[Wortwolke aus den Antworten der Teilnehmenden auf die Frage „Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen bei der Arbeit mit Geflüchteten mit Behinderungen?“ beim Workshop „Identifizierung und Begleitung von Geflüchteten mit Behinderungen“ am 26.03.2021]

„Plötzlich waren wir für ALLES zuständig!“ – Eindrücke von der digitalen Unterbringungstagung für DRK-Fachkräfte

Dort zu arbeiten, wo andere Menschen leben - die Arbeit in Unterkünften für geflüchtete Menschen ist sehr vielfältig, sie kann bereichernd aber auch sehr herausfordernd sein. Meist sind die Mitarbeitenden erste Anlaufstelle für die Bewohnerinnen und Bewohner, etwa bei alltäglichen Problemen („Die Dusche ist kaputt!“), aber auch bei Schwierigkeiten im Asylverfahren, bei Krankheiten und seelischen Nöten. Mit Beginn der Pandemie sind neue Herausforderungen für Bewohnende und Mitarbeitende hinzugekommen: häufig wechselnde (Hygiene-)Vorschriften, unklare Zuständigkeiten, der Wegfall vieler ehrenamtlicher Strukturen und nicht zuletzt das Virus selbst, der Umgang mit Erkrankungen und die Angst vor Ansteckung.

Um den Austausch der Fachkräfte der verschiedenen Landes- und Kreisverbände zu diesen und weiteren Themen zu ermöglichen, veranstaltete das DRK-Generalsekretariat im März und April 2021 eine Unterbringungstagung, bestehend aus sechs aufeinanderfolgenden Online-Workshops. Die über 60 Teilnehmenden aus ganz Deutschland hatten so die Möglichkeit, sich mit ausgewählten Expertinnen und Experten, mit den Kolleginnen aus dem Generalsekretariat sowie untereinander auszutauschen und zu vernetzen.   

Unterbringung im ländlichen Raum

Das Leben und Arbeiten in einer Einrichtung im ländlichen Raum ist eine besondere Herausforderung. Eine oft geringe Anzahl von Anlauf- und Beratungsstelle und lange Fahrtwege erschweren die Verweisberatung und die Vermittlung an speziell geschulte Beratungs- und Unterstützungsangebote. Die Fachkräfte in den Unterkünften stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern zwar bei allen Problemen mit Rat und Tat zur Seite, sind dabei aber oft auf sich allein gestellt. Zusammen mit Dr. Judith Vey, Leiterin des Bereichs "Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte" am Zentrum für Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin diskutierten wir, welche Besonderheiten die Unterbringung im ländlichen Raum mit sich bringt, welche Chancen sie birgt und wie man den Herausforderungen bestmöglich begegnen kann. 

Ein Muss: effektiver Gewaltschutz

Mit dem Workshop zum Thema „Gewaltschutz in Unterkünften“ ging es weiter. Das BMFSFJ-geförderte Projekt DeBUG (Dezentrale Beratungs- und Unterstützungsstruktur für Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften) leistet seit 2019 bundesweit einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung von Gewaltschutzstandards in Unterkünften. Das DRK betreibt zwei der bundesweit sieben Kontaktstellen und sowohl Faris Shehabi, DeBUG-Multiplikator im LV Rheinland-Pfalz, als auch Florian Töpfer, Multiplikator des Projekts im LV Schleswig-Holstein, brachten ihre Expertise ein. Beide Kontaktstellen beraten Unterkünfte in ihren Regionen bei der Erstellung und Umsetzung einrichtungsspezifischer Gewaltschutzkonzepte und begleiten Fachkräfte bei der Erstellung von Handlungsleitfäden und Interventionsketten. Florian Töpfer brachte es mit einem Vergleich auf den Punkt: Gewaltschutz ist wie Teamsport – man braucht eine klare Rollenverteilung, eine gute Vorbereitung, eine klare Kommunikation und den Willen, sich für das Thema einzusetzen!

Der Umgang mit COVID-19 

Beim Thema COVID-19 verzichteten wir auf einen externen Input, denn wer weiß besser, wie die Situation direkt vor Ort ist, als die Mitarbeitenden selbst? Ina Masuch, Einrichtungsleiterin im KV Müggelspree in Berlin, berichtete exemplarisch, wie sie und ihr Team mit den anhaltenden Pandemiebedingungen umgehen und wie die Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen klappt. Während es in Berlin extra eingerichtete Quarantäne-Unterkünfte gibt, standen andernorts ganze Einrichtungen über Wochen hinweg unter „Kollektivquarantäne“ - eine enorme Belastung für alle! Ein weiteres Problem: die oft nur sehr eingeschränkte Erreichbarkeit von Behörden und Ämtern. Eine Teilnehmerin fasste zusammen: „Plötzlich waren wir für ALLES zuständig!“. Unverzichtbar in der täglichen Arbeit ist mehrsprachiges Infomaterial und die Teilnehmenden tauschten hilfreiche Links und Videos aus.

Wie verhalte ich mich im Fall einer Abschiebung?

Eine Abschiebung ist immer eine Extremsituation, die in vielen Unterkünften leider regelmäßig passiert. Auch für die anderen Bewohnerinnen und Bewohner sowie für die Mitarbeitenden ist eine Abschiebung eine Ausnahmesituation. Umso wichtiger ist es, Rechtssicherheit hinsichtlich des eigenen Handlungsrahmens zu haben. Der Rechtsanwalt Christoph Tometten gab einen Überblick über die wichtigsten Regelungen und konnte den Teilnehmenden so Orientierung in den verschiedenen Fallkonstellationen bieten.

Identifizierung und Begleitung von Geflüchteten mit Behinderungen

Bei geflüchteten Menschen mit Behinderungen handelt es sich um eine heterogene und doppelt marginalisierte Gruppe. Zusammen mit Dr. Susanne Schwalgin und Wolfram Buttschardt aus dem Projekt „Crossroads“ von Handicap International diskutierten die Teilnehmenden des Workshops, wie  Geflüchtete mit Behinderungen bei der Unterbringung bestmöglich identifiziert werden können. Eine bewährte Technik sind hier die Washington Group Questions (WGQ). Vorgestellt wurde auch das DRK-Projekt Bedarfserhebung von Geflüchteten mit Behinderungen (gefördert durch die GlücksSpirale), in dessen Rahmen im Laufe des Jahres Interviews mit Fachkräften, Expertinnen und Experten und mit Geflüchteten mit Behinderungen selbst geführt werden. Die (Zwischen-)Ergebnisse werden ab Herbst in regelmäßigen Workshops vorgestellt.

Weitere praxisrelevante Informationen, Arbeitshilfen und Downloadmaterialien rund um das Thema „Flucht und Behinderung“ finden Sie nun auch in der neuen Roadbox von Handicap International. Alle Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, sich umzuschauen und die Materialien und Tools bei ihrer Arbeit zu nutzen!

Unterstützung von psychisch belasteten Personen

Wie kann man den Umgang mit psychisch belasteten Personen gestalten, was ist zu bedenken und wie gelingt es, auch ausreichend auf das eigene Wohlergehen zu achten? Im letzten Workshop unserer Tagung schilderte Diplom-Sozialpädagogin Sabine Rauch aus dem Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf, wie durch Erfahrungen im Herkunftsland und auf dem Fluchtweg Traumata entstehen können und welche Symptome und Begleiterscheinungen damit auch nach der Flucht einhergehen können. Gemeinsam wurden Möglichkeiten gesammelt, wie Fachkräfte nicht nur traumatisierte Personen unterstützen können, sondern auch für ihre eigene Psychohygiene sorgen können.

Wir hoffen sehr, dass alle Teilnehmenden wertvolle Erkenntnisse für ihre tägliche Arbeit mitnehmen konnten. Für uns aus dem Generalsekretariat war die Tagung eine tolle Gelegenheit, Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen und noch mehr von der Arbeit vor Ort zu erfahren. Die Einblicke, die wir dabei gewinnen konnten, waren sehr beeindruckend und wir ziehen insbesondere unseren Hut vor der Leistung, die die Kolleginnen und Kollegen unter den - nun schon über ein Jahr anhaltenden - Pandemiebedingungen erbringen!

Wir freuen uns schon jetzt auf ein Wiedersehen!

Elena Lukinykh & Inga Matthes

Die Unterbringungstagung wurde durch Mittel der GlücksSpirale gefördert.