Einrichtungen der stationären Pflege sind verpflichtet, Krisenkonzepte mit Blick auf akute Krisensituationen, wie anhaltende Stromausfälle oder Naturkatastrophen, vorzuhalten.
Daher wurde von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) eine verbandsübergreifende Arbeitsgruppe mit über 60 Teilnehmenden mit dem Auftrag eingerichtet, eine entsprechende Handlungsempfehlungen (Präsentation, Checklisten, Handreichung, Notfallpläne) zu entwickeln.
Die Zusammenarbeit war sehr wertschätzend und zielorientiert. Wir mussten die Handreichung unter enormen Zeitdruck erstellen, da bereits vereinzelt die WTG-Behörden (Heimaufsicht) bei Pflegeeinrichtungen diesbezüglich nachfragten. Zunächst haben wir uns mit der Frage befasst, auf was sich Pflegeeinrichtungen vorbereiten sollten.
Worauf sich vorbereiten?
Klar ist, dass man sich nicht auf alle denkbaren Gefahren vorbereiten kann. Das wäre auch nicht sinnvoll, denn Risiken sind unterschiedlich verteilt. Je nachdem, ob eine Pflegeeinrichtung in Flussnähe oder einem schneereichen Gebiet, in der Stadt oder in einer ländlichen Region liegt, sind die Gefahren sowie die Bewältigungsmöglichkeiten unterschiedlich ausgeprägt. Daher ist es auch erforderlich, die einrichtungsindividuellen Krisenkonzepte auf Basis der nun vorliegenden Handreichung den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort anzupassen.
Dennoch: auf zwei mögliche Effekte von Gefahren sollten sich Pflegeeinrichtungen mindestens vorbereiten, nämlich auf Stromausfälle und auf Evakuierungen in größeren Schadenslagen. Warum?
Stromausfälle können zum einen viele verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel (Schnee-)Stürme, Eisregen, Pandemien, Sabotage oder auch Unfälle bzw. menschliches Versagen, wie z.B. in Berlin im Jahr 2019. Zum anderen können Stromausfälle die Versorgung von Menschen, die bereits im Alltag auf Unterstützung angewiesen sind, stark beeinträchtigen. Menschen, deren Gesundheit oder Leben von strombetriebenen Geräten abhängt, sind dabei besonders gefährdet.
Evakuierungen in großen Schadenslagen unterscheiden sich von solchen, die in einem zeitlich und räumlich begrenzten Schadensereignis, wie einem Hausbrand, erforderlich werden. Gegebenenfalls muss eine Pflegeeinrichtung die Lage zunächst ohne die Hilfe des Katastrophenschutzes bewältigen, weil dessen Einsatzkräfte nicht sofort und überall zur Verfügung stehen können.
Wie können sich nun Pflegeeinrichtungen materiell, personell und organisatorisch vorbereiten, um eine ausreichende Versorgung in einem Krisenereignis möglichst lange aufrechterhalten zu können? Was muss beim Eintritt einer Krise oder Katastrophe eventuell zuerst getan werden und woran sollte auch gedacht werden? In der Handreichung finden sich entsprechende Empfehlungen.
Welche Empfehlungen gibt die Handreichung?
Drei große Themenblöcken werden in der Handreichung in Form von Empfehlungen und Praxismaterial behandelt. Im Themenblock „Krisenstab“ geht es zum einen unter anderem darum, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten ein einrichtungsintern zu bildender Krisenstab hat. Zum anderen wird auch ein systematischer Einbezug der Mitarbeitenden und entsprechende Schulungen empfohlen, damit jede und jeder in der Pflegeeinrichtung weiß, was bei einem Eintritt einer Krise oder Katastrophe zu tun ist. Der zweite Themenblock der Handreichung befasst sich mit der Bevorratung, der Gebäudetechnik und dem Thema Notstrom. Schließlich wird im dritten Themenblock das Thema „Austausch und Vernetzung“ angeführt. Sich bereits im Alltag auszutauschen und vielleicht auch konkrete Absprachen zu treffen, wer wie in einer Krisensituation gegebenenfalls unterstützen kann, gehört meiner Einschätzung nach mit zu den wichtigsten Vorbereitungsmaßnahmen. Denn allein auf sich gestellt kann eine Pflegeeinrichtung ein größeres Schadensereignis oder eine Katastrophe kaum bewältigen.
Die Handreichung kann Krisen-Resilienz fördern
Die Handreichung für die Krisenvorsorge von stationären Pflegeeinrichtungen kann dabei unterstützen, Pflegeeinrichtungen resilienter mit Blick auf Krisen und Katastrophen zu machen. Dies erscheint auch dringend notwendig. Denn der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens hat in seinem jüngsten Gutachten vom Januar 2023 festgestellt, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht krisenfest sei.
Auch Schadensereignisse oder Katastrophen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Pflegeeinrichtungen oft besonders betroffen und nicht ausreichend vorbereitet waren.
Auf dem DRK-Wohlfahrtskongress im Jahr 2022 wurde das Thema „Wege zu einem resilienten Pflegesystem“ aufgegriffen und diskutiert, wie die Widerstands- und Durchhaltefähigkeit gestärkt werden könnte. Die Diskutierenden des Panels nannten drei Ansatzpunkte: mehr Qualifikation in der Pflege, mehr anwendbares Wissen zur Krisenbewältigung in der Pflege sowie Zusammenarbeit und Vernetzung auf allen Ebenen!
An diesen Diskussionserkenntnissen knüpft die Handreichung zur Krisenvorsorge an und bietet praktikable Umsetzungshinweise. Aber sie kann nur ein Anfang sein.
Und wie kann es nun weitergehen?
Klar ist: das alles wird Geld und Zeit kosten. Die Handreichung empfiehlt die Anschaffung von Materialien, eine Bevorratung mit Lebensmitteln und Verbrauchsgütern. Auch die personellen und organisatorischen Aspekte der Krisenvorbereitung bedeuten Aufwand und finanzielle Aufwendungen: Hierzu zählen unter anderem Sensibilisierungen und Schulungen für alle Mitarbeitende sowie die Vernetzungsarbeit. Hierfür müssen Konzepte entwickelt werden, Verantwortlichkeiten benannt werden etc.
Politische Unterstützung dringend erforderlich!
Pflegeeinrichtungen dürfen nicht mit der Krisenvorbereitung allein gelassen werden. Von politischer Seite ist ein Bekenntnis für Resilienz des Pflegesystems erforderlich. Und dies muss auch die bisher fehlenden Refinanzierungsmöglichkeiten berücksichtigen. Dabei ist zu klären, wer finanziell für die Krisenvorsorge verantwortlich ist. Ist hier die Versichertengemeinschaft gefragt und sind diese Kosten von der Sozialen Pflegeversicherung und der Krankenversicherung zu finanzieren ist? Oder handelt es sich vielmehr um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus Steuermitteln getragen werden muss?
Hier sei an eine Aussage von Frau Karliczek, ehemalige Bundesbildungsministerin, erinnert:
„Krisenvorsorge ist oft ein glanzloses Geschäft, von dem man häufig nichts mitbekommt. Im Ernstfall ist sie aber entscheidend […] Dabei ist eines für mich ganz klar: Sicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – das hat die Pandemie eindrücklich belegt.“