Symbolbild Themenfeld Flucht & Migration

Ein Koalitionsvertrag, der einen Neuanfang für die künftige Asyl- und Migrationspolitik verspricht

Der Koalitionsvertrag der Verhandlungsteams aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP lässt im Themenfeld Flucht & Migration deutliche Änderungen erwarten. Es sind knapp sechs Seiten des insgesamt 177 Seiten langen Vertrags, auf denen im Kern die künftigen Leitlinien der Migrations-, Integrations- und Asylpolitik skizziert werden, aber auch an anderen Stellen ergeben sich Konsequenzen. Der einleitende Satz des entsprechenden Kapitels lautet: »Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird.« Was sich sprachlich nach einem technokratischen Wandel anhört, dürfte für Betroffene, Akteure der Migrationsarbeit aber beispielsweise auch Betriebe einige Erleichterungen mit sich bringen.

Pragmatische Leitlinien mit humanitärem Impact

Es sind nicht ausschließlich humanitäre Gründe, die den angekündigten »Neuanfang« in der Migrations- und Integrationspolitik der künftigen Regierungskoalition ausmachen bzw. ausmachen sollen. In den Begründungen der Vorhaben stehen häufig pragmatische Gründe im Vordergrund, die sich aber gleichzeitig im Sinne einer humanitäreren Politik positiv auf die Betroffenen auswirken dürften.

Beispielsweise wird die Einführung einer »flächendeckenden, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung« damit begründet, dass die Verfahren dadurch beschleunigt werden sollen. Das klingt sehr pragmatisch, beinhaltet jedoch gleichzeitig eine deutliche Verbesserung für Asylsuchende. Die Wohlfahrtsverbände setzen sich bereits seit Jahren für ein solches Angebot ein, wurden aber im August 2019 durch die Einführung des neuen § 12a AsylG enttäuscht. Die Regelungen des Paragraphen, der im Zuge des „Geordneten-Rückkehr-Gesetzes“ Einzug hielt, sehen eine »staatliche unabhängige Asylverfahrensberatung durch das BAMF« vor – also seitens der Behörde, die letztlich auch über den Antrag entscheidet (mehr dazu in unserem Blogbeitrag vom 15.02.2021). Die jetzt angekündigte Neuausrichtung könnte die Qualität der Verfahren deutlich erhöhen und damit – nicht zuletzt – auch die Gerichte entlasten, wenn der Ablauf und die Voraussetzungen für ein Asylgesuch schon vor der Antragsstellung in einer vertraulichen Beratung geklärt werden können.

Auch das Ende »der bisherigen Praxis der Kettenduldungen« oder die Aussicht auf »mehr Rechtssicherheit« für Geduldete, die sich in einer Berufsausbildung befinden sind Vorhaben, die gleichermaßen humanitäre und pragmatische Züge tragen. Für die Betroffenen sollen bisherige Restriktionen reduziert werden, während Betriebe gleichzeitig mehr Planungssicherheit erhalten könnten. Abschiebemaßnahmen aus Berufsschulen oder Betrieben dürften dann selten werden.

Ein Mitgestaltungsauftrag für die Wohlfahrtsverbände

Nicht nur bei der Einführung einer »flächendeckenden, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung« werden sich die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege aktiv einbringen. So sollen zum Beispiel künftig »alle Menschen, die nach Deutschland kommen von Anfang an« die Möglichkeit haben, passgenaue und erreichbare Integrationskurse wahrzunehmen. Jugendmigrationsdienste (JMD), Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderinnen und Zuwanderer (MBE) und Migrantenselbstorganisationen sollen »angemessen« gefördert, das Patenschaftsprogramm „Menschen stärken Menschen“ fortgeführt werden. Auch soll ein »Bundesprogramm zu Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration von Menschen aus (Süd)ost-Europa« geschaffen werden und Bedingungen des Familiennachzugs erleichtert werden, vor allem für Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus. Beispiele, die im Koalitionsvertrag recht vage formuliert sind und bei denen es nun darum geht, die Ideen aufzugreifen und im Dialog mit der Politik die genauere Gestaltung zu diskutieren.

Darüber hinaus gibt es Formulierungen, bei denen es Interpretationsspielräume gibt, was genau unter welchen Bedingungen und gegebenenfalls Ausnahmeregelungen beabsichtigt ist. Bei der Aussage »Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende schaffen wir ab« ist noch unklar, ob es hier eine Stichtagsregelung geben wird oder ob das auch für die Menschen gelten soll, die künftig zuwandern werden. Psychosoziale Hilfen für geflüchtete Menschen sollen verstetigt werden. Die Voraussetzungen für den Zugang zu gesundheitlichen Leistungen von Menschen ohne Papiere sollen »überarbeitet« werden, »damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen.« An den Interpretationsspielräumen, die diese Formulierungen beinhalten, werden die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege im Rahmen ihrer gemeinsamen Interessensvertretung aktiv ansetzen.

Resümee

Natürlich darf man nicht erwarten, dass ein Koalitionsvertrag sämtliche Vorhaben bereits bis in die Details beschreibt, doch wir sehen viele Vorhaben, die wir sehr unterstützen. Ein Koalitionsvertrag, der in der Summe die Rechte und Teilhabechancen von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte verbessern will, bietet eine gute Grundlage dafür, unsere Vorstellungen aktiv einzubringen. Wir freuen uns darauf, unseren Auftrag zur Mitgestaltung wahrzunehmen und die in ihm liegenden Möglichkeiten für eine bessere Teilhabe von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte in Deutschland zu nutzen.