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70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention: Zurück zum humanitären Ausgangspunkt und weitere Gruppen schützen!

Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bildet die Grundlage des internationalen Rechts zum Schutz von flüchtenden Menschen: die in ihr formulierte Definition des „Flüchtlings“ findet heute weltweit Anwendung bei der Entscheidung, wer internationalen Schutz erhält. Zum 70-jährigen Jubiläum der Konvention soll nicht nur auf den ihr zu Grunde liegenden humanitären Gedanken und die geschaffene Rechtgrundlage verwiesen werden – auch aktuelle Herausforderungen wie klimabedingte Flucht müssen in den Blick genommen werden!

Es waren die Erfahrungen aus den zwei Weltkriegen, die 1951 zur Vereinbarung des Genfer Flüchtlingsabkommens führte. Millionen von Menschen befanden sich in den 1920er und 1940er Jahren auf der Flucht und wurden von vielen Staaten abgewiesen. Am 28. Juli 1951 vereinbarten zunächst 19 Staaten das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, wie die Genfer Flüchtlingskonvention offiziell heißt. Heute sind der Konvention 146 Staaten beigetreten, was sie zur Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts macht.

Zu den großen Errungenschaften des Genfer Abkommens zählt neben dem geschaffenen Rechtsanspruch auf Schutz vor Verfolgung und einer verbindlichen Definition des Begriffs „Flüchtling“ auch das individuelle Recht auf Nicht-Zurückweisung, nachdem ein Flüchtling nicht in ein Land zurückgewiesen werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sein könnten.

Staatliches Handeln im Widerspruch zur GFK

Genau diese wichtigen Elemente der Genfer Flüchtlingskonvention gilt es anlässlich des 70-jährigen Bestehens hervorzuheben und zu bekräftigen – denn sie sind heute nicht mehr für alle selbstverständlich! Die Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere an den EU-Außengrenzen belegen, dass die in der Genfer Flüchtlingskonvention gesetzten Rechtsgrundlagen von einzelnen Mitgliedsstaaten und teilweise auch der EU zur Disposition gestellt werden, indem sie sich darüber hinwegsetzen. So stellt die gemeinsame Erklärung der EU und der Türkei vom März 2016, welche als Reaktion auf die vermehrten Schutzgesuche innerhalb Europas vereinbart wurde, das Prinzip der Nicht-Zurückweisung in Frage. Auch die im September 2020 vorgelegten Vorschläge der Europäischen Kommission für einen „Neustart des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ verwässern mit den vorgeschlagenen Screening- und Grenzverfahren das individuelle Recht auf ein Asylverfahren. Denn in beiden Fällen ist die individuelle Prüfung eines möglichen Schutzbedarfs aufgrund beschleunigter und standardisierter Verfahren nicht mehr gewährleistet. Auch dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten sich schlicht weigern, ihrer internationalen Verantwortung nachzukommen, indem sie es ablehnen, Geflüchtete aufzunehmen oder indem sie getroffene Vereinbarungen einseitig außer Kraft setzen, steht im Widerspruch zu den Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Konvention ergeben.

Mehr Menschen als je zuvor benötigen Schutz

Zu den politischen Entwicklungen der letzten Jahre kommen zusätzliche Herausforderungen: Im Jahr 2020 befanden sich weltweit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht - eine Zahl, die sich in nur zehn Jahren verdoppelt hat. Der Anteil an Kindern und Minderjährigen ist mit 42% sehr hoch. Viele Schutzsuchende sind vor Kriegen und Konflikten im eigenen Land auf der Flucht und damit vom Schutz der GFK und Unterstützungsangeboten ausgeschlossen. Daneben führt der Verlust der Lebensgrundlage aufgrund von Dürren oder anderer Extremwetterlagen vermehrt dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen – laut UNHCR sind bereits bei jedem vierten Geflüchteten klimabedingte Veränderungen Ursache für die Flucht.

Dieser Personenkreis fällt nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention und erhält keinen ausreichenden Schutz. Der Situation dieser Menschen müssen wir größere Aufmerksamkeit widmen. Hier ist die internationale Staatengemeinschaft gefordert, um für die Betroffenen Perspektiven zu schaffen.” so Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, in einer Presseerklärung anlässlich des 70. Jahrestages der Verabschiedung der Flüchtlingskonvention.

Es ist ernüchternd, wenn im Rahmen der Debatte des Europäischen Parlaments anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Abkommens Ylva Johannson, EU-Kommissarin für Inneres, davon spricht, dass Europa „die Migrationskrise überwunden habe“ – denn von einem humanitären Umgang mit Fluchtbewegungen waren wir in Europa seit Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention noch nie weiter entfernt!

Das heutige 70-jährige Jubiläum der Verabschiedung der GFK sollte entsprechend Anlass sein, sich mit der Bedeutung und den Ursprüngen dieses wichtigen Abkommens zu beschäftigen, seinen humanitären Anspruch zu bekräftigen und auszuweiten. Nur auf dieser Grundlage können wir aktuellen Herausforderungen begegnen und sicherstellen, dass alle Geflüchteten die Unterstützung und den Schutz erhalten, den sie benötigen.  

Text von Kathleen Wabrowetz und Inga Matthes

Presseerklärung des Deutschen Roten Kreuzes anlässlich „70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention“

Hinweis: Als DRK lehnen wir den Begriff der “Krise” im Kontext von Flucht und Migration ab und verwenden diesen hier nur im Form eines Zitats.