Das Netzwerk Nationale Demenzstrategie lebt vom Austausch und braucht das Untereinander der Akteure. Umso mehr schmerzt es, dass sich Veranstaltungen der Nationalen Demenzstrategie seit Beginn des Umsetzungsprozesses im September 2020 auf die digitale Zusammenarbeit beschränken müssen. Wie vom Treffen des Netzwerks am 9. März 2021 jedoch eindrucksvoll bewiesen, können Workshops und Impulse auch im Format der Videokonferenz zu angeregten Diskussionen mit wertvollen Ergebnissen führen. In den moderierten Workshops wurde sich unter anderem sowohl zur besseren Unterstützung der Angehörigen als auch zur pflegerischen Versorgung von Menschen mit Demenz im Angesicht der Pandemie ausgetauscht. Als Vertreter der BAGFW durfte das DRK Generalsekretariat Beispiele guter Praxis aus der stationären Langzeitpflege präsentieren und so dem Netzwerk verfügbar machen.
Informationen zum 1. Netzwerktreffen der Nationalen Demenzstrategie finden Sie hier: https://www.nationale-demenzstrategie.de/die-strategie/netzwerk-nationale-demenzstrategie/erstes-treffen-des-netzwerks
Beispiele guter Praxis
Hierfür nahmen wir Kontakt mit dem Seniorenzentrum Kell am See in Rheinland-Pfalz und dem Einrichtungsleiter Michael Pauken auf, der uns von einer schweren Zeit berichtete.
Mit einem Anteil von 90 % demenziell Erkrankter in der Einrichtung konnte insbesondere die erste Welle der Pandemie nur mit großer Kraftanstrengung bewältigt werden. Stets standen die Bedürfnisse der demenziell Erkrankten im Vordergrund, doch Auflagen der Gesundheitsämter und Infektionsschutzmaßnahmen bereiteten Kopfzerbrechen. Um Menschlichkeit und Nähe auch in Schutzkleidung vermitteln zu können musste die Einrichtung neue Wege erproben, denn die Not erforderte es erfinderisch zu werden. Insgesamt infizierten sich rund 20 Bewohnerinnen und Bewohner mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2.
So wurde bspw. der Hauskanal der Fernsehanlage genutzt, um den Bewohnerinnen und Bewohnern der stationären Einrichtung etwas vorzulesen. Dies war für die beruflich Pflegenden sogar aus dem “Homeoffice” möglich, denn das Vorlesen von Büchern ließ sich via Internet in die Zimmer der Einrichtung streamen und die Bewohnerinnen und Bewohner wurden durch eine ruhige und für sie bekannte Stimme unterhalten.
Diese digitale Notlösung wurde durch eine engmaschige Betreuung auf den Zimmern und durch zeitlich getaktete Aktivitäten im Außenbereich der Einrichtung flankiert. Auch in der Pandemie bildeten bewährte Methoden wie die Biographiearbeit oder Gymnastik wichtige Ankerpunkte für die demenziell Erkrankten und gaben Halt im Alltag. Um die beruflich Pflegenden und die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung vor einer Infektion zu schützen nahm die Einrichtungsleitung frühzeitig umfassende Testungen vor und beschaffte ausreichend Schutzkleidung. Der Effekt von Schutzmasken war direkt spürbar, da sich kaum beruflich Pflegende mit Maske infizierten. Um die Verbreitung des Virus einzudämmen und Nicht-Infizierte vor Infizierten zu schützen mussten die Wohnbereiche der Einrichtung getrennt werden und das Personal wurde jeweils fest zu einem Wohnbereich zugeordnet.
Durch die genannten Schutzmaßnahmen kam die Langzeitpflegeeinrichtung gemessen an den Umständen glimpflich durch das Jahr 2020 und konnte etliche Bewohnerinnen und Bewohner vor einer Infektion schützen bzw. bei einer Infektion gut versorgen. Das Erlebte wurde mit Hilfe von professioneller Seelensorge aufgearbeitet.
Wie geht es weiter?
Die situationsbedingten Ansprüche an stationären Langzeitpflegeeinrichtungen haben sich seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie innerhalb kürzester Zeit stark verändert. Die dynamische Entwicklung der Lage muss stets beobachtet und der eingeschlagene Kurs oftmals nachjustiert werden.
Auch wenn der Impfprozess stetig voranschreitet, bereiten vor allem die auftretenden Mutationen große Sorge. Der Ausbruch eines mutierten Coronavirus innerhalb einer Einrichtung macht den Einsatz aller verfügbaren Schutzmaßnahmen erneut erforderlich. Insbesondere Nicht-Geimpfte Bewohnerinnen und Bewohner wären in diesem Fall besonders gesundheitsgefährdet.
Dringend notwendig ist außerdem eine Klärung des rechtlichen Graubereichs bzgl. Betreuungsrecht und richterlich angeordneten freiheitsentziehenden Maßnahmen als Ultima Ratio. In jedem Fall gilt es als in der stationären Langzeitpflege so lange wie möglich von derartigen Maßnahmen abzusehen. Im Krisenfall sollte jedoch schneller mit richterlicher Anordnung gehandelt werden dürfen, um die Leben Pflegebedürftiger und demenziell Erkrankter zu retten.
Engmaschige Betreuung und die Umsetzung von Hygieneschutzmaßnahmen (Testungen etc.) bedeuten in letzter Konsequenz einen höheren Personalbedarf. Die dringend erforderliche Pflegereform sollte dafür eingesetzt werden, dass finanzielle Mehrbelastungen nicht weiterhin auf die Pflegebedürftigen abgewälzt werden und den Weg für das neue Personalbemessungsverfahren zu ebnen.
Die Umsetzung der Maßnahmen der Nationalen Demenzstrategie wird allen Akteuren in den nächsten Jahren viel abverlangen. Da derzeit rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland leben (Tendenz steigend), ist die Unterstützung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen eine langfristige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Demnach braucht es ein breites Netzwerk an Akteuren, um die zahlreichen Maßnahmen der Strategie umzusetzen. Im Rahmen der „Woche der Demenz“ im September 2021 wird das nächste Treffen des Netzwerks Nationale Demenzstrategie als öffentliche Veranstaltung stattfinden.