Startschuss für eine Neuausrichtung der Diversitätsentwicklung im DRK
Diversität ist ein wichtiges Zukunftsthema im DRK. Zuletzt wurde in einem Forum des DRK-Wohlfahrtskongresses 2019 intensiv über Strategien zur Diversitätsentwicklung diskutiert. Schnell wurde klar: Man kann auf eine Vielzahl positiver Maßnahmen zurückblicken, aber der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Auch in der Strategie 2030 wird Diversität thematisch verankert sein, so dass Orts-, Kreis- und Landesverbände sowie der Bundesverband zukünftig ihre eigenen Maßnahmen zur Umsetzung von Diversität ableiten können.
Eine zeitgemäße Diversitätsentwicklung baut einerseits auf den Erfolgen zur Interkulturellen Öffnung im Verband auf. Andererseits erweitert sie die bisherige Ausrichtung auf die Dimension der nationalen Herkunft und des Migrationserbes. Indem die Interkulturelle Öffnung vor allem auf Personengruppen abzielt, denen eine vermeintlich “andere Kultur” zugeschrieben wird, werden weitere Diversitätsdimensionen übergangen. Differenzen werden auf kulturelle Unterschiede, anstatt auf privilegierte und nicht-privilegierte Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft zurückgeführt. Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung hingegen nimmt die Organisationen selbst, ihre Attraktivität und ihr Inklusionspotential für diverse Zielgruppen in den Blick. Sie zielt auf einen Prozess kritischer Selbstreflexion zum Thema Diversität ab.
Doch was ist Diversität eigentlich und was bedeutet ein diversitätsorientiertes Engagement für das DRK?
Sind denn nicht alle Menschen divers?
Diese Frage taucht häufig auf, wenn es um Diversität geht. Sie muss mit einem klaren JEIN beantwortet werden. Denn obwohl alle Menschen unterschiedliche Identitätsbezüge und Lebenswirklichkeiten aufweisen können, werden nicht alle Dimensionen in unserer Gesellschaft gleichwertig anerkannt – weder auf individueller, struktureller noch institutioneller Ebene. So macht es nach wie vor einen großen Unterschied, ob sich eine Person mit oder ohne Migrationserbe, mit oder ohne Behinderungen, mit oder ohne akademischen Lebenslauf, mit oder ohne nicht-binärer Genderidentität um eine Führungsposition bewirbt.
Hier liegt das wesentliche Kriterium, wenn wir von Diversität sprechen: Obwohl die Anerkennung der Potentiale von Diversität im Mittelpunkt steht, ist sie nicht einfach eine “bunte Bereicherung”. Diversität ist in unserer Gesellschaft mit struktureller Benachteiligung verbunden, die eine gleichberechtigte Repräsentation und Partizipation sowie die Chancengleichheit aller Menschen verhindert. Auch wenn Menschen mit Behinderungen, Migrationserbe, verschiedenen Genderidentitäten und sexuellen Orientierungen, beruflichen Werdegängen und sozialen Herkünften willkommen geheißen werden, ist damit nicht automatisch ein Arbeitsklima geschaffen, in dem diese Unterschiedlichkeit wertgeschätzt und ein gleichberechtigtes Miteinander gewährleistet wird.
Die gute Nachricht ist: Da diese Diskriminierungsformen historisch gewachsen und gesellschaftlich gemacht sind (z.B. patriarchale, postkoloniale oder rassistische Strukturen), können sie auch gemeinsam wieder abgebaut werden. Das heißt, erst kommt die Wahrnehmung von Ungleichheit und damit verbundenen Barrieren, dann ihr Abbau und schließlich die Diversität. Für das DRK kann das die Attraktivität als Verband innerhalb einer sich fortwährend wandelnden Gesellschaft steigern und dabei unterstützen, seinen Grundsatz der Menschlichkeit authentisch zu leben. Darüber hinaus wird es zukunftsfähiger, kreativer und diskriminierungssensibler innerhalb seiner Belegschaft und in der Zusammenarbeit mit diversen Zielgruppen und Selbstorganisationen.
Keine Diversität ohne Diskriminierungskritik
Diversität ist also nur zusammen mit Maßnahmen zur Antidiskriminierung innerhalb des DRK umzusetzen. Ein Blick auf die verschiedenen Gesetzesgrundlagen zum Thema Antidiskriminierung zeigt, dass Diversität keine Frage individueller Entscheidungen ist, sondern auf moralisch-rechtlichen Forderungen beruht. Dazu gehören u.a. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN-Behindertenrechtskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention, das Grundgesetz sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Diskriminierungsformen drücken sich immer auf individueller, struktureller und institutioneller Ebene aus, so dass ihnen stets in dieser Verflechtung entgegengewirkt werden muss. Beispielsweise hat die überfällige Diskussion über Rassismus in Deutschland im Zuge der internationalen Proteste gegen die Ermordung George Floyds in den USA durch Polizisten Aufwind gewonnen. Auch rassistische Morde und Anschläge in Deutschland, unter anderem vom sogenannten “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU), den Attentätern von Hanau und Halle sowie der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke zeigen: Hier handelt es sich nicht um zusammenhanglose Einzeltaten. Wir müssen an den Strukturen und Institutionen unserer Gesellschaft ansetzen, um uns gegen die Entstehungsbedingungen solcher Taten zu engagieren. Rassismus beginnt nicht erst bei einem Übergriff oder Mord, sondern schon viel früher: bei Vorurteilen, Vorannahmen, Ausschlüssen. Dabei geht es nicht nur um die Anklage bestimmter Institutionen, sondern um eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung. Gegen Diskriminierung, gegen Rassismus zu sein bedeutet auch, sich aktiv antirassistisch zu positionieren und zu engagieren.
Doing the Work: Das DRK in der Verantwortung
Das DRK kann auf eine traditions- und erfolgreiche Geschichte zurückblicken und verfügt über alle Ressourcen, die Umsetzung diskriminierungskritischer Diversitätsentwicklung mit Selbstbewusstsein, kritischer Selbstreflexion und einem machtkritischen Umgang mit eigenen Privilegien voranzutreiben.
Zukünftig wird gemeinsam mit dem Verband an einem neuen Konzept und Leitlinien für eine diskriminierungskritische Diversitätsausrichtung gearbeitet. Folgende Bereiche stehen exemplarisch für langfristige Veränderungsprozesse und kurzfristig umsetzbare Projektideen, um Diversität als Querschnittsthema zu implementieren:
- Die Organisationskultur und -struktur (Personalauswahl, Bindung der Mitarbeitenden, Arbeitsklima, inklusive Arbeitsbedingungen).
- Die diskriminierungssensible Kommunikation sowie Ansprache in Bild und Wort.
- Die gleichberechtigte, partizipative Zusammenarbeit und Angebotsentwicklung mit Betroffenenverbänden und Selbstorganisationen von Beginn an.
An dieser Stelle sei gesagt: Der Prozess der Diversitätsentwicklung ist unabschließbar - und das ist auch gut so. Er schafft ein Klima fortwährenden Lernens und Veränderns, das unsere Gesellschaft und unser Verband brauchen.
Von Pegah Byroum-Wand, Referentin für Diversity Management