Fotoarchiv DRK-Schwesternschaft Marburg e. V.

Coronaschutz – „Die Impfung ist der einzige Weg aus der Krise. Wir können ihn nur gemeinsam gehen.“

Caroline Walgarth, 56 Jahre, arbeitet als Pflegedienstleiterin in der Altenpflegeeinrichtung „Haus am alten Botanischen Garten“ der DRK-Schwesternschaft Marburg e.V. In ihrer Altenpflegeeinrichtung hat sie hautnah erlebt, was die strengen Kontaktbeschränkungen im letzten Jahr für die Bewohner*innen bedeuteten. Diese Eindrücke haben sie zutiefst berührt. Auch deswegen hat sie sich impfen lassen.

Wie groß ist Ihre Einrichtung und wie viele Mitarbeiter*innen sind in Ihrem Team? 

Unser Haus betreibt die rein stationäre Pflege und hat 58 Bewohner*innen. Im Team haben wir 14 Pflegefachkräfte, dreijährig examiniert, die als Altenpfleger*in, Krankenschwester oder Krankenpfleger bei uns arbeiten, mich inbegriffen. Außerdem haben wir 9 Pflegekräfte, einjährig examiniert, und 4 Pflegehelfer*innen. Insgesamt haben wir 70 Mitarbeitende, darunter die Hauswirtschafter*innen, Reinigungskräfte, Köch*innen und der Hausmeister.


Welche Herausforderung stellt der Lockdown für Sie und Ihre Pflegeeinrichtung dar? Welche Maßnahmen setzen Sie um, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen? 

Im Frühjahr 2020 hatten wir große Schwierigkeiten an Schutzausrüstung zu kommen. Der Markt war völlig leergefegt. Die wenigen Masken, die erhältlich waren, wurden zu unfassbar hohen Preisen verkauft. Schutzbrillen gab es keine. Wir sind kreativ geworden und haben zunächst mit Taucherbrillen gearbeitet. Flächen- und Händedesinfektionsmittel haben Apotheken geliefert, die die Inhalte selbst zusammengemischt hatten. Da pflegende Wirkstoffe nicht zwangsläufig integriert waren, gab es teils schlimme Hautreaktionen. Als Leitungskräfte haben wir die Mitarbeiter*innen wöchentlich zu den Verlautbarungen der Bundes- und Landesregierung, des Gesundheitsamtes, der Heimaufsicht und der Berufsgenossenschaft informiert. Das war eine Herausforderung, da die Inhalte zwar stets in dieselbe Richtung gingen, aber im Detail auch voneinander abwichen. Zudem kamen die Änderungen gerne am Freitagmittag und sollten bis Montag umgesetzt sein. Dabei ging es um nicht weniger als die Erarbeitung eines komplett neuen Schutzkonzeptes, die Neuregelung der Besuchszeiten, die Durchführung von Abstrichen und vieles mehr. Der Heimbeirat wurde in jedes unserer Hygienekonzepte einbezogen, das hat wunderbar funktioniert. Alle Bewohner*innen und auch die Angehörigen haben die Schutzvorschriften sehr gut angenommen. Ein großes Dankeschön gilt meinen Mitarbeiter*innen, denn, ich kann die Maßnahmen zwar am grünen Tisch entwerfen, aber sie müssen auch verantwortlich umgesetzt und konsequent durchgehalten werden. Bis heute hatten wir im Haus nicht einen positiven Fall. Die Pflegefachkräfte erhalten aktuell immer noch eine Schippe drauf. Anfänglich sollten die Bewohner*innen und Besuchenden getestet werden sowie die Mitarbeiter*innen unter bestimmten Voraussetzungen. Inzwischen werden die Mitarbeitenden bis zu drei Mal wöchentlich getestet. Zu den Besucher*innen gehören auch die Mediziner*innen und Physiotherapeut*innen. Jede(r) Handwerker*in, der/ die ins Haus kommt, wird getestet. Einfach alle. Anfänglich hatten wir feste Testzeiten von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Der Besuchende war einen Tag vorher angemeldet, nach dem Test durfte er das Haus nicht verlassen und konnte dann den Angehörigen auf dem Zimmer besuchen. Zwischenzeitlich testen wir von 10.00 Uhr bis abends 17.00 Uhr. Aufgrund des hohen Testvolumens suchen wir aktuell jemanden, der die Aufgabe übernimmt. Die Pflegefachkräfte können es nebenher einfach nicht mehr leisten. 


Welcher Werdegang hat Sie zu Ihrer jetzigen Aufgabe geführt?

Nachdem Abitur habe ich in einem kleinen Belegarztkrankenhaus eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Dann bin ich an die Universitätsklinik Frankfurt auf die Neurochirurgie gewechselt. Der Schritt von der Belegarztklinik in eine Uniklinik, und dann auf eine solche Station, war unfassbar groß. Ich dachte, ich schaffe das nie. Aber dann ging es irgendwie. Als ich später berufsbegleitend an der Fachhochschule Frankfurt Pflegemanagement studiert habe, wechselte ich zur orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim. Ich absolvierte den Masterstudiengang Gesundheits- und Pflegemanagement und war dann an der Klinik für das Qualitätsmanagement verantwortlich. Da ich damals die Krankenhaus-Einsatzplanung gemacht habe, konnte ich für unser Haus einen Pandemieplan erstellen. In der Position als Pflegedienstleitung bin ich seit 1 ½ Jahren. 


Wie funktioniert das komplexe Thema Eigenschutz im Team? 

Als die Zahlen stiegen, haben wir regelhaft mit FFP2-Masken gearbeitet. Wir wollten den Bewohner*innen, den Mitarbeiter*innen und den Abholenden den besten Schutz zukommen lassen, der möglich ist. In der Einrichtung selbst tragen die Bewohner*innen keine Maske. Sie sind hier zuhause und haben extrem unter der Situation gelitten. Anfänglich haben wir im Garten Zeltpavillons für die Besuche aufgestellt, es war ja noch Sommer. Das hat gut funktioniert. Als dann die kalte Jahreszeit kam, haben wir die Besucher*innen vom Eingang ein kurzes Stück über den Flur gebeten. Vor einer Tür hatten wir Tisch und Stuhl vor einer Plexiglasscheibe aufgebaut, die bis oben in den Türrahmen reichte. Dahinter haben wir dann die Bewohner*innen von innen herangefahren. Die Besuchenden kamen also nicht in unsere Räumlichkeiten hinein. Das war sehr ungemütlich. Später haben wir dann einen Raum geöffnet und mit Tischen und Plastikscheiben ausgestattet. Getestete Besucher*innen dürfen jetzt ihre Maske ablegen, sobald alle Anwesenden sitzen. Das Erkennen durch die Scheibe ist für demenziell Erkrankte sehr schwierig, die Zuordnung der Stimme zu einem Gesicht ist mit Maske nahezu unmöglich. Aktuell sind bis zu drei Besuche in der Woche im Haus möglich. Die Angehörigen können aber jeden Tag kommen und die Bewohner*innen zu einem Spaziergang abholen. 


Wie geht es Ihnen in der Einrichtung? Sie sagten, die Bewohner*innen haben zu Beginn sehr gelitten?

Ja, gerade bei den demenziell Erkrankten gingen Lebensmut und Antrieb rapide zurück. Sie vermissten ihre Angehörigen und konnten es nicht einmal benennen. Das war dramatisch und hat uns alle menschlich sehr berührt. Wir haben damals Tablets angeschafft, um den Kontakt zumindest auf digitalem Wege zu ermöglichen. Aber auch das war für einen großen Teil unserer Bewohner*innen nicht einfach. Sie konnten ihr Gegenüber nicht gut erkennen, haben teils das Tablet nicht richtig gehalten, sodass auch der/ die andere sie nicht sehen konnte und haben dann doch nur der Stimme gelauscht. Damals waren viele der Bewohner*innen in großer Angst, sie saßen vor den Fernsehern und haben die Nachrichten verfolgt, die stündlich über den Bildschirm flimmerten. 


Wie sind Sie und ihre Mitarbeiter*innen mit der Angst Ihrer Bewohner*innen umgegangen? Auch Sie waren sicherlich in Sorge?

Wir alle hatten Angst. Aber wir haben trotzdem versucht Ruhe auszustrahlen und den Bewohner*innen Sicherheit zu geben. Durch meine Ausbildung, meine Arbeit als Rettungssanitäterin und Erfahrungen im Katastrophenschutz, habe ich gelernt, meine eigene Sorge nicht so sehr zu zeigen. Wir haben vielmehr nachgedacht, wie wir für Ablenkung und Aufheiterung sorgen können. Ich habe dann eine Dame angerufen, die mit ausgebildeten Therapie-Begleithunden arbeitet und beispielsweise Kinderhospize oder Hospize besucht. Sie hat uns zwei Ansprechpartner*innen in der Nähe vermittelt, die dann mit Hunden zu uns kamen. Das war ein Volltreffer. Die Bewohner*innen sind so aufgeblüht. Das war auch für uns einfach schön zu sehen. 


Pflegekräfte erfahren bei der Impfung eine Priorisierung. Haben Sie sich bereits impfen lassen? 

Wir haben am 30. Januar die zweite Impfung erhalten. Fünf der Bewohner*innen haben sich gegen eine Impfung entschieden. Die Mitarbeiter*innen im Haus sind nahezu alle geimpft. Auch ich habe mich impfen lassen. Für uns als Leitungskräfte war wichtig, dass wir auf die Mitarbeitenden nicht einwirken, nur Überzeugungsarbeit leisten. Denn es ist und bleibt die Entscheidung jedes/ jeder einzelnen Mitarbeiter*in. Es war klar, dass wir ihre Entscheidung respektieren. 


War die Impfung eine Frage für Sie?

Für mich war klar, dass ich mich impfen lasse. Ich habe gesehen, wie sehr unsere Bewohner*innen gelitten haben. Und ich sehe, wie unsere Mitarbeiter*innen am Rande ihrer Belastbarkeit arbeiten. Es ist sehr anstrengend, während der gesamten Schicht die Maske zu tragen. Auch ich trage die Maske im Büro, da wir zu zweit sind. Dadurch, dass wir der Schwesternschaft angehören, wussten wir auch um die Situation in der Universitätsklinik Marburg. Angesichts der hohen Zahlen waren die Beatmungskapazitäten nahezu erschöpft, denn die Klinik hat auch Menschen aus der Region aufgenommen. Die Impfung war für mich ein Pieks, der meine Bewohner*innen, die Mitarbeiter*innen, mein privates Umfeld und auch mich selbst schützt. Er war notwendig, damit wir alle irgendwann wieder ein (fast) normales Leben aufnehmen können. Wir wurden mit dem BioNTech-Impstoff geimpft. Es war mir egal, welchen Impfstoff ich erhalte, denn geimpft blockiere ich kein Beatmungsgerät. Zudem bin ich vor schweren Verläufen geschützt. 


Wie verändert die Impfung Ihre Arbeit und Ihren Alltag konkret? 

Über die Impfung bin ich glücklich und denke, auch meine Mitarbeiter*innen sind es. Die Länge der Pandemie geht mittlerweile an die Substanz. Das bleibt nicht mehr in den Kleidern hängen. Konflikte treten auf, es fehlen die Aktivitäten im Team, gemeinsame Grillfeste oder die Weihnachtsfeier, die weggefallen ist. Gerade die Mütter sind durch das Homeschooling oder die Frage, ob sie ihre Kinder nun in den Hort oder in den Kindergarten bringen dürfen oder nicht, außerordentlich belastet. Ich habe Mütter, die mit drei Kindern alleinerziehend sind. Wir reichen ihnen die Hand und ermöglichen Freiräume, so gut es eben geht. Klar ist aber auch, die Impfung ist gut und wichtig, sie ist jedoch kein Allheilmittel.


Als Sie sich für diesen Beruf entschieden haben, war eine Situation wie diese kaum vorstellbar. Was bewegt Sie jeden Tag aufs Neue, die Herausforderungen anzunehmen? 

Für mich ist die Arbeit kein „Job“.  Zu meinen Mitarbeiter*innen sage ich gerne, bitte versetzt Euch selbst in die Lage der zu Pflegenden. Ein Beispiel. Stellen Sie sich vor, Sie liegen mit einem Schlaganfall im Bett und können sich nicht mehr rühren. Die Schwester kommt und überbringt die frohe Botschaft: „Wir stehen heute das erste Mal gemeinsam auf.“ Da freuen Sie sich sicher einerseits und fragen sich aber auch: „Wie soll das nur gehen?“ Sie werden dann hin und her bewegt, finden sich auf einem Tuch wieder und dann mit Hilfe eines Lifts unvermittelt halbsitzend, halbliegend in der Schwebe. Hätten Sie da Angst?


Unbedingt.

Deswegen bitte ich immer darum: Redet mit den Bewohner*innen. Erklärt ihnen, was passiert. Ich berühre die zu Pflegenden beispielsweise am Rücken, damit sie in der Schwebe den Kontakt spüren. Es ist wichtig, dass wir die Menschen in ihrer Situation wahrnehmen! Es geht nicht allein darum, ihnen so gut wie möglich zu helfen. Es geht auch darum, dass wir ihnen das Gefühl geben, das ist jetzt eine Chance für mich, ich bin gut aufgehoben und habe immer jemanden, der mir zuhört.


Gibt es auch etwas, das Ihnen in der Krise Mut macht? 

Durch Corona werden wir auf uns selbst zurückgeworfen. Wir tun mehr Dinge für uns, leben stärker in der Natur und beschäftigen uns auch mit dem inneren Erleben. Es gibt allgemein einen sensibleren Umgang im Alltag, das „Wir“ rückt in den Mittelpunkt. Das kann aus meiner Sicht gerne so bleiben. Auch ich habe Momente, in denen ich jammere. Dann sage ich mir, was sollen die Mediziner*innen im Klinikum sagen, die auf der Corona-Station um das Leben der erkrankten Menschen ringen. Das hilft mir dann, meine Gefühle besser einzuordnen.


Haben Sie in den vergangenen Wochen etwas Besonderes im Arbeitsalltag erlebt, was Sie mit anderen teilen möchten? 

Am Rosenmontag haben sich spontan einige unserer Mitarbeiter*innen verkleidet. Sie haben mit Lautsprecherboxen unter dem Arm Karnevalslieder gesungen. Das war so wunderbar. Dass das trotz allem noch möglich ist. Diese Spontanität. Das sind die Momente, die mir das Gefühl geben: Wir werden das hier gemeinsam durchstehen.

Redaktionsteam
Heike HarenbergNatascha Baumhauer

In Kooperation mit 
Dorian Lübcke

Das Interview ist Teil des Projekts „DRK erleben“ und wird mit Mitteln der GlücksSpirale gefördert. 

Interessiert an weiteren Interviews zu alltäglichen Erlebnissen der Mitarbeitenden aus den Hauptaufgabenfeldern Kindertagesbetreuung und Altenhilfe im DRK? 
Unsere Beiträge gibt es auch auf unserem Instagram-Kanal taeglichkleinewunder