Anne-Marie Kortas untersucht in ihrem Beitrag
„Digitales Verhalten von Zugewanderten: Kommunika-tion, Information und Partizipation“ im von Dr. Joß Steinke und Dr. Sabine Skutta herausgegebenen
Sonderband „Digitalisierung und Teilhabe. Mitmachen, mitdenken, mitgestalten!“, welche Bedarfe Zugewanderte an digitalen Angeboten haben und gibt Empfehlungen, wie diese partizipativ und be-darfsorientiert gestaltet werden können.
Das Projekt MBE-Online - kurz:
mbeon - ist genau solch ein digitales Angebot. Mbeon ergänzt die klassische Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (
MBE) und ermöglicht den Zugang zum bestehenden Beratungsangebot auf digitale, niedrigschwellige, kostenfreie und datensichere Art und Weise. Bisher waren nur persönliche Beratungen in einer der über 700 regionalen MBE-Beratungsstellen möglich. Nun haben Ratsuchende die Möglichkeit, sich mobil per kostenloser App mit den Beratenden zu vernetzen und ihre Fragen per Messenger zu stellen. Bei mbeon handelt es sich um ein überverbandliches Modellprojekt des Bundes der Vertriebenen, des Deutschen Caritasverbandes, des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und des Deutschen Roten Kreuzes. Das DRK koordiniert das Projekt, weitere Träger sind herzlich eingeladen mitzuwirken.
Von mbeon profitieren Ratsuchende und Beratende
Das Smartphone ist das zentrale Kommunikationsmedium unter Zugewanderten. Mbeon passt das bestehende Präsenzangebot der Migrationsberatungsstellen dieser Lebenswirklichkeit an und eröffnet einen zusätzlichen sicheren und unkompliziert zugänglichen Kommunikationsraum. Für viele Ratsuchende ist dieser erst einmal leichter zu betreten als eine Beratungsstelle aufzusuchen. Über eine App können sie sich beraten lassen und Informationen zu Themen wie Wohnen, Arbeit, Beruf, Gesundheit, Familie, Aufenthalt oder Deutschlernen finden. Mit mbeon können Zugewanderte von jedem Ort aus und zu jeder Zeit über einen Chat Kontakt mit Migrationsberatenden aufnehmen. Hürden werden damit abgebaut:
- Ratsuchende in ländlichen Gegenden müssen keine weiten Wege zu einer Beratungsstelle auf sich nehmen;
- Sie können in der App Beratende auswählen, die ihre Muttersprache sprechen;
- Rund um die Uhr können sie ihre Fragen absenden, auf die sie dann innerhalb von 48 Stunden Antwort erhalten. Das entlastet Berufstätige, Menschen mit Kindern, ältere Menschen und andere zeitlich und örtlich gebundene Ratsuchende;
- Sie können in einem bestehenden Beratungsverhältnis wichtige Dokumente schnell und sicher versenden
Auch den Beratenden erleichtert mbeon die Beratungspraxis:
- Ihnen steht ein zusätzlicher Kommunikationsraum zur Verfügung, in dem sie unkompliziert und sicher mit den Ratsuchenden in den Austausch treten können. Sie müssen nicht auf den nächsten Termin warten, um wichtige Nachrichten zu übermitteln, sie können sie einfach in den Chat schreiben;
- Beratende können ihre Arbeit und Ressourcen optimaler planen. Viele Anliegen können direkt in der App gelöst werden, wie Terminverschiebungen oder das Nachreichen von Dokumenten;
- Personen, die zunächst anonym und unverbindlich via App Rat gesucht haben, werden leichter den Weg in die Beratung vor Ort finden, wenn sie online einen guten Kontakt hatten;
- Den Beraterinnen und Beratern stehen zudem Tools zum Fachaustausch und zur kollegialen Beratung zur Verfügung;
- Die Beratenden chatten über ihren Computer mit den Ratsuchenden. Beim Blended Counseling können sie entscheiden, welche Art der Kommunikation (persönliche oder online per Chat) für welchen Gesprächsinhalt am besten geeignet ist. Somit erlangen sie in den Beratungsprozessen eine höhere Flexibilität.
Mbeon erweitert die klassische Migrationsberatung
Anne-Marie Kortas bewertet digitale Angebote als Mehrwert für Zugewanderte und als Ergänzung, aber nicht als Ersatz für die face-to-face Beratung. Die Erfahrungen von mbeon bestätigen diesen Befund. Das Online-Angebot erleichtert das Beratungsverhältnis, ersetzt den persönlichen Kontakt aber nicht. Vertrauen ist in der Beratung grundlegend und dafür ist die persönliche Begegnung wichtig. Die Anonymität bringt allerdings auch Vorteile: Das Fehlen eines Bildes vom Gegenüber wie auch der nonverbalen Kommunikation verändert die Beratungssituation, gestaltet sie aber auch diskriminierungsfreier. Im Chat muss zudem von beiden Seiten mehr nachgefragt und ausführlicher erläutert werden. Die Ruhe beim Antworten und Reagieren verschafft Beratenden und Ratsuchenden aber auch Zeit zum Nachdenken. Die digitale Kommunikation kann zu mehr Augenhöhe im Beratungsverhältnis beitragen.
Wie intensiv die neue Beratungsmöglichkeit genutzt wird, hängt unter anderem vom Alter und der Technik-Affinität der Ratsuchenden wie Beratenden ab. In den Beratungsverhältnissen, in denen die App genutzt wird, profitieren Beratende wie Ratsuchende von der neuen flexiblen, sicheren und schnellen Kommunikationsmöglichkeit.
Zugleich stellt die App ein Korrektiv zu den Fehlinformationen dar, die Ratsuchende immer wieder in sozialen Netzwerken oder Internetforen finden, die sie bei Fragen oder Schwierigkeiten oftmals zuerst konsultieren, wenn sie noch nicht von mbeon wissen. Hier setzt das digitale Angebot der Wohlfahrts-verbände an: Es holt die Ratsuchenden im Internet ab und bieten ihnen qualifizierte Beratung und verlässliche Informationen.
Nachdem der Start des Projekts in den Modellregionen geglückt ist, ist die Online-Beratung nun bun-desweit verfügbar. Die Zahl der Beratenden, die (auch) online beraten, nimmt stetig zu und die Veran-kerung der Online-Beratung als Regelbestandteil der MBE wird angestrebt.
Autorinnen: Nadja Hitzel-Abdelhamid,
Elena Lukinykh