Beim DRK-Wohlfahrtkongress wurde unter dem Motto "Mehr Menschlichkeit" intensiv darüber diskutiert, wie wir Haltung zeigen gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und antidemokratische Strömungen. Besonders erhellend war die hochrangig besetzte Podiumsdiskussion "Gegen Hass im Netz und Desinformation: Handlungsansätze für das DRK im digitalen Zeitalter". Dieser Beitrag präsentiert die zentralen Einsichten aus dieser Veranstaltung.
Hass, Bedrohungen und Anfeindungen betreffen nicht nur Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Auch haupt- und ehrenamtlich Engagierte – sei es in der Stadt- oder Gemeindevertretung, bei Feuerwehr- und Rettungskräften, Mitarbeitende in Migrationsberatungen oder anderen kommunalen Zusammenhängen werden adressiert. Längst sind es keine Einzelfälle mehr, sondern ein bundesweites Problem, das viele Institutionen und Organisationen betrifft – über alle Parteien, Regionen und Stadt- und Gemeindegrößen hinweg. Die aktuellen Zahlen im Hinblick auf Angriffe gegenüber Amts- und Mandatstragenden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bestätigen dies eindrücklich. Und dies sind nur die bekanntgewordenen Delikte.
Die Dynamik hat sich verschärft. Die Gefahr, auf persönlicher Ebene angegriffen zu werden, hat bei vielen die Bereitschaft reduziert, sich öffentlich zu äußern. Das Phänomen des Silencing ist wissenschaftlich gut untersucht und es stellt ein Problem für unsere demokratische Kultur dar, wenn Menschen sich aus Angst vor Bloßstellung, Beschimpfungen oder im Extremfall sogar Morddrohungen nicht mehr zu Wort melden. Zu erkennen und sehr ernst zu nehmen, ist die Systematik hinter den Entwicklungen: Die zunehmenden Hassäußerungen online und offline sind auch Auswuchs antidemokratischer Strategien. Das war viel zu lange, viel zu wenig im Fokus.
Die lautesten Stimmen in sozialen Medien spiegeln nicht die Mehrheitsmeinung wider. Sie stammen von Personen, die trotz toxischer Diskussionskultur bestehen, entweder weil sie Anfeindungen aushalten oder weil sie Narrative bedienen, die weniger Anfeindungen hervorrufen. Hinzu kommt, dass algorithmenbasierte Plattformlogiken Hassrede noch befeuern und mitbeeinflussen, welche Inhalte viral gehen.
Rebecca Winkels, Leiterin des Kommunikationsteams und Pressesprecherin im DRK-Generalsekretariat berichtet, von der Betroffenheit des DRK als Institution. Die Corona-Pandemie hat das Deutsche Rote Kreuz nachhaltig geprägt und ist als Wendepunkt zu sehen hinsichtlich neuer kommunikativer Herausforderungen durch Vorwürfe und Falschdarstellungen. Zudem sehen wir gerade in bewaffneten Konflikten, den Anstieg von Desinformationen, davon sind auch wir als neutrale Hilfsorganisation betroffen.
Bisher beeinflussen falsche Darstellungen das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Arbeit zwar nicht maßgeblich, aber das Thema ist für uns relevanter geworden. Regelmäßig sind wir mit Vorwürfen und unrichtigen Darstellungen konfrontiert. Gleichzeitig wird es schwieriger, vertrauenswürdige Quellen zu identifizieren, wenn verzerrenden Darstellungen teils auch von Journalistinnen und Journalisten und Politikern und Politikerinnen verbreitet werden. Wenn die Urheber oder Urheberinnen falscher Darstellungen selbst Vertrauen genießen, wird es schwer andere durch Richtigstellungen zu überzeugen, selbst für vertrauenswürdige Organe wie das DRK.
Zusammengenommen ist das ein großes Problem für unsere Gesellschaft. Hass bleibt nicht im Netz, die Dynamiken sind sehr viel weitergehend. Wir erleben eine massive Instrumentalisierung des Begriffs der Meinungsfreiheit – Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht, strafbare oder diskriminierende Äußerungen ohne Konsequenzen tätigen zu dürfen. Wahre Meinungsfreiheit erfordert angstfreie öffentliche Räume. Wir müssen Verantwortung übernehmen, unsere Stimme erheben und klar Stellung dazu beziehen, was wir uns für unsere Gesellschaft wünschen und wogegen wir uns einsetzen.
Ein vollständiger Schutz vor Angriffen ist unmöglich. Organisationen sollten jedoch krisenhafte Prozesse und Zuständigkeiten vorab festlegen, um Überforderung zu vermeiden. Grundlagen der Krisenkommunikation gehören zum Handwerkszeug, wenn man sich mit größerer Reichweite äußern möchte.
Wichtig ist, nach innen wie außen Haltung zu zeigen, Solidarität mit Betroffenen zu demonstrieren, ihre Stimmen zu hören und mit Fakten gegenzusteuern. Solidaritätserfahrungen sind besonders wichtig, da Populisten dort Fuß fassen, wo sozialer Zusammenhalt fehlt, und vermeintlich einfache Antworten locken.
Bei diskreditierenden Vorwürfen gegen das DRK - wie angebliche Hilfsverweigerung für bestimmte Gruppen oder irreführenden Darstellungen unseres Tuns durch Corona-Leugner - verfolgt das Kommunikationsteam des Generalsekretariats zwei grundlegende Herangehensweisen: einen reaktiven und einen proaktiven Umgang.
Wichtiger ist noch, vorbeugend gegen Desinformation zu arbeiten, Vertrauen zu stärken und unsere Mitarbeitenden zu schützen.
Das Vertrauen festigen wir in ruhigen Zeiten durch Transparenz über unsere Arbeit, Methoden und Grundsätze. Unser Vorteil: 98% der Bevölkerung kennen das DRK.
Entscheidend ist, dass unsere Mitarbeitenden ihre Verantwortung verstehen: Die Öffentlichkeit differenziert nicht zwischen verschiedenen Organisationseinheiten - wer DRK-Kleidung trägt, repräsentiert uns. Jeder Einzelne kann unserer Bewegung schaden oder positiv wirken - ein zentraler Aspekt unserer Präventionsarbeit gegen Desinformation.
Für Einzelpersonen ist es wichtig, die eigenen Belastungsgrenzen zu kennen und einzuschätzen, bevor sie sich öffentlich äußern.
Präventive Schutzmaßnahmen:
In schweren Fällen kann eine Meldeadress-Auskunftssperre beantragt werden. Es ist hilfreich, sich vorab persönliche rote Linien zu überlegen und zu wissen, welche Konsequenzen man ziehen will – etwa, wenn das Aussehen kommentiert wird oder Drohungen ausgesprochen werden.
Rechtliche Gegenwehr ist besonders bei Todesdrohungen, Bildmanipulationen oder Beschimpfungen sinnvoll. Strafanzeigen sollten erwogen werden, besonders bei Social-Media-Vorfällen. Dabei ist es nicht die Aufgabe der Betroffenen, im Vorfeld wasserdicht zu beurteilen, ob etwas rechtlich relevant ist, dies obliegt den Behörden.
Wichtig: Es gibt durchaus Erfolgsaussichten und relevante Rechtsentscheidungen. Die steigende Fallzahl zeigt: Man ist nicht machtlos. Verschiedene Organisationen, darunter auch HateAid bieten Beratung, Unterstützung und Lösungen.
Die Aufgabe der Politik ist es, zu regulieren, um im digitalen Raum demokratische Werte aufrechtzuerhalten. Alle Beteiligten müssen verpflichtet werden, Maßnahmen für mehr Sicherheit zu ergreifen. Es wäre nötig, das gesamte Haftungsregime grundlegend zu überdenken und für mehr Transparenz zu sorgen:
Derzeit ist es jedoch weitgehend den Plattformen überlassen, ob sie sich für Kontrollen öffnen. Plattformen sollten für hochgeladene Inhalte haften, und es braucht mehr Transparenz darüber, was mit diesen Inhalten geschieht. Wir können nur das sehen, woran die Plattformen uns teilhaben lassen, und darüber entscheiden sie selbst.
Weitere wichtige Forderungen sind:
Wir brauchen all die Menschen, die bereit sind, Verantwortung vor Ort zu übernehmen und zu tragen. Sie sind das Fundament, auf dem das Gebäude der Demokratie ruht. In unseren Organisationen sollten wir
Mit Wachsamkeit, proaktivem Handeln und Mut können wir für eine respektvolle digitale Kommunikationskultur sorgen. Jeder Einzelne kann als DRK-Mitglied und als Teil der Gesellschaft einen Unterschied machen.