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„Wir sind jetzt hier, wir machen das. Dafür sind wir ausgebildet worden.“

Wolfgang Frank arbeitet in der ambulanten Pflege im DRK Kreisverband Hamburg-Harburg. Ein Gespräch über den Alltag während des Lockdowns. Über den Umgang mit der Angst, über Menschlichkeit und kleine Gesten, die viel bedeuten.

Wolfgang Frank, 51 Jahre, arbeitet im ambulanten Pflegedienst und ist zugleich Ausbildungsleiter im DRK Kreisverband Hamburg-Harburg. Er ist einer der Menschen, die für andere da waren, als viele zu Hause geblieben sind.

Wie groß ist Eure Einrichtung und wie viele MitarbeiterInnen sind in Deinem Team? 

In der reinen Pflege sind es ungefähr hundert Mitarbeiter über alle Teams verteilt. Wir haben etwa zweihundertfünfzig bis dreihundert Patienten. Hinzu kommen noch die Tagespflegestätten. In meinem Team sind etwa zwanzig Mitarbeiter. Ich mache hauptsächlich Spätdienst, d.h. ich arbeite von 15.00 Uhr bis ca. 22.00 Uhr und betreue fünfundzwanzig Patienten in einer Schicht. Es kann aber auch sein, dass man einen Patienten pro Dienst zweimal anfährt. Außerdem bin ich Ausbildungsleiter und begleite zwölf Auszubildende.

Was gehört neben der direkten Pflege noch zu Deinen Aufgaben?

Im Spätdienst geht es vor allem darum, Medikamente zu geben, den Patienten dabei zu helfen, sich umzuziehen und aus den Kompressionsstrümpfen herauszukommen. Das ist in der ambulanten Pflege ein großer Part, denn selbst ein gesunder Mensch kommt aus den Kompressionsstrümpfen abends kaum allein heraus. Ältere Menschen schon gar nicht. Außerdem führen wir abends noch Wundversorgung durch, prüfen Blutzucker, verabreichen Insulin und messen den Blutdruck. Aber ganz viel ist es auch: Wir verabreichen zwar Medikamente, schauen aber in Wirklichkeit nach dem Rechten. Wir gucken einfach, wie geht es den Menschen, ist alles klar, brauchen sie noch etwas, haben sie Schmerzen. Wir machen den guten Rundumblick, so nennen wir das. Die Menschen werden oft schon sehr lange von uns versorgt, teilweise über Jahre. Deswegen merken wir sehr genau, wenn etwas nicht stimmt. Schon nach zwei oder drei Minuten.

Das ist eine besondere Nähe, die sich dann aufbaut, oder?

Ja, das passiert sehr schnell, weil man in die absolute Privatsphäre der Menschen eintaucht. Wir sind den Menschen oft näher als manche Angehörige. Wenn man das über die Jahre macht, entsteht oft eine ganz starke Bindung. Häufig sind es schöne Bindungen. Die Menschen freuen sich, wenn man aus dem Urlaub wiederkommt. Sie fragen auch nach einer bestimmten Situation: „Was macht der Garten? Wie war der Urlaub?“ Da ist immer eine persönliche Ebene mit dabei, oder sagen wir, sie entsteht sehr schnell. Manchmal auch schneller als uns lieb ist - auch mehr, als uns lieb ist. Sich hier abzugrenzen ist eine Herausforderung. Denn manchmal muss man klare Grenzen ziehen. Manche Patienten sehen in uns einen Freund und sind dann enttäuscht, wenn man als Rotkreuzmitarbeiter professionelle Inhalte offen anspricht. Die Enttäuschung, die sie fühlen, lassen sie uns dann spüren. Manche sagen dann auch, sie möchten nicht, dass man wieder zu ihnen kommt. Damit das nicht passiert, muss man rechtzeitig signalisieren, wir verstehen uns und wir mögen uns, wir können auch mal einen privaten Schnack halten, aber es gibt auch eine Grenze.

Der gute Rundumblick, wie Du sagst, der gehört auch zu den Tätigkeiten, die Dir am meisten Freude bereiten?

Ja. Darum geht es sehr oft, das vermittle ich auch unseren Auszubildenden. Das hat auch einen praktischen Aspekt. Wenn am Abend etwas nicht stimmt, kann man rechtzeitig intervenieren. Auch, damit der Kollege am nächsten Morgen nicht vor eine unerwartete Situation gestellt wird, falls es dem Patienten in der Nacht schlechter geht. Durch meine Aufmerksamkeit kann ich vorbeugen, rufe dann vielleicht doch nochmal einen Arzt hinzu, warne den Kollegen vor, oder ich bitte ihn, am nächsten Morgen ein bisschen früher hinzugehen. Das Schöne daran ist, dass das so etwas Fürsorgliches haben kann. Beispielsweise, wenn man noch einen Blick in den Brotschrank des Patienten wirft und feststellt, dass kein Brot mehr da ist. Dann gebe ich dem Kollegen der Frühschicht Bescheid und der bringt ihm dann etwas mit. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die aber für den Patienten wichtig sind. Einfach, dass wir daran gedacht haben, das rettet ihm den Tag. Das ist auch für mich schön, wenn ich abends nach Hause gehe und denke: „Mensch, mit ein paar kleinen Aufmerksamkeiten konnten wir heute jemanden glücklich machen.“ Denn die Patienten sind allesamt in einer schwierigen Situation, oft chronisch oder auch akut erkrankt, häufig sind sie einsam. Wenn wir durch kleine Dinge dafür sorgen können, dass ihr Tag ein bisschen heller wird, kommt so viel Menschlichkeit rüber. Dann kann ich in meinem Beruf auch meine Berufung leben. Und am Abend denke ich: „Mensch, das hat doch alles toll geklappt heute.“

Woran hast Du im Umgang mit Deinen Patienten und deren Angehörigen seit der Corona-Krise Veränderungen festgestellt?

Bei unseren Patienten gab es bis jetzt keine Corona Fälle. Natürlich haben wir die Hygiene-Maßnahmen sofort umgesetzt und erhielten in den ersten Tagen irritierte Blicke, als wir mit Mund-Nasen-Schutz zu den Patienten gekommen sind. Viele haben aber sofort gesagt: „Oh, das finde ich ja toll, dass Ihr das macht.“ Ein paar haben aber auch gedacht, wir hätten Angst, uns bei ihnen anzustecken. Die meisten haben aber verstanden, dass wir sie schützen wollen und fühlten sich wertgeschätzt. Interessanter Weise haben ganz viele unserer Patienten gesagt: „Wir können die Wohnung ohnehin nicht verlassen und den Einkauf macht Ihr sowieso schon. Für mich ändert sich nichts.“ Die Veränderung haben stärker wir als Fachkräfte gespürt, beispielsweise in der Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen: die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln, im Büro dürfen sich nur noch zwei Leute zur gleichen Zeit aufhalten, überall sind Markierungen. Das zu Beginn zu verinnerlichen, war für uns mit einem hohen Stresslevel verbunden. Wir wussten ja nicht, was passiert. Als die Bilder aus Italien kamen, dachten wir, dass das nur eine Frage von Wochen ist, bis das hier auch so ist. Wir haben gedacht, dass wir die Patienten künftig in Vollschutzausrüstung versorgen müssen und hatten auch einen erhöhten Krankenstand. Viele von uns waren durch den Stress am Anschlag, weil wir auch mit unseren eigenen Ängsten konfrontiert waren. Wir dachten, da kommt eine Welle auf uns zu, von der wir nicht wussten, ob wir sie überstehen. Händehygiene findet ja ohnehin statt, aber ich weiß noch, dass ich meine Handlungsabläufe überprüft habe und übers Ziel hinausgeschossen bin. Die ersten Tage habe ich mir so oft die Hände desinfiziert, dass sie nach fünf Tagen aufgerissen sind. Dann habe ich gemerkt: „Das geht gar nicht.“ Ich habe mir abends die Hände eingecremt und gedacht: „Mit aufgerissen Händen kann ich ja auch nicht arbeiten.“ Die erste Woche habe ich mich verrückt gemacht und war am Abend durch. Da habe ich mir gesagt: „So, jetzt komm mal runter und überlege nochmal, was musst du wirklich ändern, und an welcher Stelle hast du schon alles richtig gemacht.“ Außerdem musste ich für mich klären, wann setze ich den Mund-Nasen-Schutz auf, wann ab. Denn es gibt einen festen Ablauf. Wir müssen einen Parkplatz suchen, die Tasche dabeihaben, eine App aktivieren, den Schlüssel bereithalten und auf dem Weg die Hände desinfizieren. Und als Ausbilder muss und will ich meinen Schülern auch ein Vorbild sein.

Viele BewohnerInnen/ BesucherInnen sind durch die lange Zeit der strengen Kontaktbeschränkung in besonderer Weise von Einsamkeit betroffen. Depressive Verstimmungen oder gar Depressionen sind die mögliche Folge. Wie gehst Du mit der hohen psychischen Belastung der Seniorinnen und Senioren um, die vermutlich auch noch längerfristig andauert?

Die strengen Kontaktbeschränkungen betrafen eher Bewohner in Senioren- oder Pflegeheimen. Unsere Patienten in der ambulanten Pflege sind oft einsam. Sie fühlen sich nicht immer so, sind aber viel allein. Wir kommen, weil die Kinder im Beruf stehen oder weit weg wohnen, es keine Kontakte mehr gibt oder gar keine Angehörige mehr da sind. Deswegen war für uns an dieser Stelle keine Veränderung spürbar. Das betrifft eher diejenigen, die eng vernetzt sind und die keinen Pflegedienst in Anspruch nehmen. Also diejenigen, die in einer intakten Familienstruktur leben, in der jedes Familienmitglied eine Aufgabe übernimmt. Diese Hilfe ist im Lockdown komplett weggebrochen. In der ambulanten Pflege haben wir Menschen mit Depressionen, hauptsächlich Altersdepressionen, die oft auch mit einer Demenz einhergehen. Da können wir aber aus Zeitmangel nur punktuell etwas tun, indem wir dafür Sorge tragen, dass der Status erhalten bleibt.

Was bedeutet es, in die Rolle der bezugspflegenden Person zu schlüpfen? Du sagst, da ist ganz viel Positives, es gibt aber auch das Thema Abgrenzung, was noch?

Da gibt es noch einen dritten Aspekt. Wir haben unseren Beruf damals gerade mit dem Gedanken der Menschlichkeit erlernt. Durch die Einführung der Pflegeversicherung ist so wenig Zeit geblieben. Für eine reine Medikamentengabe haben wir maximal fünf Minuten. Mehr können wir nicht abrechnen. Wir denken aber: „Wir sind das Rote Kreuz. Wir machen mehr!“ Deswegen gestalten wir die Arbeit so, dass wir mal dem einen Patient mehr Zeit widmen, das andere Mal dem anderen. So, wie es die Patienten gerade brauchen. Wie sie momentan mit ihrer Situation zurechtkommen. Es ist ein Geben und Nehmen. Unterm Strich muss es passen. Im Laufe der verschiedenen beruflichen Stationen habe ich einige Leitgedanken über Bord werfen müssen, um im Beruf zu überleben. Sonst könnte ich das nicht mehr. Manchmal kann ich nur die offizielle Versorgung machen, sonst bekomme ich meine Tour nicht fertig. Vor zehn Jahren hätte ich mich auch einfach mal dazugesetzt, genauer nachgefragt, oder mich nach den Fotos oder Bildern erkundigt, die an der Wand hängen. Der gute Rundumblick findet zwar noch statt, aber ich habe mir ein Stück weit Scheuklappen aufsetzen müssen. Das fällt mir nicht leicht. Menschlichkeit ist für mich wichtig. Ich habe bei Ordensschwestern in einem katholischen Krankenhaus gelernt. Menschlichkeit war keine Option – sie war Teil des Ganzen. Wir hatten einen Patienten mit Demenz auf Station im Krankenhaus, der nicht mehr allein essen und kaum den Mund öffnen konnte. Als Auszubildender denkt man nach fünf Minuten: „Er hat wohl keinen Hunger mehr“, und hat den Teller zweidrittel voll zurückgegeben. Die Ordensschwestern haben das nicht durchgehen lassen und uns beigebracht, es so lange zu versuchen, bis der Teller zumindest fast leer war. Wenn das Essen zwischendurch kalt wurde, sollten wir es in der Mikrowelle wärmen. Manchmal saßen wir eine dreiviertel Stunde bei diesem einen Patienten – erst dann war er satt, die Zeit war egal. In den Krankenhäusern hört man häufig, dass es jetzt nicht mehr so ist, weil einfach keine Zeit mehr da ist. Da grätschen uns die Krankenkassen, das Gesundheitssystem und die fehlende, gesellschaftliche Wertschätzung hinein. Wir würden gerne so arbeiten, aber wir können es nicht. Nicht mehr. Und trotzdem bringen wir den Schülern den guten Rundumblick bei, mit dem sie die Wohnung in ein paar Minuten scannen. Aber auch, dass sie sich nicht anmerken lassen dürfen, dass sie keine Zeit haben. Und wenn dann abends doch mal eine Glühbirne kaputt ist, wird sie halt gewechselt. Sollen die alten Menschen allein auf die Leiter steigen? Glühbirnen wechseln ist eigentlich nicht meine Aufgabe und wird von den Krankenkassen auch nicht vergütet. Da ist es mir dann aber wichtiger, dem Menschen zu helfen.

Angehörige sind oft weit weg, hast Du gesagt?

Das ist unterschiedlich, es gibt hin und wieder Ehepartner, beide hoch im Alter. Der eine ist noch etwas mobiler, das ist dann der Pflegende. Manchmal ist es so, dass wir eher die Angehörigen betreuen. Das geschieht dann, wenn die Arbeit bereits getan ist: "Er war heute Morgen so nass im Bett, ich habe ihn schon gewaschen, umgezogen und alles abgezogen.“ Das ist Deutschlands größter Pflegedienst: Die Angehörigen. Sie sind rund um die Uhr da. Der Ehepartner liegt im Bett und hat möglicherweise eine Tag-Nacht-Umkehr, macht die Nacht zum Tag. Der Pflegende kommt praktisch nicht mehr zum Schlafen und hat gar keine Erholungsphasen. Dann besteht die Gefahr, dass die Angehörigen zusammenklappen. Sie halten das über Wochen, Monate und teilweise über Jahre aus. Aber irgendwann brechen sie zusammen und müssen ins Krankenhaus. Deswegen widmen wir ihnen dann die Zeit. Sie brauchen einfach Zuspruch und Wertschätzung. Oft haben sie keine sozialen Kontakte mehr, weil der ganze Freundeskreis wegbricht. Auf einmal sind wir die zentrale Bindung. Wir trinken einen Kaffee und sprechen ein bisschen. Sie fühlen sich dann besser und können wieder einen Tag weitermachen.

Wie geht es Dir mit der Ungewissheit und der Angst, möglicherweise selbst infiziert zu sein und das Virus ggfs. übertragen zu können?

Das war am Anfang massiv. Wir wohnen in einem Zweifamilienhaus, oben lebt mein dreiundachtzigjähriger Onkel. Ich habe extreme Hygienemaßnahmen befolgt. Wir haben unten einen Kellereingang an der Waschküche. Dort bin ich rein, habe mich vor der Waschmaschine ausgezogen, alles sofort gewaschen und alle Utensilien desinfiziert. Von der Behörde hatten wir die Auflage, bei jedem Patienten Fieber zu messen. Wir hatten kontaktlose Fieberthermometer, die man an die Stirn halten kann und haben dann gleich auch bei uns selbst gemessen. Es gibt ein Restrisiko. Es gibt am Ende keine Hundertprozentlösung. Wir können das Risiko nur minimieren. Das war der Tenor auch in der breiten Gesellschaft. Das ist bitter, aber so ist es. Natürlich war da die Angst. Ich habe Hundertjährige auf meiner Tour. Bei einer Dame, die mobil ist und noch sehr viel selbst kann, haben wir dann während des Lockdowns abends nur noch angerufen. Denn wie bitter wäre es, jemanden, der plietsch und agil ist, auch nur dem geringsten Risiko auszusetzen. Morgens braucht sie Hilfe, da muss die Kollegin dann wirklich zu ihr hinein, aber so konnten wir den Kontakt um fünfzig Prozent reduzieren. Das ging aber nur bei den wenigsten. Als man dann nach und nach mehr über die Übertragbarkeit des Virus wusste, wurde ich etwas ruhiger. Mittlerweile hat sich alles eingespielt. Ich habe immer noch meine Hygieneschleuse im Keller, bin immer noch wachsam, aber die Angst ist nicht mehr da. Ich lebe jetzt mit dem Risiko. In einem Bericht über Afrika kamen Menschen zu Wort, die mit Seuchen zu tun haben. Sie sagten: „Eine Seuche mehr. Wir wissen, wie man mit Hygieneregeln umgeht.“ Das halt mir geholfen, nicht durchzudrehen.

Die Begleitung auf dem letzten Lebensweg gehört zum Alltag eines pflegerischen Berufes. Wie konntet Ihr, trotz der Kontaktbeschränkungen und Abstandsregelungen, die BewohnerInnen würdevoll begleiten?  

Ich stehe oft ohnmächtig davor, wenn wir die Patienten auf dem letzten Lebensweg begleiten und zum Sterben sind sie dann doch im Krankenhaus. Weil nachts irgendwas war, oder die Angehörigen Angst hatten. Das Sterben in der Coronazeit haben wir in der ambulanten Pflege nicht mitbekommen. Wir haben aber mitbekommen, dass die Angehörigen sie nicht mehr in den Pflegeheimen besuchen durften. Da haben wir echt geschluckt. Sich nicht mehr verabschieden können. Unmittelbar vor der Coronazeit hatten wir einen Patienten, der in der Nacht einen Herzstillstand hatte, reanimiert wurde und dann im Krankenhaus verstarb. Der Patient war siebzehn Jahre bei uns, wir haben uns geduzt. Dieser Mensch war einfach weg. Oft ist es so, dass wir gar kein Feedback bekommen, wenn die Patienten im Krankenhaus versterben. Weil, offiziell sind wir raus. Wir wissen dann gar nichts. Das ist dann schon bitter.

Während des Lockdowns, wie hat sich Deine physische und emotionale Anspannung auf Dein Leben und Deine Familie ausgewirkt?

Ja, das war belastend. Wir haben hier in der Familie die Flucht nach vorne angetreten und uns schlau gemacht. Mithilfe von Podcasts von Christian Drosten und über andere Kanäle. Um zu gucken, an welcher Stelle können wir etwas tun und an welcher Stelle können wir lockerlassen. Wir haben klare Regeln aufgestellt, z.B. die Hygieneschleuse an der Waschmaschine. Das ging dann besser, weil man nicht immer wieder neu darüber nachdenken musste. Das ist wie beim Anschnallen im Auto. Man denkt nicht mehr darüber nach, man macht es einfach. Anfangs gab es über die Medien viele Informationen, auch Desinformationen in Teilen, als dann aber die Änderungen im Arbeitsschutzgesetz auf Bundesebene kamen, war klar, wir müssen nicht mehr im Kollegium diskutieren. Da ist eine Regel. An die müssen wir uns halten. Punkt. Was es für uns auch entspannt hat, war die Tatsache, dass wir hier in Deutschland vor der Situation, wie sie in vielen Ländern war, verschont geblieben sind, bis jetzt. Das Gesundheitsamt trat an das DRK heran, um gemeinsam Corona-Tests durchzuführen. Da kam der Stressfaktor hinzu. Zudem gingen unsere Vorräte an Schutzausrüstungen zur Neige. Die Leitung und die Geschäftsführung haben sich die Ohren wund telefoniert, um an Schutzkleidung zu kommen. Das war auf jeden Fall ein hoher Stresslevel.

Habt Ihr jemanden im Team der Angehörige pflegt oder dessen Partnerin, Partner oder Kinder zu einer Risikogruppe zählen? Wie seid Ihr damit organisatorisch umgegangen?  

Einige Mitarbeiter sind ins Homeoffice gegangen. Da mein Onkel in einer eigenen Wohnung im selben Haus wohnt, konnten wir es privat trennen. Wir haben dann entschieden, dass er erstmal nicht mehr mit zum Einkaufen geht. Er und auch meine Mutter haben dann Einkaufslisten geschrieben und wir haben ihnen alles gebracht. Aber jeder im Team musste für sich prüfen, welches Risiko er noch eingehen kann. Gerade dann, wenn er in einer Wohnung mit jemandem aus einer Risikogruppe wohnt. Doch wenn man Maske trägt, Abstand hält und die Hände desinfiziert, hat man viel gemacht. Es gibt immer ein Restrisiko, das hat man aber auch in der Bahn, beim Einkaufen oder an der Tankstelle. Oder der Ehepartner bringt das Virus mit nach Hause. Also, nur weil wir in der Pflege arbeiten… Die größte Risikogruppe sind umgekehrt die Patienten.

Hat die Coronazeit in Bezug auf Deine Einstellung zu Deiner Arbeit etwas verändert?

Das alles hat mich nur bestärkt. Man merkt, dass wir in der Pflege ähnlich ticken. Der Gedanke „Wir bleiben für Euch da“ zeigt, worum es geht. Ob in der Intensivpflege oder wo auch immer, das sind alles Menschen, die gesagt haben, wir machen das. Bleibt zuhause. Das hat mich motiviert, es genauso zu sehen und nicht den Kopf einzuziehen. Und man hat gespürt, dass viele jetzt zusammengehalten. Nach dem Motto: „Wir sind jetzt hier, wir machen das. Dafür sind wir ausgebildet worden.“ Dadurch haben wir uns gegenseitig bestärkt.

Kann man dann sagen, dass Dir das dann Mut gemacht hat? Dieser gemeinsame Gedanke, die Entschlossenheit für andere in der Krise da zu sein?

Ja, das ist so. Wir haben auch noch nie so viel Bewerbungen für Auszubildende wie in diesem Jahr erhalten. Natürlich weiß ich nicht, ob das zusammenhängt. Ich hatte bestimmt dreißig Bewerbungen auf dem Tisch, die Jahre davor waren es drei, vier, vielleicht fünf und dann waren wir froh, wenn einer dabei war, den wir einstellen konnten. Ich weiß auch von anderen Einrichtungen, dass sie vergleichsweise viele Bewerbungen erhalten haben. Vielleicht sagen jetzt mehr junge Menschen, in diesem Beruf kann ich etwas für die Gesellschaft tun. Etwas Sinnvolles. Es ist auf jeden Fall auffällig. Ich denke aber, das wird auch wieder in der Versenkung verschwinden. Wir müssen in der ganzen Breite dafür arbeiten, die Wertschätzung für den Pflegeberuf zu heben.

Hast Du in den vergangenen Wochen etwas Besonderes im Arbeitsalltag erlebt, dass Du teilen möchtest?  

Im Grunde sind es die Kleinigkeiten, um die es geht. Das ist oft nur ein Lächeln. Normalerweise sind wir ab 22.00 Uhr nicht mehr im Einsatz. Wir haben aber eine Rufbereitschaft. Einer von uns hat immer ein Handy dabei, das mit dem Hausnotruf gekoppelt ist. Wenn nachts etwas passiert und es wird kein Krankenwagen gebraucht, muss jemand vorbeifahren. Ich kann mich an eine Geschichte erinnern, da bin ich bei heftigstem Schneefall nachts um 3.00 Uhr zu einer Patientin gefahren und wusste nicht, was mich erwartet. Die Adresse stimmte nicht, die Hausnummer lautete nicht 36, sondern 3d. Als ich dann endlich im Hausflur stand, passte der Schlüssel nicht, weil das Schloss irgendwann ausgewechselt wurde und man uns keinen neuen Schlüssel gegeben hat. Da dachte ich nur: „Das jetzt auch noch!“ Ich sah aus wie ein Schneemann und habe an die Tür getrommelt. Irgendwann machte die alte Dame auf und fragte nur erstaunt: „Was ist denn hier los?“ Manchmal legen sich die Patienten im Schlaf auf den Pieper, die Hörgeräte liegen auf dem Nachtschrank, d.h. sie hören gar nicht, wenn sich die Hausnotrufzentrale per Lautsprecher meldet und versucht ein Lebenszeichen zu bekommen. So war es hier. Der alten Dame tat das so unendlich leid. Wahrscheinlich wird sie nachts nie mehr den Notruf umhängen. Das ist aber auch nicht gut! Manchmal ist auch tatsächlich ein älterer Mensch gestürzt. Wir rufen dann die Feuerwehr, die mit Leitern in die Wohnung einsteigt, weil sie die Tür nicht aufbrechen will. Irgendwann in der Früh bin ich dann wieder zu Hause, kann erstmal gar nicht einschlafen und denke: „Das war jetzt sportlich, aber das haben wir gut hinbekommen. Da war jemand in höchster, persönlicher Not und wir haben das klären können. Einfach nur dadurch, dass wir da waren. Alle zusammen.“ Das fühlt sich am Ende gut an. Manchmal ist es aber auch nur, dass wir den Wochenendeinkauf für einen Patienten machen und ihm so unter die Arme greifen. Es sind diese Kleinigkeiten. Wir sind nicht auf der Intensivstation und retten jeden Tag Leben. In unserer Arbeit gibt es keine Dramaturgie, wir fahren nicht mit Blaulicht durch die Gegend. Wir dürfen nicht mal mit Warnblinklicht stehen, da bekommen wir genauso ein Ticket wie alle anderen. Unsere Arbeit ist unspektakulär. Aber wenn es uns nicht gäbe, würde es vielen Menschen auffallen. Wir verhindern Krankenhausaufenthalte und Notfälle. Bevor die Wellen hochschlagen, glätten wir sie schon. Das machen wir im Stillen.

Was bewegt Dichjeden Tag aufs Neue, die Herausforderungen anzunehmen? Was ist es, was Dich antreibt?

Es ist das Gefühl, durch kleine Dinge so viel bewegen zu können. Nur durch eine Geste, kann ich so viel erreichen. Wenn ich mir Zeit lasse und meine Jacke aufhänge, merken die Menschen, der ist jetzt für mich da. Das ist nur eine kleine Geste, aber die bewirkt, dass sie sich aufgehoben fühlen. Und da kommt man dann in den Bereich der Würde. Viele Menschen sind so alt geworden und müssen auf den letzten Metern ganz jämmerlich leben. Mir liegt viel daran, den Aspekt der Würde einzubringen. Als ich mich für den Beruf entschieden haben, hätte ich das nicht so formulieren können. Da haben mich vor allem medizinische und physiologische Aspekte interessiert. Das fand ich spannend. Das ist auch heute noch so. Jetzt geht es aber auch darum, zu sagen: „Wir kriegen das hin!“ Viele Angehörige sind mit der Situation einfach überfordert.

Liegt Dir noch etwas am Herzen? Etwas, was Dir wichtig ist?

Es gibt eine Sache, die mir das Leben schwer macht. Das ist der Bürokratismus. Ich hätte mir gewünscht, dass man die Prämie, die es jetzt für die Pflege gibt, in den Strukturwandel steckt. Es wäre wichtig, den medizinischen Dienst zu hinterfragen oder für die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern klare Standards zu schaffen. Der medizinische Dienst lehnt Anträge ab und alte Menschen werden dadurch allein gelassen. Da wird manchmal vom Tisch weg entschieden, ohne echte Begründung. Und die alten Leute wissen oft nicht einmal, dass sie Widerspruch einlegen können.

Wenn man uns nur machen ließe. In der Pflege stehen wir, so scheint es, unter Generalverdacht, die Krankenkassen betrügen zu wollen. Wir werden enorm kontrolliert und müssen uns rechtfertigen, warum wir was, wann, wie gemacht haben. Das setzt uns zu! Da muss man sich immer wieder neu aufrappeln.

 

Von Heike Harenberg & Dorian Lübcke

Das Interview ist Teil des Projekts „DRK erleben“ für die Hauptaufgabenfelder Kindertagesbetreuung und Altenhilfe und mit wird mit Mitteln der GlücksSpirale gefördert.