Trotz Pandemie positiv nach vorne schauen?
Die Corona-Pandemie ist eine Zäsur auch für die Wohlfahrtspflege. Wir haben politisch im Sinne der Menschen, die wir vertreten und im Sinne eines funktionsfähigen Sozialstaats argumentiert und parallel dazu aktiv von der Bundesebene aus organisiert und mobilisiert (Material, Tests u.v.m). Gleichzeitig hat Corona auch intern gewirkt, Veränderungen massiv vorangetrieben und unsere digitalen Projekte beschleunigt. Wir konnten erheblich davon profitieren, dass wir den digitalen Wandel bereits in den vergangenen Jahren von der Bundesebene aus eingeläutet haben. Vieles von dem, was wir erreicht haben, ist angesichts der Dramatik der Pandemie in der verbandlichen und medialen Aufmerksamkeit vielleicht etwas untergegangen – zurecht lag der Fokus auf den akuten Unterstützungsleistungen.
Wir sind jetzt, Anfang 2021, immer noch in der akuten Pandemiebekämpfung und müssen erleben, wie Mitmenschen erkranken, sterben, wie unsere Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen bis zur Erschöpfung arbeiten, wie Familien leiden, Kinder den Anschluss an Bildung verlieren und viele Menschen in existentielle und/oder psychosoziale Not geraten.
Aber: Die Tragweite der Veränderungen, die dieses Jahr 2020 mit sich gebracht hat, wird in einer Vielzahl von Bereichen, die nicht alle unmittelbar mit der akuten Krisenbekämpfung zusammenhängen, mit Sicherheit in den kommenden Monaten und Jahren spürbar bleiben.
Immer wieder lese und höre ich, dass Feuerbilder herangezogen werden, wenn es um Erfahrungen aus der Pandemie geht: Sie wirke wie ein „Brennglas“ oder ein „Brandbeschleuniger“. Das klingt, als würde die Pandemie ausschließlich verbrannte Erde hinterlassen und nichts anderes von unserer Welt übrigbleiben. Das sehe ich ausdrücklich anders. Es wird keine Rückkehr zum Status Quo Ante geben, aber es wird auch nicht alles verbrannt. Für die Wohlfahrtspflege heißt das: Menschen werden weiter Zuwendung benötigen und können dabei auf unsere verlässliche Unterstützung zählen, sie werden die Einrichtungen des DRK benötigen. Und ich bin sicher, dass Orte des Engagements und Ehrenamts, des Miteinanders gerade nach der Pandemie eher an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig werden die neuen Formen des Arbeitens, der Kommunikation und der Angebotserbringung nicht wieder verschwinden – im Gegenteil. Es wird darauf ankommen, den beschrittenen Weg konsequent weiterzugehen und die Modernisierung der Strukturen beherzt anzupacken.
Veränderung ist jetzt
Ein Teil der Beratung, die wir in unterschiedlichen Arbeitsfeldern leisten, wird künftig selbstverständlich online erbracht werden, auch unabhängig von Corona-bedingten Restriktionen. Mit der Online-Beratung in der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) haben wir gemeinsam mit dem BAMF längst bundesweite Maßstäbe gesetzt. Das Online-Tool „mbeon“ hat die Zahl der angeschlossenen Beratungsstellen mehr als verdoppelt und gilt als eine der besten Online-Beratungslösungen im Feld. Die Onlineberatung hat sich als Ergänzung der face-to-face-Beratung bewährt. Wir haben eine auf mbeon basierende Online-App entwickelt, die für alle Formen von Beratung im Verband einsetzbar ist und wollen hier in den kommenden Monaten noch mehr investieren.
Mit dem DRK-Elterncampus beschreiten wir gemeinsam mit den Landesverbänden Baden-Württemberg und Sachsen neue Wege und bieten virtuelle Live-Kurse für junge Familien (z.B. zu Babyernährung). Und das mit einer hochmodernen, ansprechenden Website, die innerhalb kürzester Zeit viel Zulauf erreicht hat. Solche digitalen Angebote sind die Zukunft. Sie werden von den Interessentinnen und Interessenten auch nach Corona erwartet. Dass so ein Angebot anspricht und überzeugt, dahinter steckt harte Arbeit: Entwicklungsarbeit, Überzeugungsarbeit und inhaltlich-konzeptionelle Arbeit. Ein Angebot kann nicht eins zu eins auf ein Online-Umfeld übertragen werden, sondern muss für den virtuellen Raum angepasst, verändert werden. Schnell, nebenbei und ohne Investitionen geht das nicht.
Beide Beispiele, sowohl die Beratungs-App als auch der Elterncampus zeigen, was möglich ist, wenn man mit Fachkompetenz, etwas Behutsamkeit und ein wenig trial and error agiert. Und es zahlt sich aus, dass eben wir als Freie Wohlfahrtspflege diese Angebote erbringen – mit unseren Erfahrungen und Kompetenzen.
Als Verband die eigene Mitte finden
Gerade in Veränderungsprozessen ist es notwendig, die eigene Mitte zu finden: Wer sind wir, wer wollen wir sein? Es geht nicht darum, irgendwelchen Modernisierungshypes hinterherzulaufen oder sich einseitig an kommerziellen Angeboten auszurichten. Unsere Innovationen sind nur dann welche, wenn sie sich an den Bedarfen der Menschen ausrichten. Und auf unserem verbandlichen Weg betonen wir unsere Kernkompetenz und verstehen uns gerade nicht als eine Wirtschaftssparte unter vielen. So werden wir auch den notwendigen Rückhalt in Politik und Gesellschaft mobilisieren können. Das hat die Corona-Krise einmal mehr deutlich gezeigt.
Mit meinem Blogbeitrag zum Jahresbeginn 2020 habe ich verdeutlicht, dass wir an unserem Image arbeiten müssen und dabei die Betonung unseres Kerns als Wohlfahrtsverband, der dem Gemeinwohl und den Menschen verpflichtet ist, in den Mittelpunkt gerückt. Ich würde das heute noch genau so schreiben. In diesem ersten Beitrag in 2021 geht es mir darum, dass wir für uns selbst einen Kompass brauchen. In einer sich rasant veränderten Welt müssen wir unsere Mitte, unseren Kern immer im Blick haben. Wenn uns das gelingt, können wir mit unserer Vision der Wohlfahrtspflege und voller Zuversicht in dieses und in die kommenden Jahre gehen.