Gemeinnützigkeit spielt eine wichtige Rolle, insbesondere für das ehrenamtliche Engagement im Deutschen Rote Kreuz (DRK). Der Status der Gemeinnützigkeit gewährleistet verbindlich, dass alle erwirtschafteten Gewinne immer wieder vollständig dem Vereinszweck zukommen. Das ist für die Menschen, die ihre Zeit und ihre Kompetenzen einbringen, wichtig. Es ist zumindest fraglich, ob sie sich genauso engagieren, wenn Investoren durch ihre Arbeit reich würden. Und damit ist ebenso fraglich, ob sie in den demokratischen Strukturen aktiv mitwirken und die Ausrichtung des Verbands weiter mitbestimmen. Gemeinnützigkeit hat daher viel damit zu tun, dass die Verbände demokratisch verfasst sind und somit einen Beitrag zur demokratischen Kultur im Großen leisten.
Dieser Aspekt der Demokratie ist der zentrale Punkt und viel wichtiger als steuerliche Entlastungen, die in politischen und öffentlichen Diskussionen in den Mittelpunkt gerückt werden.
Neben dem Verbot, Gewinne auszuschütten, gibt es weitere formale Pflichten für gemeinnützige Organisationen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind: Zum Beispiel eine limitierte Rücklagenbildung und die Vorgabe, alle Überschüsse dem Satzungszweck zuzuführen.
Profitorientierte oder „private“ Pflege ist eben an Profiten orientiert - es geht Anlegern also darum, Renditen zu erwirtschaften. Lange funktionierte das vor allem über niedrige Löhne. Das sieht man auch - die Tarifbindung ist in den gemeinnützigen Diensten und Einrichtungen deutlich höher als in gewerblichen Unternehmen. Das hat nachweislich Auswirkungen auf Qualität: In Bremen wurde festgestellt, dass die Mängel in gewerblichen Pflegeeinrichtungen deutlich höher sind als in gemeinnützigen Einrichtungen. Interessant ist auch, dass es mittlerweile immer mehr Bedenken seitens der Ärzteschaft gibt. Ärzteverbände stellen die Profitorientierung im Gesundheitssektor aus Sorge um Patientinnen und Patienten zur Debatte. Der 126. Deutsche Ärztetag hat 2022 einen Beschluss gefasst, um die “zunehmende Kommerzialisierung im Gesundheitswesen” einzudämmen. Ich stelle nicht in Abrede, dass in profitorientierten, gewerblichen Einrichtungen im sozialen und gesundheitlichen Sektor vielfach gute Arbeit geleistet wird. Aber es gibt eben doch strukturelle Unterschiede, auch in der Qualität.
Für die Bundesregierung scheint die Zukunft von Gemeinnützigkeit leider kein Thema zu sein. Derzeit schaut sie zu, wie die gemeinnützigen Dienste und Einrichtungen aufgrund ihrer Beschaffenheit immer weiter in Schwierigkeiten geraten. Sie können mit profitorientierten Unternehmen oft nicht mithalten, wenn es um Investitionen geht oder wenn Liquidität notwendig ist, um beispielsweise höhere Kosten aufzufangen. Denn das Gewinnausschüttungsverbot bedeutet auch, dass sie sich nicht wie die profitorientierten Wettbewerber am Kapitalmarkt mit Geld versorgen können. Zudem geraten sie vielfach noch von anderer Seite unter Druck: Verstärkt betreiben Kommunen selbst Einrichtungen. Dem können gemeinnützige Dienste ebenfalls wenig entgegensetzen, schon weil kommunale oder landeseigene Einrichtungen kaum insolvent gehen können. Im Gegensatz dazu ist die Insolvenzgefahr bei gemeinnützigen Unternehmen besonders hoch.
Wenn seitens des Staates nicht zugunsten von Gemeinnützigkeit interveniert wird, könnte dies in naher Zukunft zu einem Trägermix führen, in dem Tätigkeiten, die Renditen versprechen, vermehrt in die Hände profitorientierter Unternehmen gelangen, während viele andere Bereiche in erster Linie staatlich betrieben werden.
Genau das lässt sich gerade jetzt im Krankenhaussektor beobachten: Es sind die gemeinnützigen Krankenhäuser, die als erstes insolvent gehen und derzeit die geringste Überlebenschance haben. Wir weisen auf diesen Missstand ständig hin, z.B. in unserem Brennpunkt Wohlfahrt 04/2023, in dem wir fordern, dass die Frage des Trägermixes Aufnahme in die geplante Krankenhausreform findet oder im Brennpunkt 02/2021, in dem wir die Verankerung einer Vorrangstellung für gemeinnützige Dienste in den SGBs und bei allen Förderprogrammen fordern. Bisher hat das noch nicht dazu geführt, dass die Bundesregierung sich mit diesen zentralen Fragen befasst. Im Gegenteil, gerade hat sie Ideen in eine ganz andere Richtung und rückt vom Prinzip der Gemeinnützigkeit ab.
Mit dem Förderprogramm REACT with impact und einer Strategie für soziale Innovationen und soziales Unternehmertum führt die Bundesregierung jetzt einen neuen Begriff ein. Statt gemeinnützige Unternehmen zu unterstützen, will sie nun „gemeinwohlorientierte“ Unternehmen fördern. Und da reicht es bereits, dass ein Unternehmen “soziale Ziele” hat. Das ist bitter für die gemeinnützigen Vereine und Dienste, die akribisch nachweisen, dass sie die Voraussetzungen für Gemeinnützigkeit erfüllen. Der Status der Gemeinnützigkeit, der in der Regel alle drei Jahre überprüft wird, ist mit Rechten und Pflichten verbunden. Die Regeln, die für gemeinnützige Organisationen gelten, sind streng und anspruchsvoll. Sie garantieren jedoch eine Orientierung am Gemeinwohl und ein enormes Maß an Verlässlichkeit.
Jetzt setzt die Bundesregierung jedoch das Signal: Es ist eigentlich egal, Hauptsache du machst “irgendwas Gutes”. Fahrlässigerweise definiert sie aber nicht näher, was unter “Gemeinwohlorientierung” zu verstehen ist. Ein von uns gemeinsam mit Parität und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland in Auftrag gegebenes, sehr lesenswertes Rechtsgutachten zum REACT-Programm kommt zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich rechtswidrig ist: Wenn nicht exakt beschreiben kann, wer gefördert werden soll, kann keine saubere Förderrichtlinie auflegen. Auch wenn das BMWK das Förderprogramm nach unserer Intervention ändern musste, bleibt es bei seiner Linie einer Ausrichtung auf das eine diffuse Gemeinwohlorientierung anstelle einer klaren und verbindlichen Gemeinnützigkeit. Unsere Erwartungen an eine Innovationsförderung haben wir umfangreich in einem Brennpunkt skizziert. Wir haben klar beschrieben, wie eine gute Strategie, die wirklich am Gemeinwesen ausgerichtet ist, sein sollte.
Gemeinnützige Unternehmen haben einen rechtlich abgesicherten Status und weisen nach, dass Gewinne wieder dem Satzungszweck zufließen. Wenn eine soziale Einrichtung diesen Status nicht will, sollte man vielleicht einmal fragen, was der Grund dafür ist. Meine Vermutung: Es soll Geld an Investoren abfließen. Alle anderen Erklärungen ergeben wenig Sinn. Wer beispielsweise Bürokratie als Grund anführt, kann sich ja in die laufenden Debatten um eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts einbringen und Vorschläge in Richtung Entbürokratisierung machen. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, gleich das gesamte Prinzip abzulehnen. Anders ausgedrückt: Wenn 100 Leute in Berlin sich beschweren, dass ihnen die KFZ-Anmeldung zu aufwendig ist, sagen wir doch auch nicht, dass wir nun deutschlandweit das ganze Prinzip in Frage stellen.
Im Übrigen sind viele soziale Unternehmen außerhalb der Wohlfahrtspflege sehr wohl gemeinnützig. Ich verstehe daher nicht, warum man ohne erkennbaren Grund ein System, in dem alles Geld in den sozialen Zweck investiert wird, benachteiligen will zugunsten eines Systems, an dem sich Gesellschafter potentiell bereichern können. Damit wird dem Sozialstaat automatisch Geld entzogen. Warum sollte man das wollen?
Gerade lastet enorm viel Druck auf dem sozialen Sektor, jetzt wird ausgerechnet hier ja auch noch massiv gekürzt. Die Kürzungen im Bundeshaushalt kommen jetzt noch hinzu, obwohl die Herausforderungen ohnehin schon enorm sind.
Was es jetzt mehr denn je braucht, ist ein Status, der sämtliche Überschüsse aus dem sozialen Sektor dem Gemeinwesen zurückführt, ehrenamtliches Engagement bindet und Demokratie stärkt. Und genau das erreichen wir bereits mit der Gemeinnützigkeit.
Dass ausgerechnet dieses Prinzip jetzt von der Bundesregierung zur Disposition gestellt wird, ist fatal. Denn eigentlich ist politisches Handeln erforderlich, um gemeinnützigen Einrichtungen und Dienste eine Zukunft zu ermöglichen. Ich habe Hoffnung, dass die Bundesregierung das auch erkennt.
Wir danken Ihnen, Dr. Joß Steinke, für das Interview.