ICRC, Vučjak, 2019

Lost in transit - Zur Lage der Geflüchteten an der bosnisch-kroatischen Grenze

Mit dem Brand im Camp Lipa im Norden von Bosnien und Herzegowina am 23.12.2020 ist die Situation von Migrantinnen und Migranten an der bosnisch-kroatischen Grenze wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Durch das Feuer wurden etwa 1.700 Personen obdachlos. Mehrere Versuche, die Betroffenen in andere Unterkünfte zu bringen, scheiterten u.a. am Protest der lokalen Bevölkerung. Die humanitäre Situation der Schutzsuchenden ist katastrophal: ohne Schutz gegen die Kälte und die Pandemie, ohne fließendes Wasser, ohne Strom harren sie im Freien aus. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Dabei ist dies keine neue Entwicklung, die Lage in den letzten Wintern war ähnlich dramatisch. Unsere Kolleginnen und Kollegen des Bosnischen Roten Kreuzes sind wie in den Vorjahren rund um die Uhr im Einsatz und versorgen die Schutzsuchenden mit Lebensmitteln, frischem Wasser, Decken und Erste-Hilfe-Materialien. Die EU hat Bosnien nun weitere 3,5 Millionen € für die Unterbringung zugesagt und für einen Teil der Betroffenen wurden inzwischen beheizte Zelte zur Verfügung gestellt. Doch eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht.

Proteste der lokalen Bevölkerung

Das Camp Lipa im Kanton Una-Sana in der Nähe der Stadt Bihać war eines der vielen Camps in der Grenzregion. Bereits 2019 machte das Camp Vučjak Schlagzeilen - es war auf einer, teilweise von alten Minenfeldern umgebenen, Mülldeponie errichtet worden. Mittlerweile ist es geschlossen. Das Camp Lipa, in dem bis dahin etwa 1.700 Personen untergebracht waren, wurde im Dezember 2020 als nicht winterfest eingestuft und geräumt. Kurz darauf kam es zu dem Brand, bei dem große Teile des Lagers zerstört wurden. Eine Verlegung der Schutzsuchenden in ein ehemaliges Camp in der Stadt Bihać scheiterte am Widerstand der örtlichen Behörden sowie der lokalen Bevölkerung. Auch die Evakuierung in eine Kaserne in der Nähe der Hauptstadt Sarajevo musste aufgrund von massiven Protesten aus der Bevölkerung abgebrochen werden. Die Betroffenen wurden schließlich zurück nach Lipa gebracht. Aus Verzweiflung traten mehrere von ihnen in einen Hungerstreik.

Das Bosnische Rote Kreuz vor Ort im Einsatz

Auf Ersuchen der lokalen Behörden ist das Bosnische Rote Kreuz derzeit mit 11 mobilen Teams im Einsatz, um Nothilfe zu leisten. Sie verteilen u.a. Lebensmittelpakete, Decken, Kleidung und Schutzmasken, um wenigstens einige elementare Grundbedürfnisse zu erfüllen. Entsprechend dem Grundsatz der Menschlichkeit wird hierbei nicht nach Herkunft oder Status differenziert, geholfen wird nach dem Maß der Not. Unterstützt werden die Kolleginnen und Kollegen durch andere Rotkreuzgesellschaften, wie etwa dem Deutschen Roten Kreuz. So konnten etwa von Berlin aus kurzfristig Mittel akquiriert werden, um Lebensmittelpakete für 9.800 Personen zu beschaffen. Alle Beteiligten können hierbei auf mehrjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit zurückblicken – denn die Situation in der Grenzregion zu Kroatien ist keineswegs neu. In den letzten Jahren kamen nach der Schließung der Balkan-Route und des sogenannten „EU-Türkei-Deals“ deutlich mehr Personen in Bosnien an als in den Vorjahren, um weiter nach Kroatien und damit in die EU einzureisen. Doch die Bedingungen im Transitland Bosnien sind unzureichend. Bereits im vergangenen Winter unterstützte das DRK die bosnische Schwestergesellschaft mit dringend benötigten Hilfsgütern sowie mit personellen Ressourcen. Schon im November 2019 warnte das DRK vor einer massiven Verschlechterung der humanitären Lage durch den bevorstehenden Winter.  

Bosnien als Transitland

Es handelt sich somit um ein strukturelles Problem. UNHCR geht davon aus, dass sich derzeit mindestens 9.200 Migrantinnen und Migranten in ganz Bosnien aufhalten. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung handelt es sich bei 40 % der Schutzsuchenden um Familien und unbegleitete Minderjährige. Etwa 1/3 der Schutzsuchenden lebt nicht in einer Unterbringungseinrichtung, sondern in informellen Camps, besetzten Häusern oder komplett unter freiem Himmel.

Ihr Ziel ist die Einreise nach Kroatien, um einen Asylantrag in der EU stellen zu können. Seit 2018 häufen sich jedoch Berichte, dass dies durch Angehörige des kroatischen Grenzschutzes gewaltsam verhindert wird. Bei sogenannten „Push-Backs“ werden schutzsuchende Menschen – meist unmittelbar nach dem Überschreiten der Grenze – ins Transitland zurückgeschoben, ohne dass sie einen Asylantrag stellen können. Im November 2020 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL im Rahmen einer groß angelegten Recherche erstmals ein Video, welches ein gewaltsames Zurückdrängen von Asylsuchenden durch vermummte Grenzschützer zeigt. Das kroatische Innenministerium wies die Vorwürfe als unbegründet zurück, der Schutz der EU-Außengrenze erfolge nach den Maßgaben des geltenden Rechts. 

Mehr Grenzschutz ist keine Lösung

Gemäß dem von der EU-Kommission im September 2020 vorgeschlagenen New Pact on Migration and Asylum (im Blog bereits hier besprochen) ist die stärkere Sicherung der EU-Außengrenzen zentrales Element eines zukünftigen gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS). Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass ein Teil der Schutzsuchenden das Asylverfahren direkt in Transiteinrichtungen an den Außengrenzen durchlaufen und von dort gegebenenfalls auch wieder in den Herkunfts- oder einen Drittstaat abgeschoben werden soll. Auch wenn eine Einigung der 27 Mitgliedsstaaten über die Kommissionsvorschläge in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, so zeigt sich doch in der bosnisch-kroatischen Grenzregion gerade eindringlich, wie hoch der humanitäre Preis einer massiven Grenzsicherung ist.

Was es jetzt braucht

Kurzfristig muss es jetzt darum gehen, das Überleben der Betroffenen in Lipa und Umgebung zu sichern und eine Verlegung in feste Unterkünfte mit entsprechenden Standards zu realisieren. Die den bosnischen Behörden zugesicherten EU-Hilfen sind hierfür von zentraler Bedeutung. Daneben muss auf politischer Ebene gemeinsam weiter an langfristigen und tragfähigen Lösungen gearbeitet werden, die den Zugang zu einem fairen Asylverfahren beinhalten. Aufnahme und Unterbringung muss dabei bedarfsgerecht ausgestaltet werden. Nur so können derartige humanitäre Notlagen in der Zukunft verhindert oder abgemildert werden. Und nur so kann die EU ihren eigenen Werten tatsächlich entsprechen.