Eine Frau am Schreibtisch
Michaela Thurner, Bayerisches Rotes Kreuz

Abschlussbezogene Validierung macht berufliche Kompetenzen sichtbar

Viele Erwerbstätige arbeiten in einem Beruf, den sie nicht durch eine entsprechende Ausbildung erlernt haben. Häufig merkt man ihnen die fehlende Ausbildung kaum oder gar nicht an, denn das notwendige Können und Wissen haben sie sich während ihres Berufslebens erarbeitet. Trotzdem wünschen sich viele Angelernte und Quereinsteiger/innen einen Nachweis über ihre beruflichen Kompetenzen. Hier setzt das BMBF-geförderte Projekt ValiKom Transfer an.

Was ist ValiKom - Transfer

Insgesamt 30 Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern sowie Landwirtschaftskammern bieten ein standardisiertes Validierungsverfahren an, mit dem berufliche Kompetenzen bewertet und zertifiziert werden. Die Kompetenzen der Teilnehmenden werden mit den Anforderungen eines anerkannten Ausbildungsberufs verglichen – dem Referenzberuf. Das Verfahren ist an die EU-Ratsempfehlung zur Validierung non-formal und informell erworbener Kompetenzen angelehnt und umfasst vier Schritte:

Quelle: Eigene Darstellung

An wen richtet sich das Validierungsverfahren?

Teilnehmende müssen mindestens 25 Jahre alt sein, über einschlägige Erfahrung im Referenzberuf verfügen und ausreichende Deutschkenntnisse besitzen, denn das Verfahren wird in deutscher Sprache durchgeführt. Am Ende des Verfahrens erhalten die Teilnehmenden von einer Kammer, die auch für die Abschluss- bzw. Gesellenprüfung zuständig ist, ein Zertifikat, das zeigt, in welchem Umfang sie die Anforderungen des gewählten Berufs erfüllen.

Alle Interessierten erhalten zu Beginn ein Beratungsgespräch, in dem geklärt wird, ob das Validierungsverfahren zu ihren Zielen passt, sie die Voraussetzungen erfüllen und welcher Beruf als Referenzberuf geeignet sein könnte.

Weil die berufliche Entwicklung häufig nicht in Bahnen verläuft

Auch Michaela Thurner, die 2017 eine der ersten Teilnehmenden war, startete mit einem Beratungsgespräch bei der IHK für München und Oberbayern in das Verfahren. Direkt im Anschluss entschied sie sich spontan für die Teilnahme. Den passenden Referenzberuf zu finden war nicht schwer, denn Michaela Thurner übernahm seit vielen Jahren die Aufgaben einer Kauffrau für Büromanagement beim Kreisverband Erding im Bayerischen Roten Kreuz (BRK).

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon eine vielfältige berufliche Laufbahn hinter sich. Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin. In diesem Beruf war sie mehrere Jahre tätig, musste ihn allerdings aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Eine Alternative war jedoch schnell gefunden. „Schon in der Schule haben mir die naturwissenschaftlichen Fächer immer Spaß gemacht“, sagt sie. Daher fiel ihre Wahl auf die Ausbildung zur Milchwirtschaftlichen Laborantin.  Auch an diesem Beruf hatte sie mehrere Jahre Freude, doch nach der Geburt ihres Sohnes suchte sie nach einer Position ohne Schichtarbeit. Mit einem 450-Euro Job begann sie schließlich ihre Tätigkeit beim BRK-Kreisverband Erding. Nach und nach weitete sich ihr Aufgabengebiet aus. Sie war unter anderem in der Fördermitgliederverwaltung tätig und nach einer entsprechenden Fortbildung acht Jahre lang Qualitätsmanagement-Beauftragte.

Die erworbenen Kompetenzen anerkennen lassen

Michaela Thurner dokumentierte ihre beruflichen Stationen im Rahmen des Validierungsverfahrens in einem Lebenslauf. Zusätzlich füllte sie einen vorstrukturierten Selbsteinschätzungsbogen für den Beruf Kauffrau für Büromanagement aus. Darin werden für jeden einzelnen Tätigkeitsbereich des Berufes Erfahrungen und Kompetenzen angegeben. Dann reichte sie ihre Unterlagen bei der IHK für München und Oberbayern ein.  

Nach der Dokumentation liegt das Herzstück des Verfahrens vor den Teilnehmenden: die Bewertung. Hier zeigen sie vor Berufsexpertinnen und -experten ihr Können und Wissen. Doch bevor sie sich der Bewertung stellen, lernen sie in einem persönlichen Gespräch die Person kennen, die die Bewertung vornimmt. Ein gemeinsamer Blick auf die Selbsteinschätzung ist ebenso Bestandteil des Gesprächs wie Informationen zum Ablauf der Bewertung. Nach dem Gespräch legen die Teilnehmenden final fest, in welchen Tätigkeitsbereichen des Berufs sie ihre Kompetenzen bewerten lassen möchten.

Michaela Thurner bereitete sich besonders motiviert auf dieses Kennenlernen vor. Sie setzte sich mit der Ausbildungsordnung auseinander und erarbeitete eine Präsentation, in der sie zeigte, wie sie die Inhalte der Ausbildung in ihrer täglichen Arbeit umsetzte. Nach dem Gespräch entschied sie sich für eine Kompetenzbewertung in allen Tätigkeitsfeldern. Am Tag der Bewertung erhielt sie mehrere Aufgaben und zeigte die gesamte Bandbreite ihres Könnens. Auch wenn die Fragen zur Buchhaltung ihr etwas schwerer fielen, meisterte sie alle Aufgaben und erhielt ein Zertifikat, das ihr umfangreiches Können im Beruf Kauffrau für Büromanagement bestätigt.

Michaela Thurner arbeitet auch heute noch beim BRK-Kreisverband Erding und blickt gerne auf das Validierungsverfahren zurück. Ihr Fazit ist eindeutig: „Für mich war der ganze Rahmen wunderbar!“

Validierung als Ergänzung zum System der formalen Berufsausbildung

Seit Michaela Thurner das Validierungsverfahren absolviert hat, hat sich viel getan. Mittlerweile haben im Rahmen von ValiKom und ValiKom Transfer 1214 Personen am Validierungsverfahren teilgenommen (Stand 31.07.2021). Von den rund 30 zur Wahl stehenden Referenzberufen wurden am häufigsten Verfahren in den Berufen Kaufmann/frau für Büromanagement (214), Friseur/in (113), Fachlagerist/in (98) und Maschinen- und Anlagenführer/in (92) durchgeführt. 642 Teilnehmende haben gezeigt, dass sie alle Bereiche des jeweiligen Referenzberufs beherrschen, 546 Teilnehmende besaßen Kompetenzen in einem oder mehreren Berufsbereichen. 26 Personen erhielten kein Zertifikat, weil ihre Fähigkeiten nicht ausreichend waren.

Quelle: Eigene Darstellung

Das Projekt ValiKom Transfer soll bis Oktober 2024 verlängert werden. Interessierte können sich auf der Projektwebseite über das Verfahren informieren oder direkt die zuständigen Mitarbeiter/innen der Projektkammern kontaktieren.

Gastbeitrag: Ricarda Spallek, Westdeutscher Handwerkskammertag