Ich sitze im Zug; im ICE 704 von Augsburg nach Berlin. Für die nächsten sechs Stunden habe ich mich auf den üblichen paar Quadratzentimetern häuslich eingerichtet: Musik auf den Ohren, Laptop auf dem Klapptisch und ein bisschen Wegzehrung neben mir. In Augsburg war ich auf der
25. Weltfreiwilligenkonferenz. Ich lasse die Eindrücke meines leider nur kurzen Besuchs dort Revue passieren: Die Rede von Entwicklungsminister Gerd Müller, der die globale Verantwortung in einer Welt beschwor, in der alles mit allem zusammenhängt. Die zünftige Party beim Abend der Begegnung, die ihren Zweck (Begegnung) nicht verfehlte. Und natürlich das Panel zu
»Volunteering and the Quest for Innovation« zu dem ich nach Augsburg eingeladen worden war.
Ehrenamt und das Streben nach Innovation
Freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement ist eine Tätigkeit, mit der Menschen auf mehr oder minder konkrete Bedarfe in unserer globalisierten Gesellschaft reagieren: Hunger, Isolation oder Einsamkeit ebenso wie der Suche nach sinnvoller Beschäftigung, freundschaftlichen Beziehungen oder informellem Lernen. Man könnte also sagen, Träger freiwilligen Engagements wie das DRK seien per se innovativ, wenn sie es nur schaffen, Menschen für solche Tätigkeiten zu gewinnen.
Mit der Werbung Freiwilliger setzen genau hier die Debatten um Innovation im Ehrenamt an und greifen deshalb leider viel zu oft viel zu kurz. Warum?
Innovation als kreativer Prozess der nutzerinnen- und nutzerorientierten Ideenfindung und -entwicklung, der findigen Organisation von Partizipation und Teilhabe, der umsichtigen Implementierung neuer Angebote und der engagierten Skalierung durch Transfer ist etwas, das von Menschen
erlebt wird – oder eben nicht. Wolf Lotter hat schon nicht unrecht, wenn er in seiner
»Streitschrift für barrierefreies Denken« schreibt, Innovation wäre die Hoffnung darauf, dass es besser wird. Hoffnung zu wecken, ist im Ehrenamt schließlich ebenso wichtig, wie Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Gemeinschaft zu erleben.
Gefragt also, um was es geht, wenn wir auf unserem Panel vom Streben nach Innovation im Ehrenamt sprechen, war meine Antwort genau die: Es geht um das Erleben von Fortschritt und die Hoffnung, dass es besser wird. Damit eng verbunden ist natürlich die Motivation ehrenamtlich Engagierter, die – nebenher – auch der Gewinnung neuer Freiwilliger recht zuträglich ist.
Neue Technologien und die Innovation im Ehrenamt
Eine Frage, die auf unserem Panel viel Raum einnahm, war natürlich, welche Rolle neue Technologien bei der Innovation im Ehrenamt spielen. Werden also Soziale Medien, künstliche Intelligenz, Big Data, Augmented Reality, Datenbrillen und 3D-Drucker das Ehrenamt revolutionieren?
Ich persönlich glaube ja schon, dass sich das Ehrenamt im digitalen Wandel verändert. Eine Revolution aber sehe ich (noch) nicht. Neue Technologien – ganz besonders das Internet mit seinen Sozialen Medien – werden im Ehrenamt bislang sehr pragmatisch eingesetzt, um das Engagement flexibel in den Alltag einzupassen.* Natürlich ergeben sich daraus neue Bedarfe der Ehrenamtlichen, auf die Träger des Engagements unbedingt reagieren sollten – nicht aber von 0 auf digital in zwei Wochen sondern Schritt für Schritt.
Nochmal: Erlebte Innovationsfähigkeit macht Hoffnung darauf, dass es besser wird. Der für haupt- und ehrenamtlich Engagierte sicht- und erlebbare Prozess ist, was zählt. Das Ergebnis daraus muss offen bleiben! Vielleicht arbeiten wir im DRK künftig mit künstlich intelligenten Chatbots, 3D-Druckern und Datenbrillen. Vielleicht sind aber auch Messenger-Gruppen (bestenfalls über Threema) für's erste das digitale Mittel der Wahl. Für mich, hier im ICE 704, auf meinen paar Quadratzentimetern reicht ja auch Standardsoftware, um diesen Text zu schreiben.
* Gemeinsam mit Mike Weber vom Kompetenzzentrum öffentliche IT beim Fraunhofer Institut FOKUS habe ich für Band »Digitalisierung und Teilhabe« einen recht ausführlichen Beitrag zum digitalen Wandel im freiwilligen Engagement geschrieben. Reinschauen loht sich!