Covid-19-Test in einem Altenpflegeheim

Plötzlich „Heldinnen des Alltags“? – die Langzeitpflege in der Corona Krise

Auf den ersten Blick betrachtet, können sich die Mitarbeitenden in der Langzeitpflege zurzeit über mangelnde gesellschaftliche Aufmerksamkeit kaum beschweren. Die Tatsache, dass sie sich in der „Corona-Krise“ um pflegebedürftige ältere Menschen - also eine der vulnerabelsten Gruppe in der Gesellschaft - kümmern, scheint den Blick auf die Tätigkeit der beruflich Pflegenden stark verändert zu haben. Doch ob es sich dabei um eine Momentaufnahme handelt oder nachhaltige Verbesserungen für die Mitarbeitenden mit sich bringt, muss sich erst noch erweisen.

Der abendliche Applaus an den Balkonen, die Lobpreisung als „Helden des Alltags“ in den Medien bis hin zum persönlichen Dank der Kanzlerin in ihrer Fernsehansprache für ihre Arbeit, hat die gesellschaftliche Aufmerksamkeit in der Corona-Pandemie auf eine Reihe von Berufsgruppen gelenkt, die vorher nur wenig Beachtung fanden. Auch die Arbeit in der Langzeitpflege gehört zu diesen als systemrelevant bezeichneten Berufen. Die schrecklichen Bilder aus Norditalien mit der hohen Zahl an Verstorbenen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen haben auch in Deutschland klar gemacht, wie entscheidend die Arbeit von Pflegefachpersonen in Zeiten der „Corona-Krise“ ist, um so hohe Sterbezahlen wie in einigen unserer Nachbarländer und eine Überlastung des Gesundheitssystems in der Bundesrepublik zu verhindern. Nicht zuletzt die eigene gesundheitliche Gefährdung, welche die Mitarbeitenden in den Pflegeberufen für sich und ihre Familien dabei eingehen, hat den Respekt für ihre Tätigkeit wachsen lassen.

Die gefühlte gesellschaftliche Anerkennung ist zu gering

Doch wie kommt diese scheinbare neue gesellschaftliche Anerkennung bei den beruflich Pflegenden selbst an? Eine Mitarbeiterin aus der Langzeitpflege äußert sich in einem Artikel in der ZEIT folgendermaßen:

„Eigentlich ist es eine Beleidigung und eine Farce, was derzeit abgezogen wird. Nach der Krise werden die Gehälter nicht steigen und der Respekt dem Beruf gegenüber wird dann auch wieder weg sein."[1] 

Auch wenn es sich dabei um eine Einzelstimme handeln mag, spiegelt sich darin eine grundsätzliche Enttäuschung über mangelnde gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit in der Langzeitpflege wider, welche sich auch nicht durch kurzfristige Lobpreisungen so schnell reparieren lässt. Diese grundsätzliche Enttäuschung lässt sich auch in einer quantitativen Befragung nachweisen, welche unter DRK-Mitarbeitenden aus dem Bereich der Langzeitpflege in Niedersachsen und Sachsen im Jahr 2019 durchgeführt wurde.

Rund 40 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft nicht genügend anerkannt wird. Besonders deutlich wird der Kontrast, wenn man dies mit den Aussagen hinsichtlich der Wertschätzung von Personengruppen aus dem direkten Umfeld der Pflegenden vergleicht. Nur 4 Prozent der Befragten sagen, dass sie von den pflegebedürftigen Menschen zu wenig zurückbekommen und lediglich 13 Prozent meinen, dass sie von ihren Kolleginnen und Kollegen nicht genügend unterstützt werden.

Leistungsgerechte Entlohnung als Schlüssel

Wie lässt sich diese mangelnde gefühlte gesellschaftliche Anerkennung bei den Mitarbeitenden in der Langzeitpflege, aber auch in den anderen Versorgungsbereichen verbessern? Auch wenn wahrscheinlich nur eine Minderheit den Pflegeberuf aufgrund des Gehaltsgefüges ergreift, bleibt die als zu niedrig empfundene Bezahlung auch in der DRK-Befragung ein entscheidender Faktor. Diejenigen Befragungsteilnehmenden, welche den Beruf nicht noch einmal ergreifen würden bzw. nicht bis zur Rente ausüben wollen wurden nach den Gründen für diese Entscheidung gefragt. Für 69 Prozent der Befragten ist ein zu niedriger Lohn einer der wichtigsten Gründe aus dem Beruf auszusteigen. Weitere Gründe folgen erst mit großem Abstand.

Tatsächlich hat der Bundestag am 14. Mai beschlossen, allen Beschäftigten in der Langzeitpflege einen steuerfreien Bonus von maximal 1500 Euro für die besonderen Belastungen während der Corona-Pandemie zukommen zu lassen. Gleichzeitig wurden allerdings die beruflich Pflegenden in den anderen Versorgungsbereichen, wie z. B. den Krankenhäusern oder den Rehakliniken nicht bedacht, weshalb zuletzt viele Pflegefachpersonen ihrem Unmut in den Sozialen Medien Luft machten. Dies zeigt, dass die Politik immer noch nicht verstanden hat, dass es sich bei der Berufsgruppe der beruflich Pflegenden um eine Profession handelt, die sich nicht auf die Versorgungssektoren des Sozialrechts reduzieren lässt. Aber auch wenn eine solche Bonuszahlung sicherlich bei den Beschäftigten in der Langzeitpflege gut aufgenommen wird, erscheint es offensichtlich, dass nur eine dauerhafte und spürbar bessere Entlohnung in allen Bereichen der Pflege die Stimmung bei den Beschäftigten hinsichtlich der gesellschaftlichen Anerkennung drehen kann. 

Kompetenzen stärken und Freiraume ermöglichen

Doch das Gehalt ist nicht der einzige Hebel, bei dem man ansetzen kann, um die Arbeitszufriedenheit bei den Beschäftigten in der Langzeitpflege zu erhöhen. In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, wie wichtig es ist Mitarbeitenden Handlungsautonomie bei ihren Tätigkeiten zu gewähren. Auch bei der Analyse der oben genannten DRK-Befragung ergeben sich klare Hinweise, dass Mitarbeitende, die das Gefühl haben auf die Gestaltung ihres Arbeitsalltages und die Dienstplanung Einfluss nehmen zu können, insgesamt deutlich zufriedener sind. Es ist daher eine wichtige Aufgabe der Entscheidungsträger, den Beschäftigten in der Langzeitpflege mehr zuzutrauen, ihre Kompetenzen zu stärken, Freiräume zu ermöglichen und ihren Arbeitsalltag nicht durch einen überbordenden Dokumentationsaufwand oder eine strenge Durchtaktung zu erschweren.

Darüber hinaus ist jedoch auch die Politik gefragt, den steigenden Anforderungen an eine professionelle und evidenzbasierte medizinisch-pflegerische Versorgung gerecht zu werden. Bereits im Jahr 2007 empfahl der Sachverständigenrat zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen die stärkere Einbeziehung von Pflegefachpersonen in die Gesundheitsversorgung. Während im angloamerikanischen Raum beruflich Pflegende bereits seit den 1950er Jahren ein fester Bestandteil der quartiersnahen Versorgung sind und dort ganz selbstverständlich auch Heilkunde ausüben, bleiben diese Befugnisse den Pflegenden in Deutschland bislang verwehrt.

Dass die Bewohnerinnen und Bewohner in den stationären Langzeitpflegeeinrichtungen von einem solchen Versorgungsmodell profitieren würden liegt auf der Hand. Wie viele unnötige Arztkontakte könnten vermieden werden, wenn Pflegende das Recht zur Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln oder zur Anpassung der Medikation von chronisch Kranken hätten? Von einer Attraktivitätssteigerung des Aufgabenprofils in der Langzeitpflege ganz zu schweigen. Insofern stellt neben einer Steigerung des Gehaltsgefüges auch die Erweiterung von bestehenden Kompetenzen einen wichtigen Beitrag zur Aufwertung der Mitarbeitenden in der Langzeitpflege dar.

Vom kurzfristigen Applaus zu nachhaltigen Verbesserungen

Vielleicht gelingt es tatsächlich den vielzitierten Satz von der „Krise als Chance“ in der Langzeitpflege Wirklichkeit werden zu lassen und die momentan hohe öffentliche Aufmerksamkeit und den gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit der Verbesserung der Lage der beruflich Pflegenden, für nachhaltige Reformen zu nutzen. Auf diese Weise kann es gelingen den derzeitigen Applaus für die Beschäftigten in ihren Ohren noch lange nachhallen zu lassen.

Die Ergebnisse der Mitarbeitendenbefragung in der DRK Langzeitpflege zum nachlesen: 

https://drk-wohlfahrt.de/uploads/tx_ffpublication/DRK-Studie-Altenpflege_Status-Quo-Chancen-Potentiale_November-2019.pdf

 

1]www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-04/systemrelevante-berufe-coronavirus-medizinisches-personal-supermaerkte-deutschland