© DRK

Wege zu einem resilienten Pflegesystem: Eindrücke vom Wohlfahrtskongress 2022

Großschadenslagen und Katastrophen wie die Covid-19-Pandemie oder das Hochwasser 2021 stellen betroffene Einrichtungen der Langzeitpflege und ambulante Dienste vor enorme Herausforderungen. Das Forum „Im Dialog: Wege zu einem resilienten Pflegesystem“ stellte sich der Frage: Wie kann der Gesundheits- und Pflegebereich resilienter mit Blick auf Großschadenslagen und Katastrophen werden?

 

Die Frage, wie der Gesundheits- und Pflegebereich widerstandsfähiger bzw. resilienter werden kann, beschäftigte mich als Mitarbeitende des DRK schon länger und ist nun aktueller denn je: Mit Blick auf den voranschreitenden Klimawandel muss man davon ausgehen, dass Großschadenslagen und Katastrophen, wie auch Starkregen, Stürme oder Hochwasser in Zukunft zunehmen werden. Kaskadeneffekte, wie Stromausfälle oder sonstige Beeinträchtigungen der Kritischen Infrastruktur folgen.  

Herausforderung für stationäre Langzeitpflege und ambulante Pflegediente 

Einrichtungen der stationären Langzeitpflege und ambulante Pflegedienste müssen in solchen Lagen die Versorgung ihrer pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohner bzw. ihrer Kundinnen und Kunden sicherstellen, auch wenn die Einrichtungen selbst betroffen sind, wenn zum Beispiel Personal ausfällt.  

Menschen mit Pflegebedarf oft besonders verletzlich 

Zudem sind Menschen mit Pflegebedarf in Großschadenslagen oft besonders verletzlich. Fällt zum Beispiel der Strom längere Zeit aus, kann dies für Menschen, die auf medizinische, strombetriebene Geräte angewiesen sind, schnell gefährlich werden. 

Bisher keine ausreichende Vorbereitung auf Großschadensereignisse oder Katastrophen 

Aus Einsatzerfahrungen von Katastrophenschützerinnen und Katastrophenschützern weiß ich, dass Pflegeeinrichtungen und ambulante Dienste in der Regel bisher jedoch nicht ausreichend auf Großschadensereignisse oder Katastrophen vorbereitet sind. Größere Stromausfälle oder ungeplanten Evakuierungen zum Beispiel stellen sie vor enorme Herausforderungen. Zudem können Einsatzkräfte aus dem Katastrophenschutz nicht sofort überall sein, um zu unterstützen. Es kommt also darauf an, dass Einrichtungen der Langzeitpflege und ambulante Pflegedienste sich auf solche Ereignisse vorbereiten, um möglichst lange die pflegerische Versorgung aufrechterhalten zu können.  

 

Aber wie kann Widerstands- und Durchhaltefähigkeit gestärkt werden?  

Zunächst ging es im Panel um die Frage, ob aus den Erfahrungen der Covid-19-Pandemie gelernt wurde. Denn nicht selten werden wichtige Erkenntnisse nach einem Großschadenereignis im Alltagsgeschehen mehr oder weniger “vergessen”, im Katastrophenschutz wird dann manchmal von einer “Katastrophendemenz” gesprochen.   

 

“In der Summe ist infolge der Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie zwar noch kein resilientes Pflegesystem entstanden, die Pandemie hat jedoch ein kollektives Lernen angestoßen.” 

Benjamin Fehrecke-Harpke 

 

Haben wir aus der Pandemie gelernt?  

Doch die Covid-19-Pandemie scheint zumindest teilweise zu einigen wichtigen Änderungen geführt zu haben. So wurde zum Beispiel ab dem Sommer 2020 mit dem Aufbau der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz begonnen, mit der auf den anfänglichen Mangel an medizinischen Verbrauchgütern in der Pandemie reagiert wurde. 

Auch wurden rechtliche Vorgaben geändert:  Im Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) bzw. den neuen Maßstäben und Grundsätzen für die Qualität in der vollstationären Pflege werden zu ergreifende Krisenmaßnahmen angeführt mit Blick auf anhaltende Stromausfälle, Bombenfunde und Naturkatastrophen. Träger der vollstationären Pflegeeinrichtung müssen demnach entsprechend in Absprache mit den lokalen Gefahrenabwehr- und Gesundheitsbehörden Krisenkonzepte vorhalten. Herr Fehrecke-Harpke vom DRK-Hauptaufgabenfeld Altenhilfe wies darauf hin, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hierfür Handlungsempfehlungen für die Langzeitpflege erarbeiten wird. Allerdings fehlten den Einrichtungen bisher Ressourcen für eine ausreichende Krisenvorsorge, die materielle, personelle und organisatorische Veränderungen erforderlich machen würde. 

 

Was wird benötigt, um Großschadenslagen besser zu bewältigen?  

Es gibt also eine rechtliche Vorgabe, dass Pflegeeinrichtungen sich auf Krisen und Katastrophen vorbereiten müssen. Doch was genau bedeutet das? Ist ein schnell erstellter Krisenplan ausreichend, der dann zwar nachgewiesen werden kann, aber der im schlechtesten Fall in einer Schublade landet? An welchen Stellschrauben muss noch gedreht werden, damit Einrichtungen der Langzeitpflege resilienter in Katastrophen werden?  

Mehr Qualifikation und anwendbares Wissen: Beispiele aus der Praxis 

Hier fand ich die Praxiserfahrungen von Oberin Tatjana Richter von der Schwesternschaft Wallmenich-Haus vom BRK e.V.  sehr anschaulich. Sie betonte, dass gut geschultes Personal zur Krisenbewältigung wichtig sei und dass in einer Krise schnell organisatorische Vorkehrungen getroffen werden müssten. In ihrer Tätigkeit als Leiterin einer Einrichtung hatte sie zu Beginn der Pandemie einen eigenen Krisenstab eingerichtet und eine Hygienebeauftragte aus dem Krankenhaus angestellt als direkte Ansprechperson für die Pflegebeschäftigten. In der Folge erkrankten nur wenige Mitarbeitende an Covid 19, und es musste keine Zeitarbeit zur Überbrückung für ausgefallene Mitarbeitende genutzt werden. Dank der Hygienebeauftragten musste über zwei Monate keiner der Bewohnerinnen und Bewohner ins Krankenhaus aufgrund einer Infektion eingewiesen werden. Zwar gab es einige wenige erkrankte Bewohnerinnen und Bewohner, weitere Ansteckungen konnten jedoch vermieden werden.  Demgegenüber berichtete Frau Oberin Richter von einer anderen Einrichtung ohne Hygienebeauftrage, in der es eine sehr hohe Anzahl von Infizierten und vergleichsweise viele Todesfälle gab.  

Kompetenzerweiterung für eine Steigerung der Resilienz wurde auch von Christian Hener vom DRK Hauptaufgabenfeld Altenhilfe betont. Er verwies auf das Pflegen in Krisen und Katastrophen (Disaster Nursing) und entsprechend qualifizierte Pflegepersonen in anderen Ländern. Hiervon könnten wir in Deutschland seiner Einschätzung zufolge auch viel lernen. Dem würde ich sofort zustimmen. Es gibt viele anregende Praxisbeispiele aus anderen Ländern, wie die Resilienz im Pflegebereich erhöht werden kann. 

Auch Frau Dr. Lange (Unterabteilungsleiterin) vom Bundesgesundheitsministerium hatte den Aspekt der Qualifikation und Kompetenz zur Resilienzsteigerung in ihrem spannenden Vortrag hervorgehoben. Sie zitierte aus der Forschung die Erkenntnis, dass es einer disaster literacy im Gesundheits- und Pflegebereich bedarf, also der Fähigkeit, Informationen zu Krisen und Katastrophen zu verstehen und anzuwenden.  

Dieser Aspekt scheint mir besonders relevant zu sein. Denn Wissen alleine genügt nicht, man muss es auch praktisch anwenden können. Aber was könnte dies für die praktische Umsetzung bedeuten? Wären zum Beispiel Schulungen für Pflegemitarbeitende sinnvoll, in denen Grundlagen zum Katastrophenschutz und zur Pflege in Krisen und Katastrophen vermittelt werden? Und sollte dieses neu gewonnene Wissen durch Übungen gefestigt werden? In diese Richtung weiterzudenken, dürfte sich auf jeden Fall lohnen.  

…..und Zusammenarbeit auf allen Ebenen  

Neben Qualifikationen und anwendbarem Wissen kommt es aber auch auf eine engere Zusammenarbeit auf allen Ebenen an. Denn Einrichtungen der stationären und ambulanten Langzeitpflege benötigen in solche Schadenslagen Unterstützung. Benedict Heidgen vom DRK-Team Sicherheitsforschung verwies darauf, dass auch soziale Dienstleister bei einer Vernetzung im Sozialraum mitgedacht werden sollten. Aber wer könnte die Vernetzung aktiv vorantreiben und wer sollte konkret angesprochen werden? Wie könnte eine Zusammenarbeit praktisch aussehen und wie könnte sie gefördert werden? Hier war der Vorschlag von Frau Dr. Lange bemerkenswert. Für tragfähige Lösungen plädierte sie mit Blick auf Krisen und Katastrophen für eine Zusammenarbeit des Bundesgesundheitsministeriums mit anderen Akteuren auch über Ressortgrenzen hinweg. 

Diesen Ball griff Nadine Szepan vom AOK-Bundesverband mit einem konkreten und überaus interessanten Vorschlag auf.  Ihrer Einschätzung nach gäbe es bisher kaum Vernetzungsaktivitäten, auch weil damit ein zusätzlicher Personalaufwand für Einrichtungen verbunden sei. Zusammenarbeit und Vernetzung seien jedoch wichtig, um gemeinsam Krisen und Katastrophen besser bewältigen zu können.  

Frau Szepan regte an, dass das Bundesgesundheitsministerium entsprechende Impulse in die Bund-Länder-AG gibt und alle relevanten Akteure auf der Bundesebene an einen Tisch bringen könnte. Hier könnte ein Auftrag an die regionalen Pflegekonferenzen in den Bundesländern formuliert werden, auch die Hilfsorganisationen einzuladen, die im Zivil- und Katastrophenschutz mitwirken. So könnte auf regionaler Ebene ein Austausch über organisationsindividuellen Bedarfslagen und Möglichkeiten zur Schadensbewältigung erfolgen. Was mir an diesem Vorschlag so gefällt ist, dass er das Erfordernis der Krisenvorbereitung und Zusammenarbeit deutlich macht und dass mit der vorgeschlagenen Vorgehensweise eine große Reichweite erzielt werden kann. 

Zusammenfassend

Es kommt also darauf an, dass im Pflegebereich mehr Informationen und anwendbares Wissen zu Krisen- und Katastrophenbewältigung erforderlich ist und es eine stärkere Zusammenarbeit und Vernetzung auf allen Ebenen geben muss. Ziemlich dicke Bretter, die gebohrt werden müssen, aber mit Blick auf den Klimawandel und die immer häufiger auftretenden Schadenslagen aus meiner Sicht unerlässlich!   

 

Das könnte Sie auch interessieren