Neue staatlich-zivilgesellschaftliche Kooperation zur kurzfristigen Abhilfe
Durch die geografische Nähe und das Bestehen vielfältiger Verbindungen zur ukrainischen Zivilgesellschaft wurden diverse Evakuierungen von Nichtregierungsorganisationen auf deutscher Seite durchgeführt, die v.a. Menschen mit Pflegebedarf und/oder Behinderungen ihre Hilfe anboten. Angesichts dieser besonderen Fluchtbewegung entwickelten das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein Konzept, welches unteranderem die Einrichtung einer Bundeskontaktstelle vorsah: Eine Informations- und Vermittlungsstelle von stationären Plätzen in Einrichtungen der Pflege und Eingliederungshilfe für Geflüchtete mit entsprechenden Bedarfen.
Gemeinsam mit den Bundesministerien – das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) komplettierte das Bündnis – ist es in enger staatlich-zivilgesellschaftlicher Kooperation gelungen, eine funktionierende ad-hoc Lösung in einer akuten Krise zu finden.
Ein unbürokratisches Konzept in einem bürokratischen System
Die Bundeskontaktstelle lässt sich in der Theorie als eine unbürokratische und bedarfsgerechte Antwort auf die Herausforderungen der Fluchtbewegung aus der Ukraine bezeichnen. Durch den sofortigen Rechtskreiswechsel der registrierten Geflüchteten aus der Ukraine und dem damit verbundenen Zugang zu Sozialleistungen, ist es möglich die Menschen direkt in stationäre Einrichtungen zu vermitteln.
In der Praxis gestaltet sich das Verfahren allerdings nicht immer einfach
Zum einen basiert das gesamte Konzept auf der freiwilligen Meldung von Plätzen durch die Bundesländer. Auch wenn diese Strukturen geschaffen wurden, um die Länder in der Verteilung und Versorgung von Geflüchteten in vulnerabler Lage zu entlasten, sind die Länder nicht verpflichtet, Plätze zu melden. Dabei profitieren die Länder in der Regel von dem Angebot der BKS, indem sie frühzeitig vor Ankunft über die Gruppengröße, ungefähren Bedarfe und den Ziel- bzw. Ankunftsort informiert werden und sich die Erstaufnahmezentren dadurch besser auf die Ankunft der Geflüchteten in Deutschland vorbereiten können. Die Realität zeigt, dass die Menschen aufgrund der freien Einreise nach Deutschland früher oder später sowieso in einem der Erstaufnahmezentren aufschlagen. Die personelle sowie logistische Ausstattung dann aber unter Umständen nicht auf die jeweiligen Bedarfe der Schutzsuchenden ausgerichtet ist.
Hinzu kommen jedoch sehr begrenzte Kapazitäten in den Einrichtungen, hauptsächlich bedingt durch zu dünne Personaldecken. Für die Menschen, die bereits in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung angekommen sind oder sich noch in der Ukraine befinden, bedeutet das teils wochenlanges ausharren, bis Plätze gefunden werden.
Zum anderen stellt die Finanzierung der Einrichtungsplätze immer wieder eine Hürde dar. Zwar werden freie Plätze teils vor Ankunft der Menschen in Deutschland gefunden, die Kostenübernahme kann allerdings erst nach der offiziellen Registrierung der Personen in den Kommunen geklärt werden. In nicht wenigen Fällen bedeutete das für die Einrichtungen, in Vorleistung gehen zu müssen und teils Monate auf die Finanzierung durch die Kostenträger zu warten. In der sowieso schon äußerst angespannten Lage der Einrichtungen angesichts finanzieller und personeller Ressourcenknappheit führte das in der Vergangenheit zu berechtigtem Misstrauen gegenüber diesem Verfahren und letztendlich dazu, dass keine weiteren freien Plätze gemeldet wurden.
All diese Punkte sind Gründe dafür, dass der BKS aktuell nicht genug Plätze gemeldet werden und die BKS dementsprechend nicht ausreichend handlungsfähig ist.
Die Leidtragenden sind die Menschen, die in Deutschland Schutz vor dem Krieg in der Ukraine suchen.
Eine nachhaltige Lösung ist bislang nicht in Sicht
Eines ist klar: Unabhängig des Kriegs in der Ukraine werden auch in Zukunft Menschen mit Pflegebedarf und/oder Behinderungen nach Deutschland kommen – aus der Ukraine ebenso wie aus anderen Herkunftsländern. Dieser Tatsache müssen sich staatliche Stellen und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger stellen. Die Zivilgesellschaft kann – wie bereits in vielen Kontexten zuvor – kurzfristig erste Herausforderungen abfedern und dort unterstützen, wo die Not am größten ist. Das DRK-Generalsekretariat hat im vergangenen Jahr das Mandat für die BKS mit der Prämisse übernommen, dass aus der „ad-hoc-Lösung Bundeskontaktstelle“ verbindliche und nachhaltige staatliche Strukturen geschaffen werden. Dazu zählt neben einer flächendeckenden und systematischen Identifizierung der Bedarfe auch die Entbürokratisierung der Kostenübernahme sowie grundsätzlich eine adäquate Finanzierung der Pflege und Eingliederungshilfe, um Einrichtungsplätze zu schaffen und Fachpersonal zu entlasten. Andernfalls läuft man Gefahr, dass sich zivilgesellschaftliche und soziale Akteurinnen und Akteure aufreiben und letztendlich ihr Engagement einstellen.
Es ist nun an der Zeit, dass diese Strukturen geschaffen werden.
Das DRK unterstützt diesen Prozess mithilfe der Erfahrungen der Bundeskontaktstelle, um zeitnah eine bedarfsgerechte und verlässliche Versorgung aller Hilfesuchenden zu gewährleisten.