©Frieder Unselt

Wie geht Pflege voran im digitalen Zeitalter?

Der Technologieeinsatz in der Pflege ist voraussetzungsvoll und erfordert Lernprozesse auf Anwenderseite und auf Seite der Technikgestaltung. Dass das Potential digitaler Anwendungen längst nicht ausgeschöpft wird, lässt sich mitunter durch fehlende Passung zu den Pflegeprozessen des Alltags erklären. Wie der Einsatz neuer Technologien gelingen kann und welche Voraussetzungen hierfür nötig sind, ist Thema einer neuen Qualifizierungsreihe des DRK. Care 4.0 unterstützt Fach- und Führungskräfte rund um das Thema Digitalisierung in der Pflege.

Technologien in der Pflegepraxis – eine Frage des Designs? 

Kann digital Pflege? So lautete eine etwas polemische wiederkehrende Fragestellung auf der diesjährigen 2. Clusterkonferenz „Zukunft der Pflege“ in Berlin. Gefördert vom BMBF, sind im Cluster insgesamt vier Pflegepraxiszentren zusammengeführt, in denen Pflegetechnologien im Pflegealltag im Echtbetrieb eingesetzt und bewertet werden. Der Status Quo im Kontext Technologienutzung und Technologienutzen in der Pflege, so ging aus verschiedenen Vorträgen hervor, lässt in jedem Fall Luft nach oben: Es gelingt noch zu wenig Pflegeinnovationen in die breite Praxis zu bringen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ein bedeutender Faktor ist die oftmals späte oder gar fehlende Einbeziehung des pflegerischen Umfelds in die Technikentwicklung und -implementierung. Gestaltungs- und Umsetzungsanforderungen werden nicht von Anfang an und aus der Perspektive der Pflegekräfte mitgedacht. Dies führt mitunter dazu, dass die Einbettung von Technologien in den Pflegeprozess mit hohem Aufwand verbunden ist und nicht alle Potentiale in der Nutzung ausgeschöpft werden können. Kann digital Pflege? erscheint insofern als legitime Fragestellung.

Von der Einrichtung her denken

In jedem Fall kann „digital“ Pflege lernen in Hinblick auf eine nutzen- und nutzungsorientierte Technikgestaltung. Das kann natürlich nur funktionieren, wenn das Fachwissen und die Perspektiven aus der Pflegepraxis auch zur Verfügung stehen, und von Anfang an eingebracht werden (können).

Die Fachwissenschaft diskutiert dies derzeit auf mehreren Ebenen:

1. Wirkliche Bedarfe erkennen und formulieren:

Hinter der allgemeinen Forderung nach Problemdefinitionen oder Bedarfsformulierungen durch die Altenpflege liegt das Anliegen des Verstehens der derzeitigen Struk­turen (und Infrastrukturen), Angebote und Leistungsprozesse, um diese digital gestützt zu verbessern oder gar neu zu gestalten. Im Qualifizierungsprogramm greifen wir diesen Schwerpunkt auf und geben methodische Hilfestellungen zur Einbeziehung von relevanten Perspektiven und Potentialen von Beginn an sowie zur Reflexion von impliziten Wissen.

2. Pflegeprozesse detailliert in den Blick nehmen:

Wenn es darum geht die Anforderungen an die Gestaltung von Technik und die Voraussetzungen für die Anwendung in der Praxis schon zu Beginn der Entwicklung in den Blick zu nehmen, müssen die Aus­wirkungen des Technikeinsatzes auf die pflegerischen und organisatorischen Abläufe durchgespielt werden (vgl. Lutze et al. 2019: 72; 221). Für das Verstehen welche Fragen wichtig sind und wie sich die Antworten in der Technikgestaltung dann wiederspiegeln könnten, bieten wir Raum im Qualifizierungsprogramm.

3. Wandel langfristig gestalten:

Über die tradierten Einrichtungs-, Berufs- und Tätigkeitsfelder hinausgedacht, geht es darum auf einer übergeordneten Ebene nach intelligenteren Wegen der Versor­gungs- und Arbeitsorganisation vor Ort zu suchen (Evans/ Ludwig 2019: 31; 35). Hier ist der Zukunftsdialog über die Transformation des Gesamtsystems der Altenhilfe adressiert, mitinbegriffen die Auswir­kungen auf die berufliche Identität, kompe­tenzspezifische Aufgaben- und Tätigkeitsprofile und auch auf Löhne (ebd.).

Neue Beteiligungsformate

Technikeinsatz braucht genaue Kenntnisse des Handlungsfeldes und ist immer an einen Lern- und Veränderungsprozesse in Organisationen gekoppelt. Die dreigeteilte Schwerpunktsetzung kann helfen, die Herausforderungen, Bedarfe, Probleme in der Pflege vor dem Hintergrund des digitalen Wandels strukturierter als bisher zu diskutieren. Entscheidend ist dabei die Perspektiven der Pflegeeinrichtungen als Anwender, der Entwickler und Hersteller, der Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen sowie der Forschung aufeinander zu beziehen. Dies gilt für die fachwissenschaftlichen Debatten ebenso, wie für die pflegebetriebliche Praxis. Auch im Pflegealltag müssen zunächst Räume geschaffen werden, um sowohl pflegebetriebliche als auch überbetriebliche Fragestellungen zu identifizieren und im Detail bearbeiten zu können.

Für die vielfältigen Veränderungsprozesse, die sich einstellen, wenn Innovationen in Organisationen eingeführt und/ oder entwickelt werden, bedarf es der Moderation von Meinungsbildungsprozessen, geeignete Methoden und Werkzeuge und vor allem Gestaltungs-(frei)räume. Um den Zugang zum Thema zu erleichtern und die Schwerpunkte zu vertiefen, bietet der Bundesverband ab Januar 2020 den Rahmen im einjährigen Qualifizierungsprogramms „DRK-Care 4.0 – Pflegeorganisation im digitalen Zeitalter“. In insgesamt fünf Modulen werden grundlegendes Wissen und Kompetenzen vermittelt, die helfen die Dynamiken und Anforderungen der Digitalisierung in der Pflege besser zu verstehen, die Chancen zu erkennen, neue (digitale) Projekte zu planen und umzusetzen sowie neue Methoden und Perspektiven im Pflegealltag anzuwenden. Jede/r Teilnehmende erhält die Möglichkeit in einem selbstgewählten Praxisvorhaben erste Schritte umzusetzen und die Inhalte der Qualifizierung direkt in die eigene Praxis zu übertragen. Mitarbeitende der Pflege sind herzlich zur kostenlosen Teilnahme eingeladen. Hier geht es zur Veranstaltungsseite

 

Autoren: Anna Heindorf und Ulrike Wagner