Als sich Christine Krüger in den ersten Januartagen beim Landkreis nur erkundigen wollte, wann sie auf einen Impftermin für ihre Einrichtung hoffen darf, sagte man ihr: „Wenn Sie schnell sind, können wir Sie am Freitag noch einplanen.“ Christine und ihr Team waren schnell. Sehr schnell. In knapp drei Tagen holten sie für alle Bewohnerinnen und Bewohner die erforderlichen Einwilligungserklärungen ein, da wo es erforderlich war, auch von Angehörigen und Betreuern.
Wie groß ist Ihre Einrichtung und wie viele Mitarbeiter*innen sind in Ihrem Team? Welche Aufgaben machen Ihnen besonders Freude?
Die Schwesternschaft betreibt einen ambulanten Pflegedienst, eine stationäre Pflege und gestellt Schwestern an das städtische Klinikum Lüneburg und bietet satzungsgemäß Aus-, Fort- und Weiterbildung an. Im Alten- und Pflegeheim leben 78 Bewohner*innen und arbeitet ein Team von knapp 100 Mitarbeiter*innen. Mir liegen die Menschen am Herzen, deswegen macht mir auch das Führen der Mitarbeiter*innen viel Freude. Unser Leitungsteam wird durch die Oberin, die Pflegedienstleitungen der ambulanten und stationären Pflege und durch mich gebildet. Als Heimleitung habe ich Personalverantwortung für die hauswirtschaftlichen Mitarbeiter*innen und eine Pflegedienstleitung für die stationäre Pflege an meiner Seite.
Welche Herausforderung stellt der Lockdown für Sie und Ihre Pflegeeinrichtung dar? Welche Maßnahmen setzen Sie um, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen? (Schutzimpfung, besondere Hygienemaßnahmen, Räume der Begegnung, etc.)
Rückblickend auf den Februar/ März letzten Jahres war es für uns als leitendes Team eine Herausforderung, den Ernst der Lage sofort zu erkennen, entsprechend zu reagieren und die Mitarbeitenden mitzunehmen. Denn damals war es für alle eine völlig neue Situation, die natürlich auch viele Fragen aufwarf. Als die Verordnungen des Gesundheitsamtes, des Landkreises und des Ministeriums eintrafen, haben wir ein Hygienekonzept entwickelt, umgesetzt, hinterfragt, angepasst und wieder neu eingebracht. Wir haben Schutzausrüstung angeschafft und ein Besucherkonzept entwickelt, das es den Bewohner*innen ermöglichte, weiterhin Kontakt zu ihren Angehörigen zu halten. Die Besuchenden haben wir in das Hygienekonzept integriert und eine Besucheranmeldung sowie Besuchszeiten eingeführt. Im ersten dreiviertel Jahr durften sich nur drei Gäste gleichzeitig im Haus und sechs Besucher*innen im Garten aufhalten. Auch dieses Konzept haben wir laufend hinterfragt und entsprechend anpasst. Im späten Frühjahr und Sommer waren die Abläufe dann zur Routine geworden. Räume der Begegnung haben wir erst spät im Jahr genutzt, da die Bewohnerinnen und Bewohner die mobil sind, ihren Besuch aufgrund der warmen Tage lange im Garten empfangen konnten. Andere, die gesundheitlich nicht in der Lage waren, den Garten zu nutzen, konnten ihren Besuch natürlich auf dem Zimmer empfangen. Unser Hygieneexperte hatte bereits im Frühjahr für September die zweite Welle vorhergesagt. Als diese dann tatsächlich eintraf, haben wir die Sicherheitsmaßnahmen wieder hochgefahren. Das bedeutete für alle Heime, sozusagen von jetzt auf gleich, die Bewohnerinnen und Bewohner testen, alle Schwestern und Mitarbeitenden abzustreichen und vieles mehr. Im Grunde waren es aber keine neuen Abläufe. Wir konnten mit der Situation souverän umgehen und haben einfach gehandelt.
Das hört sich nach viel Mühe und Krafteinsatz an?
Ein großer Krafteinsatz ist tatsächlich das Besuchermanagement, denn wir müssen nach der aktuellen Verordnung auch alle Besucher*innen testen. Diese Terminkoordination ist ein unglaublich hoher Aufwand. Wir beschäftigen eine Mitarbeiterin in der Verwaltung mit einer Zwanzig-Stunden-Stelle, die allein für die Terminvergabe und die Koordination der Besuche zuständig ist. Inzwischen werden alle Schwestern und Mitarbeitenden im Haus außerdem täglich abgestrichen. Das betrifft alle Bereiche, Hauswirtschaft, Verwaltung, Pflege. Hier zeigt sich das Motto der Schwesternschaft „Miteinander-Füreinander“ in besonderer Weise: glücklicherweise haben wir zwei Schwestern, die derzeit nicht im Pflegealltag eingesetzt sind, für ein Abstrich-Team rekrutieren können. Denn dieser enorme Aufwand der täglichen Abstriche kann nicht von den Schwestern nebenbei geleistet werden.
Wie funktioniert das komplexe Thema Eigenschutz im Team? (beispielsweise die Einhaltung von Abstandsregeln oder beim Impfschutz)
Die Einhaltung von Abstandsregeln ist bei der Grundversorgung der Bewohner*innen, der Hilfe beim Toilettengang oder dem Anreichen des Essens schlicht nicht möglich. Aber wir haben sehr früh regelhaft mit FFP2 Masken gearbeitet. Damals war es noch keine Vorschrift, aber wir haben rechtzeitig genügend Masken bestellt, damit alle geschützt sind. Unsere Bewohner*innen tragen zum großen Teil ebenfalls Maske, soweit es ihr Befinden zulässt. In persönlichen Gesprächen oder den Schreiben zum Hygiene- und Besucherkonzept, haben wir immer um Verständnis für die Maßnahmen geworben und erklärt, dass es bei allem was wir tun oder lassen gleichermaßen um den Schutz von Bewohner*innen und Schwestern und Mitarbeiter*innen geht. Deswegen gab es von Beginn an eine hohe Akzeptanz. Was mich freut ist, dass die Bewohner*innen über die gesamte Pandemie hinweg sagen, sie fühlten sich sicher bei uns. Im August kam sogar der Heimbeirat auf mich zu und meinte: „Wir möchten gerne für alle Schwestern etwas ausgeben. Sie alle leisten Großartiges, so wie Sie uns hier durch die Pandemie führen.“ Wenn ich darüber nachdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Denn diese Wertschätzung ist nicht selbstverständlich, dieses Dankeschön. Das hat uns so berührt. Ich denke, es drückt auch ein bisschen von der Stimmung aus. Wir haben in unserem Speisesaal einen wöchentlichen Schichtwechsel für die Bewohner*innen eingeführt, damit wir in zwei Gruppen jederzeit den erforderlichen Abstand halten können. Wir haben uns bewusst gegen einen kompletten Tablettservice entschieden, weil wir denken, es ist gut und richtig, wenn die Bewohner*innen im Haus den Kontakt untereinander halten. Deswegen, und ich kann nur für unser Haus sprechen, kann ich aus Überzeugung sagen, bei uns ist niemand isoliert. Wir haben die Fensterlregelung, lassen Besuchende zu und leben immer noch ein Miteinander. Mit Abstand, Maske und mit Hygieneregeln, aber es ist weiterhin ein Miteinander.
Pflegekräfte erfahren bei der Impfung eine Priorisierung. Haben Sie sich bereits impfen lassen? Was ging Ihnen vorher, währenddessen und danach durch den Kopf?
Das war ganz besonders. Anfang des Jahres wurde der Landkreis Lüneburg mit Impfstoff ausgestattet. Nach Weihnachten und über den Jahreswechsel wurden wir per Mail benachrichtigt, dass zunächst Alten- und Pflegeheime durch ein mobiles Impf-Team geimpft werden. Dadurch, dass der Impfstoff gerade erst zur Verfügung stand, war die Dankbarkeit im Hause groß, bei den ersten Impfungen dabei zu sein. Von 78 Bewohner*innen konnten 70 geimpft werden und von den Schwestern und Mitarbeiter*innen haben 60 Prozent das Impfangebot angenommen. Auch ich habe mich impfen lassen. Seit 2005 bin ich als Heimleitung mit den Menschen hier verwoben. Deswegen war ich an diesem Tag sehr angespannt und konnte bei meiner eigenen Impfung gar nichts fühlen. Erst als ich am nächsten Tag hier angerufen habe und nachfragte, ob alle Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen den Impfstoff gut vertragen haben und mir die Schwestern zurückmeldeten, es sei alles in Ordnung, erst dann ist meine Anspannung abgefallen. Dann konnte auch ich mich über meine eigene Impfung freuen. Für mich war es selbstverständlich, dass ich mich impfen lasse. Das ist meine Verantwortung, auch wenn ich natürlich nicht weiß, ob ich Überträgerin sein kann. Es war für mich wichtig, dass ich als Beispiel vorangehe, mitgehe und mich impfen lasse. Dazu kam, dass ich bisher alle anderen Impfungen, die ich erhalten habe, gut vertragen habe.
Wie verändert die Impfung Ihre Arbeit und Ihren Alltag konkret?
Es ist sicher ein Stück Entspannung eingetreten. Aber kurz nach der Impfung ist im Nachbarlandkreis durch eine Mutation eine Inzidenz von über 300 eingetreten. Das wirkt sich direkt auch auf uns aus, weil wir in der Schwesternschaft eine enge Verbindung mit dem Klinikum leben, in dem Patienten aus dem Nachbarlandkreis aufgenommen wurden. Die Bewohner*innen hier haben zwischenzeitlich den Impfschutz zu 95 Prozent, da bin ich auf der einen Seite sehr erleichtert. Auf der anderen Seite sind sieben nicht geimpft. Zwei durften nicht und wurden zurückgestellt und fünf Bewohnerinnen und Bewohner haben sich gegen eine Impfung entschieden, was ihr gutes Recht ist. Wir denken hier nicht einmal im Ansatz über ein Nachlassen der Maskenpflicht oder der Abstandsregeln nach.
Als Sie sich für diesen Beruf entschieden haben, war eine Situation wie diese kaum vorstellbar. Welchen Werdegang haben Sie und was bewegt Sie jeden Tag aufs Neue, die Herausforderungen anzunehmen?
In meinem „ersten Leben“ bin ich Krankenschwester und habe in Hamburg auf einer onkologischen Station gearbeitet. Als meine beiden Kinder geboren waren, habe ich mich für Familienzeit entschieden, mein Abitur nachgeholt und Religionspädagogik studiert. Ich habe dann viele Jahre als Diakonin in einer Kirchengemeinde gearbeitet. Schon als Krankenpflegeschülerin wollte ich in einem Altenheim arbeiten. Ich habe mich weiterqualifiziert, meinen Abschluss als Betriebswirt gemacht und konnte mich dann als Heimleitung bei der Augusta-Schwesternschaft bewerben. Hier kann ich beide Seiten verbinden. Die Pflege kenne ich sehr gut und ich kann zugleich den seelsorgerischen, menschlichen Aspekt einbringen. Beides lebe ich aus vollem Herzen. Das macht es für mich so wertvoll. Das Leben lebt sich: den Weg habe ich im Vorfeld so nicht geplant, ich bin ihn gegangen. Dabei haben sich Türen eröffnet. Ich konnte Erfahrungen sammeln, die mir an diesem Arbeitsplatz, an diesem Ort zugutekommen und ich glaube, dass sie auch den Menschen hier zugutekommen.
Wie geht Ihr im Team damit um, dass der größere Teil der Mitarbeiter*innen bereits geimpft ist und andere noch nicht?
Was ich nicht allein in der Pflege, sondern im gesamten Team erlebe, ist diese Akzeptanz für die Entscheidung des jeweils anderen. Einige, die sich zu Beginn nicht haben impfen lassen, die zunächst erst einmal etwas abwarten wollten, haben sich dadurch, dass andere die Impfung gut vertragen haben, inspirieren lassen, sich jetzt ans Impfzentrum zu wenden. Ich merke, dass die Impfbereitschaft etwas zunimmt.
Das bedeutet, dass mögliche Ängste und Unsicherheiten schwinden?
Ja, da wächst ein Vertrauen in den Impfstoff, auch in die Verträglichkeit des Impfstoffs heran. Das bedeutet, dass die Mitarbeitenden, die sich jetzt für eine Impfung entscheiden, auch warten müssen. Manche denken nun, es wäre vielleicht doch besser gewesen, sich gleich zu Beginn impfen zu lassen. Gerade vor der ersten Impfung habe ich mit vielen Schwestern und Mitarbeiter*innen über mögliche Ängste gesprochen. Mir war wichtig, dass ich ihnen meine Sicht nicht überstülpe. Ich musste ihnen sagen, dass auch ich nicht mehr Informationen habe als sie. Ich habe nur erklären können, dass ich mich solidarisch fühle und mich deswegen impfen lasse. Und, dass ich keine Angst verspüre, weil ich bis jetzt jede Impfung gut vertragen habe. Dabei habe ich auch deutlich gemacht, dass ich gut verstehe, wenn Menschen Vorbehalte haben, weil sie vielleicht schon einmal auf eine Impfung reagiert oder kein Vertrauen in den Impfstoff haben. Denn, das ist wichtig, es muss die Entscheidung jedes einzelnen bleiben.
Gibt es auch etwas, das Ihnen in der Krise Mut macht? Etwas, was Zuversicht gibt?
Zum einen hilft mir ganz persönlich mein Glaube, durch diese Situation zu gehen. Zum anderen sind es die besonderen Momente. Zum Beispiel, das was uns die Bewohner*innen zurückgegeben haben. In den Sommermonaten bin ich auch oft von Menschen angesprochen worden, die gerne für die Bewohnerinnen und Bewohner ein Konzert geben wollten. Das war großartig. Wir haben die Fenster geöffnet und sofort war da Freude sichtbar und spürbar. Das haben wir selbst in der Weihnachtszeit noch gehabt, da kamen Menschen und haben live im Garten Weihnachtsmusik gespielt. Momente, in denen man spürt, dass da ein Miteinander ist, dass Menschen den Blick für andere haben. Das ist einfach toll.
Gibt es etwas, was Sie, vielleicht gerade in dieser Zeit, mit anderen teilen möchten? Etwas was Ihnen besonders am Herzen liegt?
Wir sind an einem Punkt, da denkt man, jetzt muss doch alles endlich einmal gut werden. Für mich stellt sich die Frage, was heißt das denn genau? Wir werden nicht mehr in die Normalität zurückkehren, die wir noch vor einem guten Jahr hatten. Es wird eine andere, eine neue Normalität geben. Die Situation in der Pflege ist angespannt. Ich denke, wir kommen nur dann voran, wenn wir sehen, was nicht gut läuft und es benennen. Das ist wichtig. Wir könnten am Ende eines Tages jedoch auch darauf schauen, was heute gut gelaufen ist. Gerade in dieser Zeit, die für alle so herausfordernd ist. Neulich brachte es jemand auf den Punkt, indem er sagte: „Im Grunde arbeiten wir alle seit einem Jahr im roten Bereich - was die Kraft und die Leistung angeht“. In diesem roten Bereich können wir doch aber auch die Momente in den Blick nehmen, die uns im Miteinander Kraft geben. Das ist wichtig. Gerade jetzt.
Von Heike Harenberg, Dorian Lübcke, Natascha Baumhauer
Das Interview ist Teil des Projekts „DRK erleben“ und der DRK-Kampagne #coronaimpfung. Das Projekt wird mit Mitteln der GlücksSpirale gefördert.
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