Uta-Larissa Christmann

Who is Who der DRK-Schuldnerberatung: Uta-Larissa Christmann, DRK-Kreisverband Frankenberg/ Eder e.V.

Die Angebote der Schuldner- und Insolvenzberatung sind für Ratsuchende von großer Bedeutung und ermöglichen vielen einen Neustart in ein (wieder) selbst bestimmtes Leben. Doch wer steckt eigentlich hinter dieser Arbeit - und was treibt sie an? Im Rahmen eines kleinen "Who is who" stellen wir Beratungsfachkräfte aus der DRK-Schuldnerberatung vor. Heute: Uta-Larissa Christmann aus dem DRK-Kreisverband Frankenberg/ Eder e.V.

Angaben zur Person:

Name: Uta-Larissa Christmann

Alter: 44 Jahre

Arbeitsstelle: Soziale Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des DRK-Kreisverbands Frankenberg/ Eder

Funktion: Schuldner- und Insolvenzberaterin

Beginn der Tätigkeit: 2013

Beruflicher Background: unterschiedliche Berufsausbildungen, darunter ein Studium der Bildungswissenschaften, eine Weiterbildung zur Betriebswirtin sowie ein Aufbaustudium zur Sozialtherapeutin. Zusätzlicher Zertifikatskurs zur Schuldnerberaterin.

Angaben zur Beratungsstelle:

Wie groß ist Ihre Einrichtung?

Wir versorgen den flächenmäßig weitläufigsten Landkreis Hessens. In unserer Beratungsstelle arbeiten insgesamt vier Beraterinnen in Voll- sowie Teilzeit und eine Verwaltungskraft in Teilzeit.

Wie ist Ihre Beratungsstelle aufgebaut?

Jede Beraterin betreut je nach Stellenanteil ihre ganz eigene Region in unserem Landkreis, aufgeteilt auf die vier Mittelzentren unseres Landkreises. Es finden Sprechstunden an drei Standorten in eigenen und kommunalen Räumen statt. Ein Berater ist für administrative Tätigkeiten abgestellt. Das Beratungsangebot umfasst: Existenzsicherung, Pfändungs-/ Vollstreckungsschutzmaßnahmen, Kontosicherung, Unterstützung bei der Kontobeschaffung, Stabilisierung der psychosozialen Situation, Stärkung der persönlichen Handlungsfähigkeit, Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen oder Erzwingungshaft, Vermittlung an weitere Fachdienste, Forderungsüberprüfung, Erstellen der Verzeichnisse, Außergerichtliche Einigung, Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren, Insolvenzantrag.

Wir beraten einerseits ganzheitlich, vertraulich, ergebnisoffen und nachhaltig. Andererseits setzen wir auf eine freiwillige, aktive Mitarbeit der Ratsuchenden.

Welchen fachlichen Hintergrund haben Ihre Kolleginnen?

Die Kolleginnen verfügen ebenfalls über unterschiedliche Berufsausbildungen und Studienabschlüsse. Wichtig für die Arbeit in der Beratungspraxis sind hier die Studienabschlüsse in der Sozialpädagogik, Weiterbildungen in der klientenzentrierten Gesprächsführung, Studienabschlüsse der Ökonomie und Ausbildungen zum Verwaltungspersonal. Alle Kolleginnen haben ebenfalls einen Zertifikatskurs Schuldnerberatung absolviert.

Persönliche Motivation:

Warum haben Sie sich bei der Berufsauswahl für die Schuldnerberatung entschieden?

An dieser Stelle lässt sich sehr umfassend und effizient Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Ich bin überzeugt von der Selbstwirksamkeit jeder Person. Eine Unterstützung zur Existenzsicherung und eine Hilfe zur Stabilisierung der persönlichen Umstände stellen die Grundlage für jede weitere Entwicklung dar. Eine reale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist erst möglich, wenn die Existenz gesichert ist. Es ist erschreckend genug, wieviel versteckte Armut in einem so reichen Land wie Deutschland möglich ist und wie viele Eventualitäten jenseits gängiger Annahmen und Vorurteilen existieren.

Einschlägige TV-Formate haben nicht gerade dazu beigetragen, das Bild von Schuldner:innen realistischer darzustellen. Zwar gibt es den Schuldnertyp, der durch übersteigerten Konsum in seine Situation geraten ist, doch spiegelt dieser in der Realität keineswegs die Mehrheit dar. Nicht krankenversichert zu sein beispielsweise ist in Deutschland theoretisch nicht möglich, gehört aber zu den Umständen, die uns in der Beratungspraxis häufig begegnen. Eine Versicherung im Notlagentarif, die bei Beitragsrückständen entsteht, kommt einer fehlenden Versicherung ebenfalls sehr nah. Vorstellen kann sich dies jedoch kaum jemand.

Die Arbeit ist auf vielen Ebenen dialektisch. Nichts ist eindimensional, an jeder Schuldnerin und jedem Schuldner hängt ein soziales Gefüge, jeder Verschuldung stehen auch Gläubigersysteme gegenüber, die letztendlich ebenfalls von unserer Arbeit profitieren.

Was fasziniert Sie am Beruf der Schuldnerberaterin?

Ich denke, es sind die extrem unterschiedlichen Menschen, ihre ganz eigenen Geschichten und das Vertrauen, das sie uns entgegenbringen. Sie lassen uns zweitweise sehr nah an ihrem Leben teilhaben, in der Hoffnung auf eine neue Chance, einen neuen Anfang. Wir gehen ein Stück des Weges mit, versuchen zu vermitteln, was für eine sichere Zukunft nötigt ist und räumen den Weg für einen Neustart frei. Wir bekommen häufig zurückgemeldet, dass sich unsere Klient:innen bei uns nach langer Zeit endlich wieder wertgeschätzt fühlen. Viele hatten vorher lange Zeit den Eindruck, mit der Überschuldung ihren Wert als Mitglied der Gesellschaft verloren zu haben.

Arbeiten beim DRK

Wie sind Sie zum Roten Kreuz gekommen? Warum?

Ich kann mich sehr gut mit den Grundsätzen des DRK identifizieren, zusätzlich ist der Kreisverband Frankenberg in unserer Region sehr aktiv und breit aufgestellt. Die Arbeit für einen Wohlfahrtsverband stand für mich bereits frühzeitig fest, nachdem ich zuvor unterschiedliche Tätigkeiten in der freien Wirtschaft ausgeübt hatte. Seit über 150 Jahren ist das Symbol des Roten Kreuzes für Menschen auf der ganzen Welt, in den schlimmsten globalen und persönlichen Katastrophen ein Symbol, das Hoffnung und Hilfe bedeutet. Ich bin gerne und voller Überzeugung ein kleiner Teil davon und leiste meinen persönlichen Beitrag.

Wie zeigt sich beispielsweise der Grundsatz der Menschlichkeit in Ihrer täglichen Arbeitsweise?

Wir machen keine Unterschiede und urteilen nicht. Wir helfen nach dem Maß der individuellen Bedürftigkeit. Auch wenn das gelegentlich bedeutet, dass es eine Herausforderung ist. Es kann zum Beispiel herausfordernd sein, sowohl dem Täter/ der Täterin als auch dem Opfer einer Straftat wertfrei Hilfe zukommen zulassen. Letztendlich ist es aber von gesamtgesellschaftlichem Interesse, dass beide einen vernünftigen Neustart absolvieren. Genauso wird der Grundsatz der Menschlichkeit von uns vertreten, wenn wir ganz klare Grenzen ziehen und nicht zulassen, dass sich unsere Klient:innen komplett selbst entmündigen. Dies tun wir, indem wir ihnen nicht all ihre Probleme und Sorgen abnehmen und sie von ihrer Verantwortung für sich selbst befreien, auch wenn sich dies manche wünschen. Wenn wir an diesen Punkten werden und aktive Mitarbeit einfordern oder sagen müssen, dass wir zurzeit nichts miteinander erreichen können, zweifeln sicherlich manche unserer Menschlichkeit. Hilfe zur Selbstwirksamkeit bedeutet aber Menschlichkeit zu leben, Abhängigkeiten nutzen auf Dauer niemandem. In dieser Situation zahlt es sich aus, in einem so guten Team wie dem unseren zu arbeiten.

Klientel

Wer kommt in Ihre Beratungsstelle?

Unser Klientel umfasst eigentlich alle gesellschaftlichen Personengruppen. Eine überblicksartige Kategorisierung ist in Empfänger:innen von Sozialleistungen, Arbeitnehmende, (ehemals) Selbstständige sowie Renter:innen, Schüler:innen, Azubis, und Student:innen sowie (ehemals) Straffällige, Suchterkrankte möglich.

Was sind die hauptsächliche Gründe für Überschuldung?

Die Gründe sind vielfältig und wechseln über längere Zeiträume. Zurzeit beobachten wir eine besorgniserregende Zunahme von psychischen Erkrankungen bei relativ jungen Menschen, die zu einer Erwerbsminderung führen. Bedingt durch die Covid-19-Pandemie erleben wir zudem eine Zunahme der gescheiterten Selbstständigkeiten.

Was sind die verbreitetsten Überschuldungsfallen?

Die Ursachen für Überschuldung sind individuell sehr unterschiedlich. Dennoch gehören Trennungen, (Sucht-)Erkrankungen und Unterhaltsverpflichtungen zu den häufig anzutreffenden Gründen. Darüber hinaus tragen aber auch überhöhte Konsumausgaben (Handyverträge, Kreditkartenverträgen, Kredite ohne Bonitätsprüfung, Autofinanzierungen, Mitgliedschaften) sowie steigende Lebenshaltungskosten (Energiekosten, Krankenkassenbeiträge) zu finanziellen Be- und Überlastungen sowie einem Abrutschen in Überschuldung bei.

Wie viele Gläubiger:innen haben Ihre Ratsuchende durchschnittlich?

Zwischen 25 und 35 Gläubiger:innen. Allerdings haben wir in den letzten Jahren regional auch häufiger Ausreißer nach oben - teilweise mit weit über 200 Gläubiger:innen.

Um welche Summen geht es?

Die Zahlen unterscheiden sich in unserem Landkreis in den vier Mittelzentren deutlich. Im groben Durchschnitt sprechen wir im ersten Halbjahr 2021 von einer Pro-Kopf-Verschuldung von ca. 40.000 Euro. Dabei handelt es sich um einen groben Mittelwert. Wir haben Klient:innen, die mit 2.500 Euro überschuldet sind, aber auch vereinzelte Klient:innen, die auf einem Schuldenberg von mehr als 1 Mio. Euro sitzen.

Berufseinblicke:

Welchen Stellenwert nimmt Schuldnerberatung für überschuldete Personen ein?

Einen sehr hohen. Schuldner:innen haben häufig bereits über einen längeren Zeitraum den Überblick (über ihre finanzielle Situation) verloren und aus Scham sehr lange mit der Suche nach Rat gewartet. Aus eigener Kraft ist eine Schuldenregulierung dann häufig kaum noch möglich.

Wie sieht der Arbeitsalltag in der Schuldnerberatung aus?

Spannend! Kein Tag gleich dem vorherigen. Natürlich gibt es standardisierte Abläufe, die uns den nötigen Halt im täglichen Trubel geben. Aber jeder Fall bringt ganz eigene Aufgaben und Herausforderungen mit sich.

Wie läuft eine typische Beratung ab?

In der Regel gibt es einen telefonischen Erstkontakt und eine Kurzberatung. Dann folgt - je nach konkretem Fall - die feste Aufnahme in die Beratung. Hierfür findet dann ein umfassendes erstes Beratungsgespräch statt, in dem auch relevante Unterlagen und Dokumente entgegengenommen. In der Folge werden die Unterlagen gesichtet und geprüft, worauf hin wir Kontakt mit den Gläubiger:innen aufnehmen. Es werden zudem relevante Rücksprachen mit den Ratsuchenden gehalten, je nach Bedarf Pfändungs- und Vollstreckungsschutzmaßnahmen oder Maßnahmen zur Existenzsicherung ergriffen. Zusätzlich wird auch gemeinsam an der Budgetplanung sowie der Entwicklung eines Entschuldungsplanes gearbeitet. In diesem Zusammenhang werden - je nach Fallkonstellation - Anträge bei unterschiedlichen Anlaufstellen und Fonds gestellt, in Hessen etwa beim Resozialisierungsfonds für ehemals Straffällige. Anschließend folgt dann die Entschuldung. Diese erfolgt je nach verfügbaren Mitteln der Ratsuchenden und der Bereitschaft der Gläubiger:innen entweder über einen Vergleich, ein sog. Zustimmungsersetzungsverfahren oder einen Insolvenzantrag. Die Darstellung und insbesondere der Eindruck des Zeitraums ist jedoch sehr verkürzt. Ein nicht geringer Teil unserer Klientel befindet sich aufgrund ihrer Lage über Jahre hinweg in unserer Beratung.

Wie bewerten Sie Ihren Erfolg als Schuldnerberaterin?

Erfolgt klingt sehr nach Statistik bzw. Quote. Es ist nicht unser Ziel, möglichst viele Menschen durch ein Art Entschuldungs-Maschinerie zu schleusen. Für uns ist es bereits ein gutes Gefühl und ein Zeichen von Erfolg, wenn die Ratsuchenden eine realistische Aussicht auf einen guten Neuanfang bekommen oder unsere Beratungsstelle mit einem besseren Gefühl verlassen. Wenn auf der anderen Seite dann auch noch zufrieden Gläubiger:innen stehen, ist das umso besser. In diesem Fall hat die Beratung dem sozialen Frieden gedient. Wenn sich mit der Beratung und/oder der Entschuldung zusätzlich das gesamte familiäre und soziale Umfeld der überschuldeten Person stabilisieren lässt, ist die Beratung perfekt gelungen und hat seinen Auftrag im Sinne sozialer Schuldnerberatung geleistet.

Rückblick auf die Covid-19-Pandemie:

Wie haben Sie die Covid-19-Pandemie erlebt?

Durchaus herausfordernd. Wir haben leider einige Klient:innen aus den vergangenen Jahren wieder aufnehmen müssen, die sich zuvor über einen Ratenvergleich selbst sanieren wollten. Zwar konnten sie die Raten über einen Minijob leisten, jedoch führte der Pandemieverlauf dazu, dass sie ihren Minijob verloren haben. Insbesondere Inkassounternehmen haben sich hier leider wenig kulant gezeigt und nur wenige Gläubiger:innen haben dem zeitweisen Ruhen des Vergleichs zugestimmt. Hinzugekommen sind zusätzlich von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmende, die ihre Finanzierungsraten nicht mehr stemmen konnten. Auch Solo-Selbstständige, die ihre Tätigkeit nicht mehr aufrechterhalten konnten und aufgeben mussten, sind als neue Überschuldungsfälle in unsere Beratung gekommen.

Welche Spuren im Beratungsalltag hat die Pandemie hinterlassen?

Die Netzwerkarbeit hat etwas unter den vielfältigen Einschränkungen gelitten. Auch haben wir große Teile unserer Arbeit digital angeboten und so den Anteil an Distanzberatungsangeboten ausgebaut. Dies werden wir auch zukünftig weiter beibehalten, um effizienter sein zu können.

Persönliche Bilanz:

Was war ihr einprägsamstes Erlebnis als Schuldnerberaterin?

Es ist immer wieder einprägsam, wenn sich bei unseren Klient:innen Erleichterung einstellt und sie neue Hoffnung und Zuversicht schöpfen. Genauso einprägsam ist es allerdings auch, wenn sich Gläubiger:innen zufrieden zeigen und anerkennen, dass vieler Schuldner:innen bemüht sind, ihren Verpflichtungen im Rahmen ihrer (finanziellen) Möglichkeiten nachzukommen.

Welche Botschaft möchten Sie Menschen mit Schulden auf den Weg geben?

Es ist möglich, das eigene Leben wieder selbst zu bestimmen und sich nicht von Angst, Druck, Scham und Stress bestimmen zu lasen. Wann man aus dem Kreislauf aussteigt, kann man tatsächlich selbst bestimmen und sich die passende Hilfe dafür suchen. Es wird uns zwar gerne vorgegaukelt, dass die Teilhabe am Konsum unseren Wert als Menschen bestimmt, aber es steht uns ebenso frei, unseren Selbstwert selbst zu definieren. Dabei sind wir, genauso wie unsere Kolleg:innen an allen anderen Standorten, gerne behilflich und ansprechbar.