Um seine volle Wirkung entfalten zu können, wirkt der gesetzliche Mindestlohn branchenübergreifend und eben nicht nur in ausgewählten Sektoren. Dies hat folglich auch direkte Auswirkungen auf die Freie Wohlfahrtspflege. So begrüßenswert der Mindestlohn als sozialpolitische Maßnahme auch ist, stellt sie insbesondere nicht gewinn-orientierte Einrichtungen der Wohlfahrtspflege unbeabsichtigt vor Herausforderungen. So arbeiten beispielsweise in vom DRK betriebenen Kleiderkammern arbeitsmarktferne Personen, die aufgrund besonderer Lebensumstände kaum Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Ihre Beschäftigungsverhältnisse geraten durch steigende Lohnkosten insbesondere in der jetzt aufgrund der Corona-Pandemie wirtschaftlich angespannten Zeit zunehmend unter Druck. Für uns als sozialer Dienstleister stellt sich so die Frage: Wie kann es gelingen, Arbeit besser zu entlohnen, ohne zugleich den Arbeitsplatz zu gefährden?
Mindestlohn: Segen oder Fluch?
Der gesetzliche Mindestlohn war in seiner Funktionsweise und seiner Ausgestaltung bereits vor seiner Einführung im Jahr 2015 politisch höchst umstritten. Auf der einen Seite argumentierten Befürworter für die Einführung einer unteren, gesetzlich verbindlich vorgeschriebenen Verdienstgrenze mit dem Ziel, Arbeit aufzuwerten und den Niedriglohnsektor sukzessive auszutrocknen. Gegner hingegen befürchteten überzogene Eingriffe in den freien Markt zwischen Arbeitsangebot und –nachfrage und warnten eindringlich vor unabwägbaren Folgeschäden für die deutsche Wirtschaftsleistung und den Arbeitsmarkt. Das Ergebnis nach seiner Einführung?
Hunderttausende neu geschaffene Beschäftigungsverhältnisse, höhere Einkommen für Millionen Erwerbstätige. Zwar kam es – wie von Kritikern angeführt – auch zu Arbeitsplatzverlusten im Minijob-Segment. Doch diese Jobs fielen nicht zwingend einem höheren Lohnniveau zum Opfer, sondern wurden vielfach in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt.
Im Ergebnis hatten also Millionen Beschäftigte dank der bundeseinheitlich geltenden Lohnuntergrenze mehr Einkommen zur Verfügung.
Corona vs. Mindestlohn?
Im Zuge der Corona-Pandemie und ihrer noch immer unabsehbaren Folgen für die deutsche Wirtschaft und den deutschen Arbeitsmarkt wurden jedoch mitunter wieder Stimmen laut, die eine (temporäre) Aufweichung des gesetzlichen Mindestlohns zur Entlastung bzw. Wiederankurbelung der Wirtschaft und der betroffenen Unternehmen forderten. Ein solcher Schritt würde womöglich zwar viele Arbeitgeber dazu bewegen, neue Arbeitsverhältnisse (zu günstigeren Löhnen) zu schließen und der krisenhaften Arbeitsmarktlage entgegenzuwirken. So könnte es eher arbeitsmarktfernen Personen aufgrund der Vergrößerung des Arbeitsplatzangebots einfacher ermöglicht werden, (geringer entlohnte) Tätigkeiten zu finden und erste Schritte in die Beschäftigung zu gehen. Notwendige Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass einerseits gesuchte und angebotene Qualifikationen zusammenpassen
So objektiv nachvollziehbar die immer wieder aufflammende Debatte um eine Mindestlohnabsenkung sein möge, so nachteilig wären die damit verbundenen Konsequenzen für die betroffenen Menschen und das damit ausgesendete gesellschaftspolitische Signal. Dieses wäre gerade in solch turbulenten Zeiten wie der Corona-Pandemie nicht zu unterschätzen. Es war daher folgerichtig, dass die diskutierten Vorstöße für eine mögliche Mindestlohnabsenkung von Regierungsseite bereits frühzeitig zurückgewiesen wurden.
Warum eine Mindestlohnerhöhung trotz Krise das richtige Signal ist
Umso bemerkenswerter ist es vor dem Hintergrund solcher Zwischenrufe, dass die Mindestlohnkommission nun trotz der noch immer schwer abschätzbaren Krisenauswirkungen eine schrittweise Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns empfiehlt. Wenngleich diese Erhöhung mit einer Gesamtsteigerung von 1,10 € über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren eher gering ausfällt, so sind insbesondere die realen Mehreinnahmen für die unter die Mindestlohnerhöhung fallenden Beschäftigten entscheidend. Gerade in der jetzigen Krisenzeit, die von millionenfacher Inanspruchnahme von Kurzarbeit und steigenden Arbeitslosenzahlen geprägt ist, braucht es zunächst möglichst stabile und perspektivisch wieder steigende Einkommen zur konsumseitigen Ankurbelung der Wirtschaft.
Wie sieht die Zukunft aus?
Auch Bundesarbeitsminister Heil sieht sich durch die Empfehlungen der Mindestlohnkommission in seiner Einschätzung bestätigt und kündigt Anpassungen im Auftrag der Mindestlohnkommission an, um künftig schneller ein höheres Mindestlohnniveau – Orientierungswert 12 € – zu erreichen.
Wir als DRK befürworten einen klaren politischen Kurs in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und sehen die angemessene Erhöhung des Mindestlohns als Zeichen der Zuversicht in der Krise. Inwiefern sich die Auswirkungen dieser Weichenstellung langfristig auch in den Bereichen der sozialen Arbeit auswirken könn(t)en, ist zum heutigen Zeitpunkt und insbesondere mit Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht abzusehen. Zwar sehen auch wir als DRK die Herausforderungen, die in unseren Einrichtungen mit weiter steigenden Mindestlöhnen auf lange Sicht verbunden sein können. Eine Notwendigkeit aber, die die Aufgaben unserer sozialen Einrichtungen zu hinterfragen, ergibt sich hieraus jedoch nicht.
Aufgabe ist es und wird es auch künftig sein müssen, Beschäftigung zu stärken, Entlohnung zu verbessern und zeitgleich Arbeitsplatzsicherheit zu gewährleisten. Dies ist nicht alleine eine Frage der Freien Wohlfahrtspflege, sondern eine, auf die langfristig im gemeinsamen Austausch mit Politik und Gesellschaft eine Antwort gefunden werden muss.