Die Kompromissfindung war nicht einfach: Nach viertägigen Beratungen einigten sich im Juli letzten Jahres die 27 Regierungschefs des Europäischen Rats auf das größte Finanzinstrument in der Geschichte der Europäischen Union. Der EU-Wiederaufbaufonds soll mit Finanzhilfen in einem Umfang von 750 Milliarden Euro die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abfangen und Investitionen in Wirtschaft und Gesellschaft ermöglichen. Ein Ergebnis der langen Verhandlungen: 672,5 Mrd. Euro gehen direkt an die Mitgliedsstaaten. Diese müssen bis April ihre Pläne vorlegen, wofür sie die Mittel verwenden wollen.
Die Bundesregierung hat nun den Entwurf zu ihrem nationalen Umsetzungsplan, dem Deutschen Aufbau- und Resilienzplan (DARP) vorgelegt. In diesem führt sie einen umfassenden Maßnahmenkatalog auf, der mit den EU-Hilfen finanziert werden soll. Auf den ersten Blick werden wichtige Schwerpunkte gesetzt, wie die Stärkung der sozialen Teilhabe oder Investitionen in ein pandemieresilientes Gesundheitssystem. Bei näherer Betrachtung wird ein Ungleichgewicht in der Verteilung der Gelder offenbar. Gut die Hälfte der Mittel fließt in die Wirtschaft, für die Stärkung der sozialen Teilhabe werden 4,7 % verbucht, für die Stärkung eines pandemieresilienten Gesundheitswesen 15,4 %. Zudem fällt auf, dass viele der aufgeführten Maßnahmen bereits aus dem Bundeshaushalt bekannt sind und laufende oder beschlossene Programme nun unter dem DARP aufgeführt werden.
Die Europäische Verordnung formuliert sehr klare soziale Zielsetzungen für den Wiederaufbauplan, wie Investitionen in den sozialen Zusammenhalt, die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, sowie die Stärkung der Teilhabe von benachteiligten Gruppen. Diese wichtigen Vorgaben werden durch die aufgeführten Maßnahmen nur unzureichend adressiert. Eine Einbindung der Freien Wohlfahrtspflege, die einen direkten Zugang zu den benannten Gruppen hat, ist nicht vorgesehen. In seiner Stellungnahme hebt das DRK daher die Bedeutung sozialgemeinnütziger Akteure hervor, die einen essentiellen Beitrag dazu leisten, die sozialen Auswirkungen der Pandemie zu adressieren und die Teilhabe von benachteiligten Personen zu stärken.
Verbesserte Teilhabe durch Stärkung der sozialen Angebote
Die Covid-19-Pandemie trifft Menschen, die sich in prekären Beschäftigungs- und Lebenssituationen befinden besonders schwer. Der bereits gestiegene Bedarf an Unterstützungsleistungen wird durch die mittel- und langfristigen Wirkungen der Pandemie noch weiter zunehmen. Neben besonders vulnerablen Gruppen wird durch den Wegfall von Einkommen oder gesundheitliche Problemlagen, die Zahl derjenigen, die zusätzliche Unterstützung benötigen, weiter ansteigen. Die geplanten Maßnahmen decken diese Problemlage nur unzureichend ab. Es braucht hier die Angebote und Dienstleitungen der Freien Wohlfahrtspflege, die Menschen in prekären Lebenslagen zielgerichtet Unterstützung bieten können. Der Ausbau an Beratungs- und Unterstützungsangeboten wie beispielsweise der Schuldner- und Insolvenzberatung ist eine Maßnahme, um dieser Situation konkret zu begegnen.
Es fehlen Investitionszusagen in die soziale Infrastruktur, die im Sinne der angestrebten Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes und Resilienz eine verbesserte Prävention und Krisenreaktionsfähigkeit ermöglichen.
Teilhabe an der Digitalisierung für alle Menschen ermöglichen
Neben dem privaten und öffentlichen Sektor, sind auch im sozial gemeinnützigen Bereich Investitionen in digitale Infrastruktur und die Ausbildung digitaler Kompetenzen dringend notwendig. Nur so kann eine Teilhabe aller Menschen an der Digitalisierung ermöglicht werden.
Es ist begrüßenswert, dass die Digitalisierung der Bildung in den Umsetzungsplänen der Bundesregierung einen Schwerpunkt bildet, da die Pandemie die schwerwiegenden Versäumnisse in diesem Bereich offengelegt hat. Zielsetzungen sind hier gerechtere Bildungschancen und eine verbesserte soziale Teilhabe. Diese sind jedoch nicht zu erreichen, wenn man die Maßnahmen nur auf den formalen Bildungssektor beschränkt. Es braucht hier die Einbindung der frühkindlichen Bildung, der Jugend- und Sozialarbeit, sowie den Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung und der Erwachsenenbildung. Der Bedarf an digitaler Infrastruktur besteht in diesen Arbeitsfeldern ebenso wie in allgemeinbildenden Schulen.
Da Investitionen in die Digitalisierung der Bildung bereits ohne die Mittel des EU-Wiederaufbaufonds geplant waren, können die zusätzlichen Mittel eingesetzt werden, um eine bessere soziale Teilhabe an der Digitalisierung zu erreichen.
Ein resilientes und inklusives Gesundheitssystem
Im Bereich der Gesundheit wird mit einer besseren personellen und technischen Ausstattung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes an der richtigen Stelle angesetzt. Doch um die Öffentlichen Gesundheitsdienste effizienter und zugänglicher zu machen, ist eine Erweiterung und Anpassung ihrer Angebotsstruktur notwendig, um insbesondere vulnerable Gruppen, wie Wohnungslose und Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität zu erreichen. Auch die Erweiterung der Kompetenzen bei den Pflegeberufen kann die bedarfsgerechte Versorgung von hochexponierten Bevölkerungsgruppen, wie chronisch kranke oder pflegebedürftige Menschen, verbessern.
Pflegepersonal kann durch eine entsprechende Mandatierung in der Krisen- und Katastrophenbewältigung zum Einsatz kommen und so die Krisenfestigkeit der Gesundheitsversorgung stärken. Es braucht Trainingsangebote und Schulungen zur Krisen- und Katastrophenprävention, nicht nur für Gesundheits- und Pflegepersonal, sondern auch für die Bevölkerung. Darüber hinaus muss die Krisenfestigkeit mit entsprechenden Investitionen in die gesundheitliche Infrastruktur auf organisatorischer, logistischer und baulicher Ebene gestärkt werden.
Die vollständige Stellungnahme zum Deutschen Aufbau- und Resilienzplan finden Sie hier.
Den vollständigen Deutschen Aufbau- und Resilienzplan finden Sie hier.