Was treibt Pflegefachpersonen dazu, zu arbeiten, wenn sie eigentlich krank sind und sich erholen sollten? Die Forschung zeichnet das Bild einer Berufsgruppe, die zwischen Pflichtgefühl und dessen Folgen gefangen ist. Frauen und Personen mit Sorgeverantwortung sind besonders anfällig dafür, da sie es bereits aus ihrem Privatleben gewohnt sind „weiterzumachen“, was sie eher dazu veranlasst, dieses Verhalten bei der Arbeit zu wiederholen.
Beruflich Pflegende berichten von tiefen Schuldgefühlen, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen können, sei es gegenüber den Kolleginnen und Kollegen oder den pflegebedürftigen Menschen. Dieses Pflichtgefühl, kombiniert mit Unsicherheiten am Arbeitsplatz, Ängsten hinsichtlich des beruflichen Aufstiegs und finanziellem Druck, schafft eine Situation, bei der die persönliche Gesundheit der beruflichen Verantwortung untergeordnet wird.
Besonders beunruhigend ist, dass Personen mit chronischen Erkrankungen eher zu Präsentismus neigen, was einen gefährlichen Kreislauf aus sich verschlechternder Gesundheit und zunehmendem Gesundheitsrisiko schafft. Dazu kommt, dass in Pflegeeinrichtungen, in denen Präsenz mit Einsatz gleichgesetzt wird, eine notwendige Krankmeldung oft als Zeichen von Schwäche und nicht als verantwortungsvolle Selbstfürsorge angesehen wird.
Präsentismus bezeichnet das Phänomen, dass Mitarbeiter trotz körperlicher oder geistiger Einschränkungen, die ihre Abwesenheit rechtfertigen, zur Arbeit erscheinen.
(Gerlach et al. 2024)
Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse ergab, dass fast die Hälfte (49,2 %) der beruflich Pflegenden regelmäßig arbeitet, während sie sich krank fühlen (Min et al., 2022). Die meisten Arbeitgeber wissen allerdings nicht, wie viel Geld sie durch diese ineffektive Praxis verlieren. Während sie sich auf grundlegende Kennzahlen wie Personalanwesenheit und Personalbestand konzentrieren, sind sie für die wahren Kosten des Präsentismus häufig nicht sensibilisiert.
Diese betragen zwischen 14.439 und 22.237 US Dollar pro Mitarbeiter jährlich (Freeling et al., 2020; Lui et al., 2022) – das entspricht ungefähr 13.671 bzw. 21.055 Euro. Dieser Verlust bleibt in der traditionellen Buchhaltung oft verborgen, doch die Auswirkungen sind tiefgreifend, denn die Welleneffekte reichen weit über diese finanziellen Kosten hinaus. Studien zeigen, dass Präsentismus in direktem Zusammenhang mit vermehrten Medikationsfehlern, höheren Sturzraten und einer geringeren Meldung von (kritischen) Ereignissen steht (Halbesleben et al., 2008; Letvak et al., 2012). Zudem bestehen Hinweise für eine eingeschränkte Behandlung und Betreuung (Dhaini et al., 2017), wodurch ein gefährlicher Kreislauf entsteht, in dem das Personal ausbrennt und die Versorgungsqualität nachlässt.
Die psychosozialen Auswirkungen sind ebenso besorgniserregend: Die Teamdynamik leidet, da unausgewogene Arbeitsbelastungen zwischenmenschliche Spannungen erzeugen. Dies führt zu einem Kreislauf sich verschlechternder zwischenmenschlicher Beziehungen am Arbeitsplatz und weiterem Stress. Am beunruhigendsten ist vielleicht, dass diese Kultur des Präsentismus oft zu einer unpersonalisierten Pflege führt, bei der erschöpfte Mitarbeiter Mühe haben, die emotionale Energie aufrechtzuerhalten, die für empathische Interaktionen mit den zu pflegenden Menschen erforderlich ist.
Neben den direkten Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung beeinträchtigt Präsentismus also die Gesamteffizienz und führt zu einem Reibungsverlust in der Produktivität, was eine erhebliche Belastung darstellt, die sich letztendlich auf die gesamte Pflegeeinrichtung auswirkt.
Der Weg zur Veränderung ist komplex, insbesondere in einem Umfeld, in dem Unsicherheit am Arbeitsplatz und Angst vor Entlassung eine große Rolle spielen. Mitarbeiter in der Pflege fühlen sich oft in einem System gefangen, in dem Anerkennung und Karrierefortschritte mit Präsentismus verknüpft zu sein scheinen, was eine Arbeitskultur schafft, in der Krankheitstage als schädlich angesehen werden können.
Dennoch konzentrieren sich Pflegeeinrichtungen eher darauf, Dienstpläne zu füllen, anstatt nachhaltige, gesunde Arbeitsumgebungen zu schaffen. Unsere Erfahrung zeigt, dass traditionelle Ansätze zur Lösung dieser Herausforderungen oft nicht ausreichen. Viele Führungstrainingsprogramme sind gut gemeint, führen aber selten zu dauerhaften Veränderungen. Was benötigt wird, ist ein umfassenderer, systemorientierter Ansatz. Wie dieser aussehen könnte, kann dem nächsten Teil entnommen werden.
Caroline Bartle verfügt über 30 Jahre Erfahrung im Gesundheits- und Sozialwesen, davon 20 Jahre nach ihrem MBA. Sie hat umfangreiche Erfahrung darin, Organisationen bei der Bewertung und Verbesserung der Umfeldgestaltung für Menschen mit Demenz zu unterstützen, wobei sie sich auf die Schaffung positiver Veränderungen innerhalb der Pflegeeinrichtungen konzentriert.
Das englische Original dieses Artikels kann unter folgendem Link abgerufen werden: carolinebartle.com/blog/f/the-hidden-cost-of-soldiering-on-the-presenteeism-crisis.