Alle Kinder brauchen andere Kinder. Nach wochenlangem Zusammensein mit der Familie in einem Haushalt wollen auch jüngere Kinder wieder anderen Kindern begegnen. Sie wollen sich über Erlebtes austauschen, toben und lachen und Gefühle und Erfahrungen mit Bezugspersonen außerhalb der eigenen Familie teilen. Denn nicht nur für Eltern ist die derzeitige Situation eine Belastung.
Jetzt die Perspektive der Kinder einnehmen
Kinder jetzt in den Fokus zu nehmen ist auch eine wesentliche Forderung der aktuellen Stellungnahme „Von der Notbetreuung für Wenige zur Kindertagesbetreuung für Viele – Worauf es bei der Kita-Öffnung ankommt!“ der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ). Sie zeigt wie vielschichtig die schrittweise Öffnung der Kitas sein kann, wenn die Bedürfnisse und der persönliche Schutz aller Beteiligten (Kinder, Eltern, Fachkräfte etc.) berücksichtigt werden.
Das DRK betreibt bundesweit 1639 Kindertageseinrichtungen, in denen 119.642 Kinder im Alter von 2 Monaten bis 14 Jahren von knapp 19.300 pädagogischen Fachkräften betreut werden. Für eine schrittweise Öffnung sind Rahmenbedingungen und pädagogische Konzepte notwendig, die unter Gewährleistung des Schutzes der Fachkräfte und im Hinblick auf entwicklungspsychologische Faktoren entwickelt und umgesetzt werden. Kerngedanke aller Öffnungskonzepte ist die Betreuung von kleinen Kindergruppen in fester Zusammensetzung mit fest zugeordnetem Personal. Dadurch wird zumindest der Kreis der Menschen, die in Kontakt stehen begrenzt. Die Schaffung solcher Betreuungssettings stellt Einrichtungen und Träger vor neue Herausforderungen. Denn ein Distanzgebot ist in der Arbeit mit Kindern nicht einzuhalten.
Jede Kita hat andere Voraussetzungen
Vor allem ausreichend Fachkräfte und Räume sind notwendig, um Kindern schrittweise den Zugang zur Kindertagesbetreuung zu ermöglichen. Waren beides bereits vor der Corona-Krise knappe Güter, wird dies nun besonders zugespitzt. Prämisse auch für uns im DRK ist der Schutz der Mitarbeitenden in unseren Einrichtungen. Gut ein Drittel des Personals gehört zur Risikogruppe und steht für die direkte Arbeit mit den Kindern in der Einrichtung nicht zur Verfügung. Um die Infektionsgefahr zu verringern sind kleinere Gruppen und möglichst feste Fachkraftteams pro Gruppe notwendig. Ebenso muss ausgeschlossen werden, dass sich Kindergruppen begegnen. Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeitenden und der Infektionsschutz der pädagogischen Fachkräfte wird in der Ausgestaltung vor Ort eine wichtige Rolle spielen. Die Zahl der Räume ist auch bei kleineren Umbaumaßnahmen in jeder Einrichtung begrenzt.
Wie viele Plätze eine Einrichtung auch in der jeweiligen Stufe der Öffnung zum Regelbetrieb zur Verfügung stellen kann, wird sich also an den Voraussetzungen jeder Kita vor Ort bemessen. Das kann dazu führen, dass trotz eines Anspruchs auf einen Platz dieser nicht gleich allen Kindern und Familien angeboten werden kann. Alternative Räume und die Nutzung von nahegelegenen Spielplätzen und Parks könnten hier Abhilfe schaffen, wenn das Personal zur Verfügung steht. Das muss jeder Träger, jedes Team in enger Abstimmung mit der Kommune und den Behörden umsetzen, da es gesetzliche Grundlagen gibt, die keine Kita einfach umgehen kann.
Die Eltern einbeziehen bleibt wichtig
Neben Regelungen geht es um Verständnis. Das wird nur mit einer guten Kommunikation mit den Familien gelingen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass Kitas hier sehr flexibel reagieren und kreativ in der Kommunikation sind. Von einfühlsamen Briefen, telefonischer Beratung bis hin zu Videoclips von pädagogischen Fachkräften für Kinder und Eltern mit Spielideen – den Kontakt zu Kindern und Eltern zu halten ist eine klare Prämisse vieler Teams. Für die Konzepte der schrittweisen Wiederöffnung von Kitas braucht es diesen engen Austausch. Wenn wir allen Kindern den Besuch der Kindertageseinrichtung, das Wiedersehen der Freunde ermöglichen wollen, könnte das im Einzelfall für Eltern auf längere Sicht beedeuten auf den vollständigen Rechtsanspruch zu verzichten und bspw. den Platz nur einzelne Wochentage nutzen zu können. Kompromisse finden ist eine Aufgabe der Fachkräfte vor Ort, die gelingen kann, wenn ein guter Kontakt zu den Eltern besteht und diese auch mit Dauer der Krise Verständnis für Lösungen im Sinne der Kinder aufbringen.
Die schrittweise Erweiterung des Betriebes der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege wird nicht für alle Eltern und Kinder eine gleichermaßen schnelle Entlastung mit sich bringen. Hier sind weiterhin andere Maßnahmen gefragt, sei es in der beruflichen und finanziellen Entlastung (bspw. Elterngeld) oder in der Unterstützung durch Beratungsangebote. Auch die Kita-Teams werden weiterhin gefragt sein, zu den Kindern und Familien Kontakt zu halten, die nicht in der erweiterten Notbetreuung aufgenommen sind.
Klare Priorisierungen sind notwendig
Für einen sich erweiternden Betreuungsanspruch sind klare Kriterien erforderlich. Normen wie Systemrelevanz der Berufe von Eltern oder kindeswohlrelevante Familiensituationen sind für einen gestaffelten prioritären Anspruch auf eine Betreuung notwendig. Die Kriterien sind für Familien, Träger, Leitungs- und Fachkräfte nachvollziehbar zu gestalten und sollten auch über die Grenzen der Bundesländer hinweg vergleichbar sein. Die jetzigen Formulierungen des gemeinsamen Rahmens der Länder sind hierfür noch nicht konkret genug und werden in den Ländern ausdifferenziert werden müssen. In Konfliktfällen darüber, wer wie häufig einen Betreuungsplatz nutzen kann, darf die Entscheidung nicht allein bei der Leitung der Kindertageseinrichtung verbleiben. Sie muss in Abstimmung mit den kommunal zuständigen Behörden getroffen werden.
Umgang mit Risikogruppen
Auch unter den Kindern und Eltern gibt es Menschen, die zur Risikogruppe zählen. Vorerkrankungen oder manche Formen von Behinderungen betreffen Menschen in allen Gruppen der Gesellschaft. Sind Kinder oder im Haushalt lebende Personen betroffen kann das bedeuten, dass Kinder über lange Zeiträume keine Kindertageseinrichtung nutzen können. Bei den Überlegungen zur schrittweisen Öffnung heißt es insbesondere diese Kinder mitzudenken und Teilhabemöglichkeiten zu schaffen, damit allen Kindern Bildung und sozialer Austausch ermöglicht werden.
Pädagogische Konzepte entwickeln
Die Corona-Krise stellt uns auch fachlich vor neue Herausforderungen. Neue Bedingungen erfordern neue Konzepte. Mit Kindern werden bekannte und neue Verhaltensregeln eingeübt. Hände waschen kennen wir schon, aber warum tragen Ältere jetzt plötzlich Masken im Gesicht? Nach langer Zeit ohne Kita brauchen viele – ganz besonders sehr junge Kinder – wieder eine begleitete Eingewöhnung in gestaffelten Zeiten.
Bildungs- und Orientierungsprogramme gibt es nicht nur in der Schule. Auch in der frühkindlichen Bildung gibt es verpflichtende Vorgaben in allen Bundesländern. Wie können diese unter den aktuellen Bedingungen umgesetzt werden? Wie können Qualitätsstandards beibehalten werden? Pädagogische Fachkräfte brauchen jetzt wieder vermehrt Unterstützung von Fachberatung und Trägern, Verbänden und Wissenschaft, um Antworten und neue Ansätze zu finden. Ebenso wie politischen Rückenhalt für ihre systemrelevante Arbeit.
Aus Sicht der Kinder zu denken bedeutet gemeinsam Antworten zu entwickeln, die jetzt noch keiner kennt. Als DRK gestalten wir diese Lösungen aktiv mit – in der politischen Interessensvertretung und der praktischen Gestaltung vor Ort. Dabei gilt es für uns, diejenigen in den Blick zu nehmen, die besonders verletzlich sind und soziale Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen. Dies ist in der Kindertagesbetreuung derzeit eine herausfordernde Aufgabe, die Kreativität und Abwägen braucht. Dabei leitet uns Menschlichkeit und das Helfen nach dem Maß der Not.