Das Bild zeigt einen auf einem Tisch ausgebreiten Haufen Münzen, die durch eine Lupe betrachtet und näher fokussiert werden.
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SchuldnerAtlas 2021: Licht am Ende des Tunnels oder trügerischer Schein?

Die Zahl der überschuldeten Personen ist auf einem historischen Tiefstand angekommen – diese frohe Botschaft verkündet der jüngst erschiene SchuldnerAtlas Deutschland 2021. Diese Zahlen wecken fraglos Zuversicht – doch ist eine langfristige Trendwende in Sicht? Ein Blick zwischen die Zeilen verrät, dass das vermeintliche „Corona-Paradoxon“ mit Vorsicht zu genießen ist und der aktuelle Zwischenstand noch keine eindeutige Trendwende voraussagt.

Vor wenigen Tagen veröffentliche die Creditreform Wirtschaftsforschung den aktuellen SchuldnerAtlas Deutschland 2021 und hat überaus unerwartete Neuigkeiten verkündet: Die Zahl der überschuldeten Personen in Deutschland sank um 695.000 auf einen damit neuen historischen Tiefstwert von nunmehr „nur noch“ 6,16 Millionen Personen. Auch wenn diese Zahl nach wie vor erschreckend groß ist, so ist zeitgleich jeder gelingende Ausbruch aus Überschuldung ein großer Schritt nach vorn. Die Überschuldungsquote nimmt infolge dieser Entwicklung zum Stichtag 1. Oktober ab – sie liegt nun bei 8,86 Prozent. Während Überschuldungsfälle mit juristisch relevanten Sachverhalten („harte Überschuldung“) erneut abnehmen und im Vorjahresvergleich um 5,9 Prozent sinken, ist dies bei Fällen mit geringer Überschuldungsintensität („weiche Überschuldung") nach einem Anstieg im Vorjahr nun erstmals zu beobachten. Diese Fälle sinken jedoch mit einem Anteil von 15,5 Prozent besonders deutlich.

Diese Entwicklungen sind im mittlerweile zweiten Jahr der Corona-Pandemie besonders überraschend, wurde doch sowohl seitens Politik als auch von Fachvereinigungen und -verbänden in der Öffentlichkeit regelmäßig vor einem rasanten Anstieg der Überschuldungsfälle gewarnt. Die Gründe für dieses Paradoxon liegen den Forschern zufolge insbesondere in drei Punkten begründet: Einerseits haben die politischen Hilfsmaßnamen, etwa in Form von Kurzarbeitergeld und wirtschaftlichen Überbrückungshilfen dazu geführt, dass viele Beschäftigungsverhältnisse auch über die Pandemie hinweg aufrechterhalten werden konnten. Befürchtete Wellen von Kündigungen blieben aus – und mit ihnen oftmals tiefgreifenden finanzielle Einkommensverluste für Betroffene. Zudem habe die unsichere Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der eigenen Arbeitsplatzsicherheit über den Verlauf der Pandemie zu einem zurückhaltendem Konsumverhalten geführt. Dies hatte zur Folge, dass finanzielle Reserven gebildet und wirtschaftliche Schieflagen oftmals besser und ohne den Schritt in die Überschuldung abgewendet werden konnten. Zuletzt kommt auch zum Tragen, dass die finanziellen Folgen der Pandemie im Einzelfall nicht unmittelbar durchschlagen, sondern häufig erst mit (deutlichem) Zeitverzug zu verzeichnen sind. Dies führt dazu, dass etwa Einkommensverluste erst über einen längeren Zeitraum der Pandemie zu einem sukzessiven Abrutschen in Überschuldung führen (können). Anfänglich geringe Probleme werden in der Folge erst mittelfristig zur ernstzunehmenden Überschuldungsszenarien und machen in der Folge professionelle Unterstützung erforderlich.

Auch wenn der Blick auf die positive Entwicklung der Überschuldung Grund zur Freude bietet, sollte der Rückblick auf Verlauf und Dauer der Pandemie sowie der Ausblick auf ihren Fortgang nicht über die Risiken hinwegtäuschen. Diese Sorge stützt sich auch auf die nach wie vor 13,5 Millionen Haushalte, die coronabedingt Einbußen ihres Haushaltsnettoeinkommen durchleiden. Der von den Forschern erhobene „finanzielle Stress“ der Haushalte klettert beinahe auf das Niveau seit Pandemieausbruch und unterstreicht ihre Sorge, ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen zu können.

Die Ergebnisse des SchuldnerAtlas zeigen deutlich, dass die Corona-Pandemie ihre volle Wucht auf Verbraucherinnen und Verbraucher nicht entfaltet hat – jedenfalls noch nicht. Es steht jedoch mit Blick auf die Zeitverzögerung von Pandemieeffekten einerseits und Überschuldungsentstehung andererseits zu befürchten, dass die bisherigen Auswirkungen der Pandemie noch ausstehen. Diese Prognose haben auch die Anbieter gemeinnütziger Schuldnerberatung infolge einer Abfrage ihrer Beratungsstellen abgegeben (Blogbeitrag). Auch der Blick auf das aktuelle Wiedererstarken der Pandemie lässt vermuten, dass der aktuelle positive Trend nicht von langer Dauer sein wird und keine langfristige Kehrtwende einläuten wird.

Der SchuldnerAtlas Deutschland wird jährlich von der Creditreform Wirtschaftsforschung herausgegeben und stellt die verfügbaren Daten zur Überschuldungssituation in Deutschland dar. Die aktuelle Fassung für das Jahr 2021 kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.boniversum.de/studien/schuldneratlas/