Meine Corona-Feierabendroutine: Es ist 19 Uhr und ich sitze in meinem alten Kinderzimmer am Schreibtisch. Um vor der Isolation zu fliehen, hatte ich mich kurzerhand dazu entschieden für ein paar Wochen zu meinen Eltern zu ziehen. Vor mir habe ich meinen Laptop, ein Glas Wein und ein paar Snacks platziert. “Halloo?”- meine Freunde tauchen nacheinander in der Videokonferenz auf. Es dauert nicht lange, und wir tauschen uns in unserem “digitalen” Feierabendtreff über fehlende menschliche Nähe aus.
Viele Freunde haben noch keine eigene Familie und sind in Corona-Zeiten bei ihren Partnern oder den Eltern eingezogen. Doch Einige bleiben alleine in ihrer Wohnung - für sie ist der Kontakt über soziale Medien eine der letzten Verbindungen zur Außenwelt. “Wenn ich nicht regelmäßig mit Euch Skypen könnte, würde ich durchdrehen. Ich vermisse Menschen.”, so eine Freundin.
“Digitale Nähe” für alle?
Einsamkeit ist in dieser Krise kein Tabu-Thema mehr und wieder wird klar, was auch bei der Problemanalyse des DRK-Einsamkeits-Projekts deutlich wurde: Einsamkeit kann uns alle treffen - generationsübergreifend. Und doch trifft es derzeit Einige härter als Andere. Denn wie geht es Menschen, die digitale Lösungen nicht nutzen können? Was ist mit jenen, die an Covid-19 erkrankt sind und alleine im Krankenhaus liegen? Wie geht es älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen?
Erfahrungen aus Einrichtungen mit Besuchsverboten gehen einem nahe: Da gibt es zum Beispiel Jonas (89), der seine an Demenz erkrankte Frau in ihrem Seniorenheim nicht mehr täglich treffen darf, obwohl er der Einzige ist, den sie noch erkennt. Seit einigen Tagen beschäftigt mich die Frage, wie man in solchen Fällen helfen könnte. Kann man die digitalen Lösungen, die jüngere Menschen gegen Einsamkeit nutzen nicht auch in Pflegeheime bringen? Man kann.
Eine Pflege-App lässt am Leben teilhaben
Ein Beispiel: myo heißt die Pflege-App, die Pflegebedürftige, Personal und Angehörige online miteinander verbindet und bereits von einigen DRK-Einrichtungen eingesetzt wird. Gerade in der Corona-Krise kann so eine App ein Segen sein: sie lässt Angehörige am Leben der Pflegebedürftigen weiterhin teilhaben. So können Pflegerinnen und Pfleger Photos vom letzten Rommé-Spiel teilen, ein Video von Omas Geburtstag versenden und über Erfolge der letzten Physiotherapie berichten.
Pflegebedürftige werden datenschutzkonform in die Nutzung eingebunden und Angehörige können mit Kommentaren reagieren. “Es passiert viel Gutes in den Einrichtungen, was die Außenwelt oft nicht mitbekommt”, so Jasper Böckel, Mitgründer von myo. “Mit Hilfe der Inklusion bei digitaler Kommunikation rücken betreute Personen wieder mehr ins Zentrum der Familie”. Der Isolation in Pflegeheimen könne man so entgegenwirken – in Zeiten von Corona, aber auch darüber hinaus. Das funktioniert nicht nur in der Altenpflege: Die DRK-Werkstätten Meißen pilotieren die App, gefördert von der Glückspirale, und halten derzeit so mit betreuten Personen und Mitarbeitenden Kontakt.
Ideen, die Mut machen
Es gibt viele weitere Beispiele, die Mut machen: Der “Verein Wege aus der Einsamkeit e.V.” hält erste Versilberer Videokonferenzen für Senioren, eine Freundin meldet sich als Telefonseelsorgerin bei der Caritas an, und im DRK-Generalsekretariat entsteht die Idee, den Hausnotruf als digitalen Betreuungsdienst auszubauen.
Natürlich ist eine Umarmung trotz allem nicht leicht zu ersetzen. Und genau deshalb liegt es jetzt an uns allen #füreinander da zu sein. Wer sich nicht auf digitale Lösungen verlassen möchte, der hilft analog: durch Einkaufsdienste, Blumengrüße, oder – ganz klassisch – mit einem persönlichen Brief.
Zum Schutz der besonders gefährdeten Personen in Pflegeheimen bietet myo in der aktuellen Ausnahmesituation kostenlose Unterstützung an.
> Mehr Informationen zu Wege aus der Einsamkeit e.V.
Digitale Versilberer Runden finden Montag bis Freitag von 10 bis 11.30 Uhr statt.