Der Soziale Sektor ist systemrelevant. Es ist Zeit für die Aufwertung, die er verdient.
Etwa 15%[1] der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer/innen üben eine soziale oder gesundheitliche Tätigkeit aus – etwa als Erzieher/in, Pflegefachmann/frau oder Sozialarbeiter/in. Der Soziale Sektor wird jedoch systematisch unter- und geringgeschätzt. Dabei befähigt der Soziale Sektor durch seine zahlreichen Angebote erst dazu, Familien und Gesellschaft zu stabilisieren und das gesellschaftliche und wirtschaftliche Potential auszuschöpfen. Das bekannte gesellschaftliche Leben wäre ohne den Sozialen Sektor und seine Angebotsvielfalt undenkbar:
- Zahlreiche Beschäftigte könnten etwa ihrer Tätigkeit nicht wie gewohnt nachgehen, weil durch wegfallende Betreuungsangebote für Kinder die gewohnte Arbeitszeitgestaltung nicht mehr möglich wäre.
- Auch die zahlreichen gesundheitlichen Angebote und Einrichtungen tragen einen kaum zu beziffernden Wert zur Aufrechterhaltung des uns bekannten Lebens bei: ambulante und stationäre Betreuungs- und Pflegemöglichkeiten für etwa Senioren sowie Menschen mit Behinderungen bieten wichtige Entlastungs- und Hilfsangebote für Angehörige.
- Die vielfältigen sozialen Beratungsangebote der Freien Wohlfahrtspflege tragen zusätzlich einen Beitrag dazu bei, um gesellschaftlich zentrale, aber häufig verdrängte Probleme wie Überschuldungen und Sucht zu begleiten und wichtige Anleitungen für eine selbstständige Lebensführung zu bieten.
All diese Erkenntnisse sind bei näherer Betrachtung nicht neu. Sie zeigen sich im Gegenteil gerade in und als Folge der Covid-19-Pandemie in aller Deutlichkeit. Auch ist eigentlich jedem klar, welche Folgen unzureichende Investitionen und eine damit verbundene Schwächung der sozialen Infrastruktur bedeuten: Die (frühkindliche) Bildung und soziale Erziehung unserer Kinder würde Schaden nehmen und durch die zwangsläufigen Einbußen bei der Versorgung und Pflege von vulnerablen Gruppen würde zwangsweise die Solidarität unseres Zusammenlebens herausgefordert. Die mit der Schwächung des Sozialen Sektors eng verbundene Privatisierung von sozialen Aufgaben ist dabei ein gefährliches Spiel, das auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen wird. Es stellt sich die Frage: Welche sozialen Missstände und gesellschaftlichen Langfristfolgen können und wollen wir uns als Gesellschaft erlauben?
Gleichzeitig aber drängen viele Beschäftigte aufgrund zunehmend herausfordernder Arbeits- und Rahmenbedingungen aus ihren Arbeitsfeldern – dem Sozialen Sektor droht ein spürbares Beschäftigungsproblem, der Gesellschaft ein massives Versorgungsproblem anhand zunehmend bedrohter und wegfallender sozialer und gesundheitlicher Angebote.
Zur Einlösung des politischen Ziels gleichwertiger Lebensverhältnisse für alle Menschen braucht es neue Wege und ein entschlossenes Handeln.
Die Beschäftigten des Sozialen Sektors haben sich den Titel der Alltagshelden hart erarbeitet. Nun müssen die politischen Lobreden in Taten umgesetzt werden und umfassende strukturelle Verbesserungen angeschoben werden. Neben flächendeckenden Investitionen in den Ausbau und Modernisierung der sozialen Infrastruktur braucht es klare Maßnahmen zur Verbesserung der konkreten Arbeitsbedingungen, eine Verbesserung der bestehenden Gehälter der Beschäftigten sowie neue innovative Maßnahmen und Anreize zur Nachwuchsförderung für soziale und gesundheitliche Berufe. Die Arbeitnehmer/innen in den sozialen und gesundheitlichen Berufen haben mehr verdient als symbolische Anerkennung.
Der Soziale Sektor steht vor wegweisenden Entscheidungen. Die entscheidende Frage ist: Was ist uns unsere Gesellschaft wert?
Die Zeit des Handelns ist jetzt.
[1] Quelle: IAB-Betriebspanel 2009 – 2018, hochgerechnete Werte.