Wenn wir über Digitalisierung reden, tauchen im Kopf vermutlich zu allererst Bilder von von Robotern in der Pflege, Tablets für die Dokumentation oder von ausgefeilten Kommunikationstools für Teamkonferenzen auf. Auch Begriffe wie „Künstliche Intelligenz“ oder "virtuelle Realität" schwirren einem vermutlich durch den Kopf. Danach kommen die Einwürfe, was Digitalisierung denn wohl mit unseren Beziehungen, unserer Kommunikation, mit uns als Menschen macht. Wir merken, Technik ist irgendwie großartig – aber doch nicht entscheidend. Stimmt, da gibt es ja noch den Faktor Mensch, also diejenigen, die die Technik bedienen, die sie benutzen sollen und denen sie nutzen bringen soll. Das "anything goes" der technischen Phantasie erdet sich angesichts der Befürchtungen unserer Kolleginnen und Kollegen relativ schnell. Was genau nutzt die abgefahrenste Technik, wenn der Mensch Angst vor ihr hat? Angst, sie nicht bewältigen zu können! Angst, nicht mithalten zu können! Angst, in ihr als Mensch verloren zu gehen!
Von München bis Magdeburg – Digitalisierung braucht Haltung!
Trotz der Entfernung zwischen unseren beiden Städten und den Unterschiedlichkeiten zwischen dem Bayerischen Roten Kreuz und dem DRK Landesverband Sachsen-Anhalt, waren wir uns schnell einig: Das, was es – bei aller technischen Begeisterung für Digitalisierung – braucht, ist ein Kulturwandel, ein Cultural Change. Und der muss die digitale Transformation nicht nur begleiten, sondern auch definieren. Das Problem des Kulturwandels ist allerdings, dass er sich nicht anordnen oder herstellen lässt. Kultureller Wandel entsteht – und zwar aus den sich verändernden Haltungen und Einstellungen von Menschen.
Und das bedeutet für die digitale Transformation? Im einfachsten Sinne, dass wir auf allen organisatorischen Ebenen vorleben müssen, darauf zu achten, was an technischer Innovation gut für die Menschen und möglich für unseren Verband ist. Und gleichzeitig müssen wir – viel intensiver als bisher – hinhören, was die Menschen bewegt, die in unserem Verband arbeiten. Und wir müssen die Menschen in den Dialog einbeziehen, die von uns betreut werden, samt ihrer Angehörigen. Welche Hoffnungen, welche Mythen, welche Ängste und Befürchtungen gibt es da in Bezug auf die Digitalisierung? Was davon ist realistisch, worauf müssen wir eingehen, was können wir als Rotes Kreuz lernen, was müssen wir berücksichtigen, wo müssen wir einen Rahmen geben, der den Beteiligten ein Mindestmaß an Orientierung und Halt in einer VUCA–Welt gibt?! Und gleichzeitig müssen wir die Kollegen und Kolleginnen im Verband befähigen mit den Veränderungen UND der neuen Technik umgehen zu können. Damit werden wir zur lernenden Organisation, die die digitale Transformation inklusive neuer Arbeits- und Partizipationsformen gestaltet.
VUCA ist das Akronym für die englischen Begriffe Volatility: Unbeständigkeit / uncertainty: Unsicherheit / complexity: Komplexität / ambiguity: Mehrdeutigkeit. VUCA steht u. a. für die mit der digitalen Transformation einhergehenden herausfordernden Rahmenbedingungen.
Von der Fachkraft bis zu Führung - Digitalisierung braucht eine neue Kultur der Arbeit!
Die Berufsbilder im Roten Kreuz werden sich um Anforderungen an die digitalen Kompetenzen der Anwender und Anwenderinnen ergänzen. Daneben wird die Notwendigkeit einer lebenslangen Lernbereitschaft ebenso steigen, wie die der Teamfähigkeit. Mit beiden nimmt auch Eigenverantwortlichkeit zu. Während es bei ersterer darum gehen wird, mit der sich fortlaufend weiterentwickelnden Technik Schritt zu halten, fordert zweitere ein Mehr an Eigenorientierung hin zum Team. Da wo der Arbeitsalltag flexibler und mobiler wird, müssen Orte des Teamaustauschs - virtuell oder beim realen Café - bewusst geschaffen und wahrgenommen werden. Eine Folge dieser zunehmenden Eigenverantwortlichkeit ist der steigende Anspruch an eine Selbst- oder zumindest Mitgestaltung der eigenen Arbeitswelt. Damit entsteht für Leitung und Führung die Aufgabe, flachere Hierarchien zuzulassen, sich als Führung selbst mehr in eine moderierende Haltung zu begeben und die arbeitsorganisatorischen Kompetenzen der Fachkräfte im operativen Geschäft mehr und mehr abzufragen. Spätestens an dieser Stelle wird klar, warum der Begriff der "Digitalen Revolution" nicht so weit hergeholt ist, wie mancher vielleicht denken mag. Digitalisierung ist eben kein bloßes Upgrade des bisherigen Geschäfts: „Das elektrische Licht wurde nicht durch die Verbesserung der Kerze erfunden.“
Vom Wandel zur Wohlfahrt – Kompetenzzentren als Impulsgeber
Im Arbeitsansatz der Kompetenzzentren Wandel.Wohlfahrt.Digitalisierung. des Roten Kreuzes, in München, Magdeburg und Münster, findet sich diese Haltungsarbeit schon im ersten Schritt der Sensibilisierung wieder. In den Beratungen und Workshopangeboten der Kompetenzzentren wird für die ganzheitlichen Perspektive auf Digitalisierungsprojekte geworben. Hier werden Methoden entwickelt und zur Verfügung gestellt, um digitalen und kulturellen Wandel gemeinsam auf den Weg zu bringen und Erprobungs- und Orientierungsräume für die ersten Schritte angeboten. Digitalisierung menschlich gestalten ist der Auftrag, der für uns als Rotes Kreuz – orientiert an unseren Grundsätzen – über dem Prozess der digitalen Transformation stehen muss. Das bedeutet, dass wir vorrangig nicht nur an großartige Technologie, Roboter, Apps Effizienzsteigerung denken, sondern an die Menschen, die unseren Verband als Haupt- und Ehrenamtlich ausmachen.
Von Benjamin Sertl (Stabsstelle Digitalisierung, Bayerisches Rotes Kreuz , München) & Michael E.W. Ney (Projektbereich Wohlfahrt 4.0, DRK LV Sachsen-Anhalt e.V., Magdeburg)