Der Livestream ins Studio des Digital Social Summit mit zwei Personen, die auf einem Podium sitzen und sich unterhalten. Links das Motto der Veranstaltung: übermorgen
Live-Stream des Digital Social Summits aus Stuttgart (© Screenshot Jennifer Geiser / DRK)

Die Zivilgesellschaft von übermorgen - Digital Social Summit 2022

Heute, morgen, überMorgen. Wie können wir schon heute die Digitalisierung der Zukunft gestalten? Unter dem Motto “überMorgen” fand am 29. und 30. März 2022 der jährliche Digital Social Summit (DSS) statt. Noch immer wegen der Corona-Situation online, aber voller Tatendrang und Mut tauschte sich die digitale Zivilgesellschaft aus. Auch wir waren wieder mit dabei und fassen unsere Eindrücke und Learnings hier zusammen.

Jennifer Geiser: Neue Methoden und Denkanstöße

Was nehme ich mit vom Digital Social Summit 2022? Vor allem spannende Impuls für die eigene Arbeit im DRK und neue Verknüpfungen mit Akteur*innen der digitalen Zivilgesellschaft. Nachdem ich nun zum dritten Mal am DSS teilgenommen habe, empfinde ich es als sehr ermutigend zu sehen, wie sich die Community immer weiterentwickelt und damit auch die Konferenz.  

Besonders eingeprägt haben sich mir (von ganz konkret zu abstrakt):

  • Zwei von der Natur inspirierte Methoden für digitale Veranstaltungen: Das Chat-Gewitter, bei dem eine Frage gestellt wird, die alle in den Chat tippen und dann gleichzeitig auf 3-2-1 absenden, und einen 1- bis 2-minütigen Waldspaziergang zu Beginn eines Meetings, um erstmal Ruhe zu finden und anzukommen (zum Beispiel mit der Webseite https://tree.fm). Außerdem wurden auch weitere Tools für Intros zu Videokonferenzen vorgestellt. 

  • Der “Code of Good Practice” für die Digitalisierungsberatung – eine kleine Gruppe, die sich durch eine auf Twitter gestartete Diskussion gebildet hat, hat in den letzten Monaten an diesem Standard für gute Digitalisierungsberatung gearbeitet – auch interessant für die interne Beratung im DRK. 

  • Eine Session zu politischem Microtargeting – also der Einflussnahme möglicher Wähler*innen über soziale Medien. Rosanna Oehme von der Interactive Media Foundation stellte dort u.a. das Tool Your Data Mirror vor. Es richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsenen, um ihnen über die Auswertung ihres Instagram-Profils zu zeigen, welche Spuren sie im Internet hinterlassen und wie ihre Daten genutzt werden. Super Idee! 

  • Der Gedanke aus dem Panel an Tag 2, dass wir als verschiedene gesellschaftliche Akteur*innen zusammen an den großen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten müssen: “Die Zeit des Gegeneinanders ist vorbei”, wie Katarina Peranić von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt es auf den Punkt brachte. Es gab ein ganz klares Votum für Kollaboration, die die Sektoren Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft umfasst. Für mich heißt das auch, dass wir als Wohlfahrtsverband Teil dieser innovativen Ökosysteme werden müssen, die auf eine am Gemeinwohl orientierte Gesellschaft hinsteuern. 

Maximilian Kühn: Gemeinwohlorientierte Digitalisierung – jetzt! 

Insbesondere der erste Tag des Digital Social Summits widmete sich in mehreren Sessions dem Thema Gemeinwohl bzw. Gemeinwohlorientierung von verschiedenen Digitalisierungsaspekten: 

1. Algorithmen fürs Gemeinwohl?!

Zunächst stellte Julia Gundlach von der Bertelsmann Stiftung in den Grundzügen vor, was Algorithmen und Gemeinwohl sind. Eine zentrale Aussage dabei war, dass Algorithmen sowohl positiv als auch schädlich für das Gemeinwohl eingesetzt werden können. Für zivilgesellschaftliche Organisationen ist es somit quasi obligatorisch, diese für das Gemeinwohl einzusetzen, statt Partikularinteressen zu verfolgen.

©Screenshot Maximilian Kühn

 Algorithmen können je nach Einsatz das Gemeinwohl fördern oder ihm schaden. (© Julia Gundlach / Bertelsmann Stiftung)

Praxisbeispiel Kitaplatzvergabe 

Frau Gundlach erklärte, dass über 50% der Eltern bei der Vergabe von Kita-Plätzen an ihre Kinder in Deutschland Probleme sehen: Von langen Wartelisten, über unzureichende Kommunikation bis hin zu Vorteilsnahmen über Kontakte. Eine Lösung sind unparteiliche nach “objektiveren” Kriterien ausgerichtete Algorithmen, die anhand der Kita-Wünsche der Eltern eine effiziente Verteilung vornehmen. Die Kosten- und Zeiteinsparungen sprechen neben einem transparenteren Verfahren für das Konzept. Zugleich müssen zentrale Regeln bei der Entwicklung solcher Algorithmen beachtetet werden, die beispielsweise von Algorules.org in einem Praxisleitfaden festgelegt wurden. Wir werden das Thema auf dem Wohlfahrtskongress ebenfalls aufgreifen.

2. Have you tried turning it off and on again? Gemeinwohl im digitalen Zeitalter 

In der zweiten Session stellten die Kolleginnen und Kollegen von iRights.lab, SUPERRR Lab und neuland21 e.V. die Ergebnisse ihrer Studie “Gemeinwohl im digitalen Zeitalter” vor. Eine wirkliche Leseempfehlung für Digitalakteur*innen in der Zivilgesellschaft, Politik und darüber hinaus. Hier zur PDF. (Ich werde demnächst auch noch mehr dazu berichten)

Anna Kose: Vom Programmieren zum Lernen in der Wohlfahrt

Digitale Veranstaltungen zu organisieren, gehört zu meinem Arbeitsalltag und auch die Erkenntnis, dass Pausen dabei wichtig für die Produktivität sind, ist nicht neu. Toll fand ich aber die Idee, eine gemeinsame Pause für ein Waldbad zu nutzen. Das Beste: Man muss nicht einmal den Raum verlassen. Dank tree.fm kann man mit Tonaufnahmen in verschiedene Wälder der Erde eintauchen. Dank be-da läuft das jetzt bei mir manchmal auch im Hintergrund statt Musik oder Berliner Stadtgeräuschen. 

Inspirierend fand ich auch den Vortrag von Nina und Frie von CorrelAid zum Programmieren einer eigenen Lernplattform mit der Sprache R. Ehrlicherweise bin ich hier nur zufällig gelandet, weil meine eigentliche Session ausfiel, aber bereut habe ich es nicht. CorrelAid bietet u.a. den Kurs „R Lernen - Der Datenkurs für die Zivilgesellschaft“ an und lädt ein zu einem Blick über den Tellerrand und zum ERlernen neuer Fähigkeiten. Wer also ein digitales Lernangebot schaffen und nicht eine der bestehenden Lösungen nutzen will, kann hier lernen, wie man mit R programmiert, und dank Vorlagen eine Plattform nach eigenen Anforderungen erstellen. Super Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen! 

Mein zweiter Tag hatte einen starken Fokus auf dem Thema Lernen in Wohlfahrtsverbänden. Zum Start ging es um „Agiles Lernen in traditionsreichen Organisationen“. Klingt erst einmal wie ein Widerspruch. Die Kolleginnen und Kollegen von der AWO und der Caritas haben in ihren Projektvorstellungen aber gezeigt, dass es möglich ist! Eine Erkenntnis: Führungskräfte sind auch nur Menschen und brauchen genauso Zeit sich auf Veränderungsprozesse einzustellen und Neues zu lernen wie alle anderen Mitarbeitenden auch. Wichtig: Nicht nur die Bereitschaft, mit Worten Unterstützung für solche (digitalen) Veränderungsprozesse zu leisten, sondern auch das eigene Verhalten zu verändern und so aktiv zum Wandel beizutragen.   

©Screenshot Jennifer Geiser

Die Rednerinnen und Redner (von links oben nach rechts unten): Johannes Landstorfer (DCV), Carolin Silbernagl (zukunft zwei), Helene Hahn und Lorenz Grünewald-Schukalla (beide AWO) (© Screenshot Jennifer Geiser / DRK)

Ums Lernen ging es auch im Beitrag des DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg. Lukas Findeisen und Marc Groß haben offen über ihre Lernerfahrungen und Herausforderungen mit dem Digital Leadership Programm gesprochen. Mir besonders im Gedächtnis geblieben ist die Frage: Wie kann man Freiräume für innovative Ideen schaffen und gleichzeitig dem Wunsch nach Struktur nachkommen, der in traditionellen Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz bei vielen Mitarbeitenden besteht? 

Auch dieses Jahr habe ich vom Digital Social Summit wieder neues Wissen über Methoden und Vorgehensweisen mitgenommen. Gleichzeitig haben die Vorträge aber auch weitere Fragen für meine Arbeit beim DRK aufgeworfen, die es in den nächsten Monaten zu beantworten gilt.


Die Dokumentation der Veranstaltung mit vielen Materialien findet sich für Teilnehmende in der Mediathek des #dss2022. Falls Sie kein Ticket hatten, aber sich über einzelne Veranstaltungen weiter informieren möchten, dann schreiben Sie uns eine kurze Nachricht. Ansonsten bleibt uns noch auf den YouTube-Kanal des Digital Social Summit zu verweisen: https://www.youtube.com/channel/UCw6KkKz5qRckIFXC_mc43wQ 

Autor*innen: Jennifer Geiser, Anna Kose und Maximilian Kühn