Der Koalitionsvertrag aus Sicht der DRK Wohlfahrtspflege


Das DRK begrüßt Ansätze des Koalitionsvertrags, kritisiert aber die staatszentrierte Perspektive. Es fordert Entbürokratisierung, Stärkung gemeinnütziger Träger und verlässliche Finanzierung in Pflege, Migration, Gesundheit und Jugendhilfe.
Staatsmodernisierung, Entbürokratisierung und Gemeinnützigkeit 

Das will das DRK 

Das DRK spricht sich seit langem für echte Entbürokratisierung im sozialen Sektor aus. Die Pflege kann beispielhaft genannt werden. Echte Entlastung durch Reduzierung von Dokumentationen und Prozessen sind unabdingbar. Ein aktueller Brennpunkt demonstriert, wie sehr Bundesprogramme in der Bürokratiefalle stecken und zeigt Wege auf, über welche Reformschritte nachgedacht werden müsste. Schließlich muss auch das gesamte Zusammenwirken zwischen Staat, Markt und Gesellschaft auf den Prüfstand gestellt werden. Leistungsverträge, Vergabeverfahren und kleinteilige Kontrollprozesse sind nicht mehr tragfähig – und konterkarieren immer mehr das Subsidiaritätsprinzip. In diesem Zusammenhang ist auch die vom DRK geforderte Vorrangstellung für Gemeinnützige wichtig. Wird der bisherige Weg, der häufig ins Sozialdumping führt weiter beschritten, dann wird ein Rückbau der sozialen Dienste und Leistungen unausweichlich sein. 

Das sagt der Koalitionsvertrag 

Prozesse in Behörden und Verwaltung sollen überprüft werden. Aufgabenkritik, auch auf kommunaler Ebene, kommt auf die Agenda. Wie an vielen Stellen im Koalitionsvertrag sind allein staatliche Strukturen im Blick. Auswirkungen auf Dritte wie zum Beispiel die Träger der Freien Wohlfahrtspflege sind im Koalitionsvertrag nicht mitgedacht. Subsidiarität kommt in diesem Zusammenhang nicht vor.  

Das Zuwendungsrecht soll jedoch verschlankt werden. Geplant ist auch eine Reform der Bundeshaushaltsordnung (BHO). Beides ist sehr zu begrüßen. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass nicht nur das Förderwesen zwischen staatlichen Ebenen im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit vereinfacht wird wie im Koalitionsvertrag dargelegt. Ebenso zentral ist eine  Verschlankung für Zuwendungen nach der BHO, die an nicht-staatliche Organisationen gezahlt werden.  

Gemeinnützigkeit nimmt durchaus viel Raum im Koalitionsvertrag ein. Explizit wird auf die Bedeutung gemeinnütziger Organisationen, engagierter Vereine und zivilgesellschaftlicher Akteure als zentrale Säulen der Gesellschaft verwiesen. Die Wohngemeinnützigkeit soll mit Investitionszuschüssen hinterlegt werden. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird vereinfacht. Offenbar ist den Koalitionsparteien die Bedeutung gemeinnütziger Strukturen bewusst. Vielleicht sind Schritte in Richtung Vorrangstellung denkbar. 

Ehrenamt, Engagement und Freiwilligendienste 

Das will das DRK 

Das DRK hat Eckpunkte einer Ehrenamtsstrategie in einem Brennpunkt klar beschrieben. Zentral ist die Umsetzung der Helfergleichstellung und die Unterstützung und Förderung von Ehrenamtskoordination. Für ein breites Engagement von jungen Menschen hat das DRK ein Jahr für die Gesellschaft gefordert: Alle jungen Menschen werden angeschrieben und erhalten eine (digitale) Peer-to-Peer-Beratung zu zivilgesellschaftlichen Engagementmöglichkeiten. Diejenigen, die sich für ein Jahr einbringen, werden nach einheitlichen Standards anerkannt und bekommen ein Freiwilligendienstgeld angelehnt an den BAföG-Satz. 

Das sagt der Koalitionsvertrag 

Der Koalitionsvertrag betont die Wichtigkeit des Ehrenamts für die Gesellschaft und hebt dabei die „Blaulicht-Familie" besonders hervor. Es soll ein „Zukunftspakt Ehrenamt” geschaffen werden, um die Attraktivität und Anerkennung zu steigern. Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale sollen erhöht werden. Durch ein eigenes Staatsministeramt für Ehrenamt und Sport im Bundeskanzleramt wird diesem Bereich mehr Bedeutung zugemessen.  

Helfergleichstellung taucht ebenso wenig im Koalitionsvertrag auf wie eine strukturelle Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen.  

Problematisch ist die ansonsten immer noch durchscheinende staatszentrierte Ausrichtung der Ehrenamtsförderung. Statt die Zivilgesellschaft zu stärken, fokussiert sich der Koalitionsvertrag an entscheidender Stelle auf staatliche Institutionen wie die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt.  

Gut ist, dass die Finanzierung und Anzahl der Plätze in den Freiwilligendiensten gesichert werden sollen. Misslich ist, dass die Anbindung der Freiwilligendienste an das Wehrdienstkonzept fehlt. Letzteres beruht auf dem Schwedischen Modell und geht von einer Erfassung Aller aus. Eine Integration von Wehr- und Freiwilligendienst wäre vergleichsweise einfach und hätte großen Nutzen. 

Pflege

 Das will das DRK 

Das DRK will eine gesicherte Finanzierung und Umsetzung des Sockel-Spitze-Tauschs, mehr Kompetenzen und mehr Vertrauen für die Pflegekräfte und eine Vorbereitung neuer Pflegekonzepte unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Letzteres ist notwendig, weil eine Versorgung ansonsten angesichts demografischer Veränderungen nicht möglich sein wird. 

Das sagt der Koalitionsvertrag 

Es werden tiefgreifende strukturelle Reformen angekündigt, jedoch ohne weitere Konkretisierung der Vorhaben. Es soll eine Expertenkommission gemeinsam mit den Sozialpartnern eingesetzt werden, um die Beiträge zu stabilisieren. Der Sockel-Spitze-Tausch bleibt unerwähnt. Eine umfassende Pflegereform soll durch eine Bund-Länder-Kommission vorbereitet werden. 

Die laut Koalitionsvertrag beabsichtigte Weiterarbeit an den bestehenden Entwürfen zur Pflegekompetenz, Pflegeassistenz und zur Einführung der „Advanced Practice Nurse“ Gesetze ist grundsätzlich positiv hervorzuheben. Zur Entlastung der Einrichtungen und Dienste der Langzeitpflege sind die Verschränkung der Kontroll- und Prüfinstanzen des Medizinischen Dienstes und der Heimaufsichten und die Ermöglichung der KI-unterstützten Behandlungs- und Pflegedokumentation ausdrücklich zu begrüßen. Hierfür benötigen die Einrichtungen und Dienste der Langzeitpflege allerdings eine  Anschubfinanzierung und einen Kostenausgleich in der Regelfinanzierung.   

Der Koalitionsvertrag fordert mehr Unterstützung für pflegende Angehörige sowie eine Stärkung der sektorübergreifenden pflegerischen Versorgung, jedoch fehlen der Operationalisierungs- sowie Finanzierungsansatz.  

Gesundheit 

Das will das DRK 

Es braucht eine bessere Finanzierung der Krankenhäuser und eine Überarbeitung der Krankenhausreform. Eine zukunftsgerichtete gesundheitliche Versorgung setzt auf mehr Prävention und Empowerment und institutionelle Formen wie Versorgungszentren, Gesundheitskioske oder Gesundheitsregionen. Multiprofessionelle Teams und neue Settings sind zentral, um Gesundheit auch morgen zu ermöglichen. 

Das sagt der Koalitionsvertrag 

Die Krankenhäuser bekommen Geld, um die Kostenlücke aus den Jahren 2022 und 2023 zu schließen. Wichtig ist die angekündigte Überarbeitung der Krankenhausreform. Es bleibt zu hoffen, dass die Hinweise und Einwände aus der Krankenhauslandschaft selbst dabei mehr Gehör finden als in der abgelaufenen Legislaturperiode.  

Grundsätzlich ist die Erwähnung der Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention positiv zu bewerten, wenn auch die Ausführungen allgemein und unkonkret sind. Apotheken erhalten eine zentrale Rolle, die vom DRK geforderten Settings werden nicht erwähnt.  

Insgesamt liegt der Fokus offenbar weiter auf medizinischer Versorgung und weniger auf Gesundheitsfürsorge und Empowerment. Insofern sind einzelne Elemente des vorgeschlagenen Primärarztsystems zwar einerseits zu begrüßen, denn das deutsche Gesundheitssystem braucht dringend mehr Steuerung, jedoch würde damit andererseits auch die Manifestierung einer monodisziplinären Primärversorgung und eines versäulten Gesundheitssystems einhergehen. 

Kinder, Jugend und Familie 

Das will das DRK 

Die Kita-Qualitätsentwicklung sollte weiter betrieben werden. Der Weg einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ist weiter zu verfolgen. Wichtig ist die Ausstattung der Einrichtungen und Dienste mit investiven Mitteln, etwa zum klimagerechten Umbau oder zur Klimaanpassung. 

Das sagt der Koalitionsvertrag 

Ein Kita-Qualitätsentwicklungsgesetz mit Integration von Sprach-Kitas und Startchancen-Kitas begrüßt das DRK ebenso wie die geplante Nutzung der Mittel des Sondervermögens für Infrastruktur für den Neubau, Ausbau und die Sanierung von Kitas und Krippen.  

Die Ausführungen zur inklusiven Kinder- und Jugendhilfe lassen sehr viele Fragen offen. Einer Erarbeitung von Lösungen allein mit Ländern und Kommunen sehen wir skeptisch entgegen.  

Die Entwicklung einer Strategie zur Stärkung der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist zu begrüßen. Hier ist zwingend das DRK-Programm RealTalk in den Blick zu nehmen. Richtig ist die geplante Stärkung des Kinder- und Jugendschutzes und die geplante Einführung einer Strategie „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt”. 

Migration und Integration

Das will das DRK 

Das DRK plädiert für einen Ausbau von integrationsfördernden Programmen, insbesondere der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) und setzt sich für menschenwürdige Rahmenbedingungen für Geflüchtete ein.  

Das sagt der Koalitionsvertrag 

Die geplante auskömmliche Finanzierung der MBE sowie der Ausbau der Integrationsmaßnahmen in verschiedenen Bereichen ist etwas Gutes und zwingend erforderlich für ein gesundes  gesellschaftliches Zusammenleben. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass viele der ansonsten im Bereich Migration genannten Punkte auch negative Auswirkungen haben können, und es bleibt abzuwarten, ob es gelingen wird, hier eine Strategie zu finden, die im Sinne der Menschlichkeit ist. 

Bei der Ausgestaltung einer verpflichtenden Integrationsvereinbarung ist etwa darauf zu achten, dass sie einen sozialpädagogischen Ansatz verfolgt (wie bereits in der Migrationsberatung MBE praktiziert) und nicht einseitig mit Sanktionen arbeitet. Sie sollte nicht durch Behörden umgesetzt werden. Dann kann sie eine Chance sein.  

Als kritisch betrachtet das DRK jene Vorhaben, die die individuelle Prüfung und Betrachtung eines Schutzgesuches gefährden oder etablierte Programme legaler  Zugangswege für besonders Schutzbedürftige abschaffen. Die Abschaffung freiwilliger Aufnahmeprogramme trifft die schutzbedürftigsten Menschen am stärksten. Das DRK tritt grundsätzlich dafür ein, dass legale und sichere Zugangswege nach Deutschland und Europa ausgebaut werden sollten.  

Das DRK fordert faire, individuelle und menschenwürdige Asylverfahren im Einklang mit internationalen Standards. Das DRK setzt sich für gerechte und effiziente Asylverfahren ein, in denen Schutzsuchende ihre individuellen Fluchtgründe unabhängig von ihrer Nationalität umfassend darlegen können.  Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Grenzkontrollen dürfen nicht dazu führen, dass Schutzsuchende unter Zwang zurückgewiesen und ihres Rechts auf individuellen Schutzanspruch beraubt werden. Menschlichkeit und Solidarität müssen im Mittelpunkt stehen. Das DRK lehnt eine Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ab und wird sich weiterhin für das Grundrecht auf Familienleben einsetzen. 

Gesamtbewertung aus Sicht der Wohlfahrtspflege 

Insgesamt sind an vielen Stellen im Koalitionsvertrag wichtige Vorhaben benannt. Ein Bezug zu gemeinnützigen Strukturen sowie zu Ehrenamt und Engagement scheint gegeben zu sein – wichtige Anknüpfungspunkte für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung. 

Gleichzeitig  scheint immer wieder eine staatszentrierte Sicht durch, die bedenklich ist. Dass man bei Staatsmodernisierung nicht auch die subsidiär erbrachten Leistungen gleich mitbedenkt, ist dafür ein Beispiel. Dasselbe gilt für den Umstand, dass man bei Ehrenamt zuvorderst an die staatseigene Stiftung denkt. Und schließlich werden auch die Investitionsbedarfe der frei-gemeinnützigen Träger, zum Beispiel bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit, nicht ausdrücklich mitbedacht.  

An einer Stelle wird die Wohlfahrtspflege positiv erwähnt. Darauf bauen wir auf. 

Mann im Anzug vor DRK Logo

Dr. Joß Steinke

Als Bereichsleitung der Jugend und Wohlfahrtspflege im DRK-Generalsekretariat ist Joß Steinke unter anderem für die programmatische und organisatorische Ausrichtung des Wohlfahrtsbereichs zuständig und wirkt an der verbandsinternen Strategieentwicklung mit. Das Thema der Gemeinnützigkeit ist dabei einer seiner persönlichen Fokuspunkte.

E-Mail: wohlfahrt(at)drk.de
LinkedIn: www.linkedin.com/in/dr-joss-steinke