DRK-Wohlfahrt

Wer sind wir? Wer wollen wir sein?

Die Wohlfahrtspflege bietet unverzichtbare Leistungen im sozialen Bereich, ist immer dort anzutreffen, wo es für andere nicht lukrativ oder attraktiv erscheint und agiert im Sinne des Gemeinwohls. Sie entlastet den Staat in seinem Anspruch als Sozialstaat und mobilisiert Ehrenamt. In Notsituationen sind es die Verbände, die ohne zu zögern auf allen Ebenen Unterstützungen anbieten. Sie stabilisieren demokratische Strukturen und das Miteinander der Menschen vor Ort. Jede Bundes- und Landesregierung sollte vor Glück jubeln und auf allen Ebenen die Partnerschaft feiern. Ist aber nicht so! Wir haben ein Imageproblem. Und es wird ein Kraftakt, das zu lösen.

Die jüngsten Skandale treffen uns ins Mark

Ich schreibe dies auch unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse um die Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt und Wiesbaden, wo die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen überhöhter Gehälter und teurer Dienstwagen ermittelt. Der Skandal selbst wird irgendwann aufgearbeitet sein, aber die Bilder bleiben hängen. Und sie betreffen dann, so funktioniert die Psychologie der Wahrnehmung, die gesamte Wohlfahrtspflege. Der Journalist Daniel Gräber generalisiert den Einzelfall schon jetzt und identifiziert strukturelle Ursachen. Er schreibt in der Januarausgabe des Cicero, die AWO sei „zu einem Großkonzern geworden, der bundesweit mehr als 230.000 Mitarbeiter beschäftigt. (...) Die Millionengeschäfte der einzelnen Kreisverbände kontrollieren ehrenamtliche Mitglieder. Doch die sind damit oft überfordert.“ Auch, wenn es nicht das DRK ist und auch wenn man weder die AWO noch das DRK als Großkonzern bezeichnen kann: Das trifft uns ins Mark. Und führt uns zu der großen Frage: Wer sind wir?

Die eigene besondere Stellung besser herausarbeiten

Ich nehme wahr, dass es uns, also den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, nur unzureichend gelingt, die eigene besondere Stellung herauszuarbeiten. Die Sicht auf uns als „Konzerne“ wird durch Sprache und Darstellung von uns selbst oft genug befördert. Beispielsweise durch die inhaltlich fragwürdige Selbstbezeichnung als „Sozialwirtschaft“. Oder durch die (ein wenig selbstverliebte) Betonung von Größe (Mitarbeiterzahlen) und wirtschaftlicher Bedeutung (Umsatz) in unseren Selbstdarstellungen. Durch den manchmal eitlen, aber vor allem unpassenden Vergleich unserer Organisationen mit Wirtschaftsunternehmen. Durch eine Sprache, die unnötigerweise Anleihen bei der Sprache des profitorientierten Business macht. Umso mehr wir uns auf unsere wirtschaftliche Rolle fokussieren (und uns auch nach außen so darstellen), umso mehr befördern wir genau das Image, gegen das wir uns an anderer Stelle verwahren. Und setzen uns – dann zu Recht – einer Kritik aus, die nur wenig differenziert und die eigentliche Rolle der Wohlfahrtspflege in Staat und Gesellschaft unterschlägt.

Soziale Start Ups füllen die Lücken, die wir hinterlassen und bedienen zumindest mit ihrer Art der Kommunikation die Bedürfnisse von Regierungen, Kostenträgern, Spendern und Sponsoren nach überschaubaren, wendigeren und wirksameren Organisationen, die vermeintlich näher an den Menschen und ihren Bedarfen agieren. SEND (Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland) hat es zum Beispiel geschafft, dass die Regierungsfraktionen im Jahr 2020 einen Antrag in den Bundestag einbringen wollen, Start Ups im sozialen Bereich finanziell zu fördern. Angesichts der großen Fragen nach der Zukunft der Sorgearbeit insgesamt ist es eigentlich ein Witz, dass sich die Regierungsfraktionen mit dieser Frage beschäftigen. Aber gerade hier macht sich bemerkbar, dass es uns oft nur unzureichend gelingt, die eigene besondere Stellung herauszuarbeiten. Im Jahr 2019 mussten wir lange kämpfen, bis die finanzielle Förderung der Freien Wohlfahrtspflege im Haushalt 2020 auf dem gleichen Niveau von 2019 eingestellt worden ist. Das kostete viel Kraft und Zeit.

Die Frage nach unserem Selbstverständnis hat es in sich. Um sie zu beantworten, ist ein offener Dialog im Verband nötig, der mit der Strategie 2030 angestoßen wurde.

Die Art und Weise, wie hier im DRK der Austausch miteinander gepflegt wird, gibt Anlass zu Optimismus. Im Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege werden wir uns weiter verändern und Weichen für die Zukunft stellen. Wir stellen uns auf weitere parlamentarische Anfragen und Nachfragen ein. Wir werden zeigen müssen, was uns ausmacht, wofür wir stehen und den Beweis antreten, warum eine Wohlfahrtspflege in einem Staat, der sich als Sozialstaat versteht, unerlässlich ist. Sicherlich: auch wir wollen agiler und attraktiver werden und dazu brauchen wir eine Anerkennung der Leistung der Freien Wohlfahrtspflege.

Wohlfahrtspflege ist kein Business!

Wir werden auf der Bundesebene als Antwort auf diese Entwicklungen in den kommenden Jahren viel stärker noch als bisher die unterstützende, helfende Rolle der Wohlfahrtsarbeit in den Mittelpunkt rücken. Wohlfahrtspflege ist eben kein Business, sondern in erster Linie für die Menschen da und dem Gemeinwohl verpflichtet. Dass auch da ordentlich gewirtschaftet werden muss, versteht sich. Das Wirtschaften darf eben nur nicht wichtiger werden als Gemeinwohl und Mensch.

Und genau dieses Prinzip, die Arbeit am gesellschaftlichen Zusammenhalt über den ökonomischen Erfolg zu stellen, muss in der gesamten Kommunikation innerverbandlich und nach außen konsequent in den Mittelpunkt gerückt werden. Rückenwind bekommen wir dabei durch die aktuellen gesellschaftlichen Debatten. Wir nehmen immer deutlicher wahr, dass die Menschen im Land heute Fragen nach Daseinsvorsorge stellen. Sie fragen immer weniger nach ökonomischen Effizienzsteigerungen und immer mehr danach, wer vor Ort eigentlich für sie da ist und in welcher Qualität. Daran können und sollten wir unbedingt anknüpfen. Diese Aufgabe, uns entsprechend darzustellen, wird auch das kommende zweite Jahr unserer Präsidentschaft in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) prägen. Als Verbände sind wir aufeinander angewiesen. Wir leiden gemeinsam an einem Imageproblem, das wir entsprechend auch gemeinsam angehen sollten.

Weitere Fokussierung ist zwingend nötig

In der Defensive sind wir auch, weil die Verbände eine Vielzahl von Themen bearbeiten und sich gesellschaftspolitischen Entwicklungen annehmen. Dies kann orientierungslos wirken. Die kaum zu bewältigende thematische Bandbreite wird durchaus auch an uns herangetragen, in Form einer normativen Überfrachtung, der man letztlich nur auf Kosten der Qualität und eines mangelnden Profils gerecht werden kann. Wir haben im DRK den Weg beschritten, uns von einigen Themen, Bündnissen etc. zu trennen. Und wir schauen sehr genau, wo der Verband steht. Wir verschaffen uns in den Themen Gehör, die das DRK vor Ort mit Einrichtungen und Diensten abdeckt und in denen wir mit Erfahrungen aus der Praxis konkret werden können. Diesen Weg werden wir in den kommenden Jahren weitergehen. Allein angesichts tendenziell knapper werdender Ressourcen werden wir dies auch müssen.

Wir sind überzeugt, dass eine neue Form der Darstellung und eine stringente Themenauswahl in Zeiten des Wandels der richtige Weg ist. Denn der Bedarf nach Unterstützung und Begleitung der Menschen im Land, der Bedarf nach menschlicher Zuwendung, wird nicht abnehmen - im Gegenteil.