20.06. - Weltflüchtlingstag

Wer bestimmt, wer fliehen darf?

Am heutigen Weltflüchtlingstag spricht der UNHCR von einem dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen weltweit. 79,5 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Das ist fast die gesamte Bevölkerung Deutschlands.

„Wir beobachten eine veränderte Realität. Vertreibung betrifft aktuell nicht nur viel mehr Menschen, sondern sie ist auch kein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen mehr“, sagte Filippo Grandi, Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. „Von den Betroffenen kann nicht erwartet werden, jahrelang in Ungewissheit zu leben, ohne die Chance auf eine Rückkehr und ohne Hoffnung auf eine Zukunft an ihrem Zufluchtsort. Wir brauchen eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die fliehen – gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte, die jahrelang andauern, zu lösen, und die Ursache dieses immensen Leidens sind.“ Quelle: UNHCR, PM 18.06.2020

Ja, das brauchen wir! Denn die Welt steht nicht still und es wird weiterhin immer neue Gründe geben, warum jemand flieht oder geht. Menschen fliehen oder verlassen Orte seit jeher: Fast eine Millionen Iren verließen Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund von Hungersnöten Irland und ließen sich in Nordamerika nieder. Oxfam beziffert in seinem Bericht „Forced from Home“ [pdf] die Zahl der durch Klimakatstrophen hervorgerufenen Flüchtlinge auf 20 Millionen Menschen. Fluchtursachen seien unter anderem Wirbelstürme, Überschwemmungen und Waldbrände.

Gesetze ordnen, legen Bestimmungen fest und setzen Rahmen. Im Flüchtlingsschutz haben sie einen klaren ordnungspolitischen Charakter. Sie vermögen es aber nicht, Menschen davon abzuhalten zu fliehen, zu gehen. Ihre Gründe lassen sich den gesetzlichen Vorgaben nicht immer zuordnen, sind sie damit illegitim, sind sie damit falsch? Klima, Hunger, Armut haben bisher und werden auch zukünftig Millionen Menschen bewegen, Orte zu suchen, an denen sie ankommen und sich eine Zukunft aufbauen können.

Das internationale Vertragswerk bietet nur sehr eingeschränkt Schutzmöglichkeiten. Die 1951 aus den Erfahrungen des beiden Weltkrieges heraus verabschiedete Genfer Flüchtlingskonvention [pdf] ist ein Meilenstein und bis heute das wichtigste internationale Dokument für den Flüchtlingsschutz. 149 Staaten weltweilt haben sich diesem Schutz bisher verpflichtet. Die Konvention legt klar fest, wer ein Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er hat. Aber ist es so klar und einfach? Diskussionen um faire Asylverfahren, die Forderungen nach einer bundesweiten Asylverfahrensberatung und unzählige Gerichtsverfahren lassen eher vermuten, so klar lassen sich Auslöser und Beweggründe nicht immer definieren.

Das deutsche Recht kennt zumindest Abschiebungsverbote, d.h. Umstände im Herkunftsland, die einer Abschiebung entgegenstehen. Das Bundesverwaltungsgericht spricht dann von Umständen, die „gleichsam sehenden Auges den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen" bedeuten oder von einem „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums". Ist das unser Maßstab? Müssen besser wollen wir wirklich so weit gehen, damit jemand bleiben darf? Ist es nicht an der Zeit, unsere Annahmen zu überprüfen, die bestimmen, wer Schutz und seine Zukunft woanders suchen darf?

Für uns im DRK zählt nicht, wer Hilfe und Unterstützung benötigt. Wir helfen nach dem Maß der Not und beraten umfassend zu den Möglichkeiten, in Deutschland anzukommen. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, gemeinsam versuchen wir eine Lösung zu finden.

Informieren Sie sich auch, wie sich das DRK für ein sicheres Ankommen in Deutschland und auch Europa einsetzt:                                                                                                                        NesT ist ein Pilotprojekt zur Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen, u.a. aus dem Libanon, unter gemeinschaftlicher Verantwortungsteilung von Staat und Ehrenamtlichen Mentoring-Gruppen. Das Pilotprojekt ergänzt das bestehende Resettlementprogramm Deutschlands. Wie das Programm funktioniert, erklärt Rebecca Einhoff von UNHCR Deutschland im Interview.