzieherinnen und Erzieher sind eine der fortbildungsaffinen Berufsgruppen. Dafür braucht es mehr Anreize und Entwicklungsmöglichkeiten, die sich auch finanziell abbilden.
Ute, welche Stärken siehst du im DRK die Professionalisierung der Frühen Bildung voranzutreiben?
Ein wichtiger Schritt ist auf jeden Fall das geplante DRK-Positionspapier zur Definition einer „Fachkraft“. Hoffentlich gelingt es darin, einen Konsens zu finden, der die unterschiedlichen Entwicklungen in Ost und West gut berücksichtigt. Im Verband gibt es viel Expertise, Engagement und den grundlegenden Wunsch, stets im Sinne der Kinder zu agieren. Im DRK existieren bereits verschiedene Konzepte und Werkzeuge zur Personalgewinnung, -entwicklung und -bindung. Es ist eine Chance, diese flächendeckend anzuwenden und ggf. für den Bereich Kindertagesbetreuung anzupassen. Deshalb ist auch eine Trägerhandreichung geplant, in der wir wichtige Themen für die Träger von DRK-Kindertageseinrichtungen aufbereiten wollen. Zentral ist dabei aus meiner Sicht die Frage der Personalbindung – Was macht uns als DRK-Arbeitgeber so attraktiv, dass vor allem auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren DRK-Kindertageseinrichtungen bleiben wollen?
Sabine, auf dem Podium hast du davon gesprochen, dass alle gemeinsam Mut haben sollten, da uns sonst die Entwicklung im Arbeitsfeld überrollt. Mit Blick auf den Fachkräftebedarf im Bereich Frühe Bildung, wo täte uns im DRK Mut besonders gut?
Das Arbeitsfeld entwickelt sich so schnell und wird es weiter tun. Mit dem Koalitionsversprechen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder einzuführen wird der Fachkräftebedarf ja absehbar weiter wachsen. Wir wissen, der Markt an ausgebildetem Personal ist leergefegt. Lösungen dafür brauchen aus meiner Sicht den Mut, unkonventionelle Lösungen im Modell auszuprobieren. Wie kann es funktionieren, Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen in pädagogischen Prozessen mit Kindern anzuleiten? Oder macht es Sinn, mehr Karrierestufen tariflich abzubilden? Unser Ziel ist und bleibt, gute Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern in dem familienergänzenden Angebot der Kindertagesbetreuung zu erreichen.
Im Juli 2019 wird die Printversion des Fachkräftebarometers 2019 erscheinen.